Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Martens, Georg von: Die preussische Expedition nach Ost-Asien. Nach amtlichen Quellen. Vierter Band. Berlin, 1873.

Bild:
<< vorherige Seite

Friedhöfe. XVIII.
bis hoch auf den Berg die schattigen Hänge. Unter breiten schir-
menden Wipfeln kauern die malerischen Häuschen der Todten-
gräber, mit steinbeschwertem Schindeldach, wie in deutschen Ge-
birgen, und von wucherndem Epheu umklammert. Selbst grössere
Denkmäler überzieht die feuchte Frische dieser Hänge bald mit
üppigem Grün.41) -- Da lagerte man im köstlichen Schatten mit
dem Blick auf die Stadt und die herrliche Bai, wo in jedem Winkel
Tempel und Dörfchen aus dunkelen Büschen vorlugen, auf steile
Felsgestade, stille Buchten und ferne bewaldete Kämme; nur die
höchsten Kuppen sind kahl und mit zackigen Klippen bekrönt. --
Wunderschön bauen sich die hochgelegenen Friedhöfe über mäch-
tigen Strebemauern auf, wo ein lichter Wald riesiger Kampherbäume
die bemoosten von Erdbeben übereinandergestürzten Steine schirmt.
Auch hier begegnet man Wanderern; denn der Japaner liebt die
Natur ganz wie wir und ergeht sich an schönen Tagen gern mit
Weib und Kind auf den alten Todtenäckern. Oft begegnete es
dem Verfasser, dass feingekleidete Männer aus dem Bürgerstande
ihn dort freundlich anredeten, bei der Hand fassten und eine Weile
neben ihm hergingen; nur wenige Worte waren ihm verständlich,
aber die innige Freude an der Natur und am Mitgenuss eines Gleich-
gestimmten sprach unzweideutig aus jeder Gebehrde. Die Frau und
Tochter des Lustwandelnden folgten dann etwa in heiterem Ge-
spräch und wurden oft durch einen Scherz in die Unterhaltung ge-
zogen. Ihr Wesen zeugte von innigem Familienglück, dem zartesten
Freundschaftsverhältniss und derjenigen Freude an der landschaft-
lichen Natur, welche überall nur in höherer Gesittung wurzelt.

Die Pietät des Japaners für die Gräber seiner Lieben wird
mit Recht gerühmt, selbst vor alten bemoosten Steinen sieht man
frisches Grün und Blumen. Oft belauschte ich an den einsamsten
Stellen Leute aus dem Volk, die in langem stillem Gebet vor den
Gräbern knieten. Eine hübsche junge Frau stellte niedliches Spiel-
zeug bei der Ruhestätte ihres Kindes auf und schied mit thränen-
schwerem Blick. Das Gewand der Leidtragenden ist weiss wie in
China; die leuchtenden Frauengestalten erscheinen im dunkelen
Schattengrün zwischen den grauen Denksteinen wandelnd oft wun-
dersam gespenstisch.

41) Schwache Versuche der Darstellung dieser Landschaften finden sich im II. Bande
dieses Werkes und im V. Heft der Ansichten aus Japan, China und Siam.

Friedhöfe. XVIII.
bis hoch auf den Berg die schattigen Hänge. Unter breiten schir-
menden Wipfeln kauern die malerischen Häuschen der Todten-
gräber, mit steinbeschwertem Schindeldach, wie in deutschen Ge-
birgen, und von wucherndem Epheu umklammert. Selbst grössere
Denkmäler überzieht die feuchte Frische dieser Hänge bald mit
üppigem Grün.41) — Da lagerte man im köstlichen Schatten mit
dem Blick auf die Stadt und die herrliche Bai, wo in jedem Winkel
Tempel und Dörfchen aus dunkelen Büschen vorlugen, auf steile
Felsgestade, stille Buchten und ferne bewaldete Kämme; nur die
höchsten Kuppen sind kahl und mit zackigen Klippen bekrönt. —
Wunderschön bauen sich die hochgelegenen Friedhöfe über mäch-
tigen Strebemauern auf, wo ein lichter Wald riesiger Kampherbäume
die bemoosten von Erdbeben übereinandergestürzten Steine schirmt.
Auch hier begegnet man Wanderern; denn der Japaner liebt die
Natur ganz wie wir und ergeht sich an schönen Tagen gern mit
Weib und Kind auf den alten Todtenäckern. Oft begegnete es
dem Verfasser, dass feingekleidete Männer aus dem Bürgerstande
ihn dort freundlich anredeten, bei der Hand fassten und eine Weile
neben ihm hergingen; nur wenige Worte waren ihm verständlich,
aber die innige Freude an der Natur und am Mitgenuss eines Gleich-
gestimmten sprach unzweideutig aus jeder Gebehrde. Die Frau und
Tochter des Lustwandelnden folgten dann etwa in heiterem Ge-
spräch und wurden oft durch einen Scherz in die Unterhaltung ge-
zogen. Ihr Wesen zeugte von innigem Familienglück, dem zartesten
Freundschaftsverhältniss und derjenigen Freude an der landschaft-
lichen Natur, welche überall nur in höherer Gesittung wurzelt.

Die Pietät des Japaners für die Gräber seiner Lieben wird
mit Recht gerühmt, selbst vor alten bemoosten Steinen sieht man
frisches Grün und Blumen. Oft belauschte ich an den einsamsten
Stellen Leute aus dem Volk, die in langem stillem Gebet vor den
Gräbern knieten. Eine hübsche junge Frau stellte niedliches Spiel-
zeug bei der Ruhestätte ihres Kindes auf und schied mit thränen-
schwerem Blick. Das Gewand der Leidtragenden ist weiss wie in
China; die leuchtenden Frauengestalten erscheinen im dunkelen
Schattengrün zwischen den grauen Denksteinen wandelnd oft wun-
dersam gespenstisch.

41) Schwache Versuche der Darstellung dieser Landschaften finden sich im II. Bande
dieses Werkes und im V. Heft der Ansichten aus Japan, China und Siam.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0186" n="172"/><fw place="top" type="header">Friedhöfe. XVIII.</fw><lb/>
bis hoch auf den Berg die schattigen Hänge. Unter breiten schir-<lb/>
menden Wipfeln kauern die malerischen Häuschen der Todten-<lb/>
gräber, mit steinbeschwertem Schindeldach, wie in deutschen Ge-<lb/>
birgen, und von wucherndem Epheu umklammert. Selbst grössere<lb/>
Denkmäler überzieht die feuchte Frische dieser Hänge bald mit<lb/>
üppigem Grün.<note place="foot" n="41)">Schwache Versuche der Darstellung dieser Landschaften finden sich im II. Bande<lb/>
dieses Werkes und im V. Heft der Ansichten aus <placeName>Japan</placeName>, <placeName>China</placeName> und <placeName>Siam</placeName>.</note> &#x2014; Da lagerte man im köstlichen Schatten mit<lb/>
dem Blick auf die Stadt und die herrliche Bai, wo in jedem Winkel<lb/>
Tempel und Dörfchen aus dunkelen Büschen vorlugen, auf steile<lb/>
Felsgestade, stille Buchten und ferne bewaldete Kämme; nur die<lb/>
höchsten Kuppen sind kahl und mit zackigen Klippen bekrönt. &#x2014;<lb/>
Wunderschön bauen sich die hochgelegenen Friedhöfe über mäch-<lb/>
tigen Strebemauern auf, wo ein lichter Wald riesiger Kampherbäume<lb/>
die bemoosten von Erdbeben übereinandergestürzten Steine schirmt.<lb/>
Auch hier begegnet man Wanderern; denn der Japaner liebt die<lb/>
Natur ganz wie wir und ergeht sich an schönen Tagen gern mit<lb/>
Weib und Kind auf den alten Todtenäckern. Oft begegnete es<lb/>
dem Verfasser, dass feingekleidete Männer aus dem Bürgerstande<lb/>
ihn dort freundlich anredeten, bei der Hand fassten und eine Weile<lb/>
neben ihm hergingen; nur wenige Worte waren ihm verständlich,<lb/>
aber die innige Freude an der Natur und am Mitgenuss eines Gleich-<lb/>
gestimmten sprach unzweideutig aus jeder Gebehrde. Die Frau und<lb/>
Tochter des Lustwandelnden folgten dann etwa in heiterem Ge-<lb/>
spräch und wurden oft durch einen Scherz in die Unterhaltung ge-<lb/>
zogen. Ihr Wesen zeugte von innigem Familienglück, dem zartesten<lb/>
Freundschaftsverhältniss und derjenigen Freude an der landschaft-<lb/>
lichen Natur, welche überall nur in höherer Gesittung wurzelt.</p><lb/>
          <p>Die Pietät des Japaners für die Gräber seiner Lieben wird<lb/>
mit Recht gerühmt, selbst vor alten bemoosten Steinen sieht man<lb/>
frisches Grün und Blumen. Oft belauschte ich an den einsamsten<lb/>
Stellen Leute aus dem Volk, die in langem stillem Gebet vor den<lb/>
Gräbern knieten. Eine hübsche junge Frau stellte niedliches Spiel-<lb/>
zeug bei der Ruhestätte ihres Kindes auf und schied mit thränen-<lb/>
schwerem Blick. Das Gewand der Leidtragenden ist weiss wie in<lb/><placeName>China</placeName>; die leuchtenden Frauengestalten erscheinen im dunkelen<lb/>
Schattengrün zwischen den grauen Denksteinen wandelnd oft wun-<lb/>
dersam gespenstisch.</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[172/0186] Friedhöfe. XVIII. bis hoch auf den Berg die schattigen Hänge. Unter breiten schir- menden Wipfeln kauern die malerischen Häuschen der Todten- gräber, mit steinbeschwertem Schindeldach, wie in deutschen Ge- birgen, und von wucherndem Epheu umklammert. Selbst grössere Denkmäler überzieht die feuchte Frische dieser Hänge bald mit üppigem Grün. 41) — Da lagerte man im köstlichen Schatten mit dem Blick auf die Stadt und die herrliche Bai, wo in jedem Winkel Tempel und Dörfchen aus dunkelen Büschen vorlugen, auf steile Felsgestade, stille Buchten und ferne bewaldete Kämme; nur die höchsten Kuppen sind kahl und mit zackigen Klippen bekrönt. — Wunderschön bauen sich die hochgelegenen Friedhöfe über mäch- tigen Strebemauern auf, wo ein lichter Wald riesiger Kampherbäume die bemoosten von Erdbeben übereinandergestürzten Steine schirmt. Auch hier begegnet man Wanderern; denn der Japaner liebt die Natur ganz wie wir und ergeht sich an schönen Tagen gern mit Weib und Kind auf den alten Todtenäckern. Oft begegnete es dem Verfasser, dass feingekleidete Männer aus dem Bürgerstande ihn dort freundlich anredeten, bei der Hand fassten und eine Weile neben ihm hergingen; nur wenige Worte waren ihm verständlich, aber die innige Freude an der Natur und am Mitgenuss eines Gleich- gestimmten sprach unzweideutig aus jeder Gebehrde. Die Frau und Tochter des Lustwandelnden folgten dann etwa in heiterem Ge- spräch und wurden oft durch einen Scherz in die Unterhaltung ge- zogen. Ihr Wesen zeugte von innigem Familienglück, dem zartesten Freundschaftsverhältniss und derjenigen Freude an der landschaft- lichen Natur, welche überall nur in höherer Gesittung wurzelt. Die Pietät des Japaners für die Gräber seiner Lieben wird mit Recht gerühmt, selbst vor alten bemoosten Steinen sieht man frisches Grün und Blumen. Oft belauschte ich an den einsamsten Stellen Leute aus dem Volk, die in langem stillem Gebet vor den Gräbern knieten. Eine hübsche junge Frau stellte niedliches Spiel- zeug bei der Ruhestätte ihres Kindes auf und schied mit thränen- schwerem Blick. Das Gewand der Leidtragenden ist weiss wie in China; die leuchtenden Frauengestalten erscheinen im dunkelen Schattengrün zwischen den grauen Denksteinen wandelnd oft wun- dersam gespenstisch. 41) Schwache Versuche der Darstellung dieser Landschaften finden sich im II. Bande dieses Werkes und im V. Heft der Ansichten aus Japan, China und Siam.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/berg_ostasien04_1873
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/berg_ostasien04_1873/186
Zitationshilfe: Martens, Georg von: Die preussische Expedition nach Ost-Asien. Nach amtlichen Quellen. Vierter Band. Berlin, 1873, S. 172. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/berg_ostasien04_1873/186>, abgerufen am 25.11.2024.