Die dolmetschenden Gesandtschaftssecretäre und vorzüglich Herr Hart, der seit Kurzem die früher von Mr. Horatio NelsonLay bekleidete Stellung eines Ober-Intendanten aller Zollämter für den ausländischen Handel in China hatte und einige Sommermonate in Pe-kin zubrachte, kamen mit dem Prinzen von Kun und den ihm beigeordneten Ministern fast täglich in Berührung. Schon nach wenigen Besuchen trat in diesem Verkehr an die Stelle des steifen amtlichen der unbefangene Ton freundschaftlicher Unterhaltung. Namentlich schienen der Prinz und Wen-sian allen Argwohn ab- gestreift zu haben; sie zeigten den Fremden volles Vertrauen und suchten deren Rath und Belehrung. Wen-sian arbeitete redlich und angestrengt, um sich über europäische Verhältnisse zu unter- richten, mit dem ernsten Willen, daraus Nutzen zu ziehen für poli- tische und militärische Reformen in seinem Vaterlande, zunächst aber die Zolleinrichtungen und die Verwaltung der auswärtigen An- gelegenheiten mit den gerechten Ansprüchen der Fremden in Ein- klang zu setzen. Bei näherer Bekanntschaft äusserten die Minister häufig naives Erstaunen darüber, in den Europäern gewissenhafte, redliche Männer von Geist und Bildung zu finden, deren sittliche Grundsätze und Rechtsbewusstsein in allem Wesentlichen mit dem chinesischen "Li", dem in der göttlichen Weltordnung und altem Brauch begründeten Gefühl für Recht und Schicklichkeit in vollem Einklang standen, so sonderbar auch ihre Lebensanschauungen in Verhältnissen davon abwichen, die nicht in der menschlichen Na- tur, sondern in Convenienzen wurzeln. Sie bewunderten oft die der christlichen Cultur eigene Humanität, Selbstlosigkeit und edele Gesinnung, die sich in den alltäglichen Beziehungen zum Nächsten ausspricht, und gestanden offen, dass sie bis zu den letzten Kriegen keine Ahnung gehabt hätten, weder von der Macht und Bedeutung der fremden Völker, noch von deren Gesittung. Es lag im Interesse der Behörden in Kan-ton, dem Hof von Pe-kin alle Fremden als Barbaren darzustellen, dessen Wahn zu hegen, dass sie seegeborne Ungeheuer mit Schwimmfüssen seien, die, im Wasser heimisch, sich auf dem Lande nur schwerfällig, etwa wie Seehunde bewegten, und im Dunkeln am besten sähen. Das glaubten nach eigenem Ge- ständniss noch Leute aus den besten Classen in Pe-kin, als die Alliirten 1858 in Tien-tsin standen. -- Im Kriege hatten die Chi- nesen einzelne schlimme Erfahrungen gemacht und diese traten, wie alle derartigen Ausnahmen, in den Vordergrund gegen das im
Haltung der Grossen. XVII.
Die dolmetschenden Gesandtschaftssecretäre und vorzüglich Herr Hart, der seit Kurzem die früher von Mr. Horatio NelsonLay bekleidete Stellung eines Ober-Intendanten aller Zollämter für den ausländischen Handel in China hatte und einige Sommermonate in Pe-kiṅ zubrachte, kamen mit dem Prinzen von Kuṅ und den ihm beigeordneten Ministern fast täglich in Berührung. Schon nach wenigen Besuchen trat in diesem Verkehr an die Stelle des steifen amtlichen der unbefangene Ton freundschaftlicher Unterhaltung. Namentlich schienen der Prinz und Wen-siaṅ allen Argwohn ab- gestreift zu haben; sie zeigten den Fremden volles Vertrauen und suchten deren Rath und Belehrung. Wen-siaṅ arbeitete redlich und angestrengt, um sich über europäische Verhältnisse zu unter- richten, mit dem ernsten Willen, daraus Nutzen zu ziehen für poli- tische und militärische Reformen in seinem Vaterlande, zunächst aber die Zolleinrichtungen und die Verwaltung der auswärtigen An- gelegenheiten mit den gerechten Ansprüchen der Fremden in Ein- klang zu setzen. Bei näherer Bekanntschaft äusserten die Minister häufig naives Erstaunen darüber, in den Europäern gewissenhafte, redliche Männer von Geist und Bildung zu finden, deren sittliche Grundsätze und Rechtsbewusstsein in allem Wesentlichen mit dem chinesischen »Li«, dem in der göttlichen Weltordnung und altem Brauch begründeten Gefühl für Recht und Schicklichkeit in vollem Einklang standen, so sonderbar auch ihre Lebensanschauungen in Verhältnissen davon abwichen, die nicht in der menschlichen Na- tur, sondern in Convenienzen wurzeln. Sie bewunderten oft die der christlichen Cultur eigene Humanität, Selbstlosigkeit und edele Gesinnung, die sich in den alltäglichen Beziehungen zum Nächsten ausspricht, und gestanden offen, dass sie bis zu den letzten Kriegen keine Ahnung gehabt hätten, weder von der Macht und Bedeutung der fremden Völker, noch von deren Gesittung. Es lag im Interesse der Behörden in Kan-ton, dem Hof von Pe-kiṅ alle Fremden als Barbaren darzustellen, dessen Wahn zu hegen, dass sie seegeborne Ungeheuer mit Schwimmfüssen seien, die, im Wasser heimisch, sich auf dem Lande nur schwerfällig, etwa wie Seehunde bewegten, und im Dunkeln am besten sähen. Das glaubten nach eigenem Ge- ständniss noch Leute aus den besten Classen in Pe-kiṅ, als die Alliirten 1858 in Tien-tsin standen. — Im Kriege hatten die Chi- nesen einzelne schlimme Erfahrungen gemacht und diese traten, wie alle derartigen Ausnahmen, in den Vordergrund gegen das im
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Haltung der Grossen. XVII.
Die dolmetschenden Gesandtschaftssecretäre und vorzüglich
Herr Hart, der seit Kurzem die früher von Mr. Horatio Nelson Lay
bekleidete Stellung eines Ober-Intendanten aller Zollämter für den
ausländischen Handel in China hatte und einige Sommermonate in
Pe-kiṅ zubrachte, kamen mit dem Prinzen von Kuṅ und den ihm
beigeordneten Ministern fast täglich in Berührung. Schon nach
wenigen Besuchen trat in diesem Verkehr an die Stelle des steifen
amtlichen der unbefangene Ton freundschaftlicher Unterhaltung.
Namentlich schienen der Prinz und Wen-siaṅ allen Argwohn ab-
gestreift zu haben; sie zeigten den Fremden volles Vertrauen und
suchten deren Rath und Belehrung. Wen-siaṅ arbeitete redlich
und angestrengt, um sich über europäische Verhältnisse zu unter-
richten, mit dem ernsten Willen, daraus Nutzen zu ziehen für poli-
tische und militärische Reformen in seinem Vaterlande, zunächst
aber die Zolleinrichtungen und die Verwaltung der auswärtigen An-
gelegenheiten mit den gerechten Ansprüchen der Fremden in Ein-
klang zu setzen. Bei näherer Bekanntschaft äusserten die Minister
häufig naives Erstaunen darüber, in den Europäern gewissenhafte,
redliche Männer von Geist und Bildung zu finden, deren sittliche
Grundsätze und Rechtsbewusstsein in allem Wesentlichen mit dem
chinesischen »Li«, dem in der göttlichen Weltordnung und altem
Brauch begründeten Gefühl für Recht und Schicklichkeit in vollem
Einklang standen, so sonderbar auch ihre Lebensanschauungen in
Verhältnissen davon abwichen, die nicht in der menschlichen Na-
tur, sondern in Convenienzen wurzeln. Sie bewunderten oft die
der christlichen Cultur eigene Humanität, Selbstlosigkeit und edele
Gesinnung, die sich in den alltäglichen Beziehungen zum Nächsten
ausspricht, und gestanden offen, dass sie bis zu den letzten Kriegen
keine Ahnung gehabt hätten, weder von der Macht und Bedeutung
der fremden Völker, noch von deren Gesittung. Es lag im Interesse
der Behörden in Kan-ton, dem Hof von Pe-kiṅ alle Fremden als
Barbaren darzustellen, dessen Wahn zu hegen, dass sie seegeborne
Ungeheuer mit Schwimmfüssen seien, die, im Wasser heimisch,
sich auf dem Lande nur schwerfällig, etwa wie Seehunde bewegten,
und im Dunkeln am besten sähen. Das glaubten nach eigenem Ge-
ständniss noch Leute aus den besten Classen in Pe-kiṅ, als die
Alliirten 1858 in Tien-tsin standen. — Im Kriege hatten die Chi-
nesen einzelne schlimme Erfahrungen gemacht und diese traten,
wie alle derartigen Ausnahmen, in den Vordergrund gegen das im
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Martens, Georg von: Die preussische Expedition nach Ost-Asien. Nach amtlichen Quellen. Vierter Band. Berlin, 1873, S. 148. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/berg_ostasien04_1873/162>, abgerufen am 27.11.2024.
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