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Martens, Georg von: Die preussische Expedition nach Ost-Asien. Nach amtlichen Quellen. Vierter Band. Berlin, 1873.

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XVII. Tun-tsau.

Am Abend des 11. September gelangten die Boote nach
Yan-sun, am 12. nach Ho-si-wu. Die dritte Nacht wurde bei
Ma-tau gerastet. Das Gebirge hinter Pe-kin, das schon am 13. Sep-
tember im Nordwesten aufdämmerte, rückte am 14. immer näher.
Nachmittags wurde die Pagode von Tun-tsau sichtbar; die Reisen-
den stiegen aus und trafen, am Ufer wandernd, Dr. Lucius, Maler
Berg und Herrn de Meritens, der aus Pe-kin angekommen war. --
Vor Tun-tsau verengt sich der Fluss; mühsam arbeiteten sich die
Boote durch das Dschunken-Gedränge.

Die Stadt ist reinlicher, dem Aussehn der Gassen nach we-
niger volkreich als Tien-tsin, das Mauerviereck nicht so regel-
mässig und in argem Verfall; an vielen Stellen sind die Zinnen zer-
stört, der Mauerweg eingesunken. Jede Front hat ihr Thor; an
die Eckthürme lehnen malerische Häuser. Das merkwürdigste
Bauwerk ist die dreizehnstöckige Pagode in der nordwestlichen
Ecke der Stadt; der achteckige Unterbau aus grossen Quadern
macht den Eindruck hohen Alters; das Erdgeschoss krönt eine
mächtige Lotosblume, ebenfalls von Quadern, aus welcher der drei-
zehnstöckige Thurm fast ohne Verjüngung emporwächst. Die ge-
drückten Stockwerke, eine Reihe aufeinandergestülpter vorspringen-
der Dächer aus Holz und Ziegeln, haben weder Galerieen noch
Thüren oder Fenster. Die Spitze krönt ein Zierrath aus vielen in
einander verschlungenen Metallreifen, einem Astrolabium ähnlich,
vielleicht eine symbolische Darstellung des Himmels. -- Man schreibt
der Pagode hohes Alter zu; ihre Bauart unterscheidet sich wesent-
lich von der der süd- und mittelchinesischen, gleicht dagegen der-
jenigen der Pagoden in Pe-kin und scheint typisch zu sein für den
Norden des Reiches.

Die Umgebung von Tun-tsau ist freundlich: prächtige Baum-
gruppen, bunte Tempel und hübsche steinerne Brücken spiegeln
sich in künstlichen Wasserbecken, welche der von Pe-kin herab-
fliessende Canal speist. Leider begann es am Abend des 14. Sep-
tember zu regnen; am folgenden Morgen waren die Wege durch-
weicht. Gegen acht gelang es, die Karren mit dem Gepäck in
Marsch zu setzen; bald darauf empfing der Gesandte die Spitzen
der Behörden, die sich zur Begrüssung einfanden, und brach dann
zu Pferde nach Pe-kin auf. Der Himmel hing voll schwerer Regen-
wolken, die Luft war dick und feucht, doch sprühten nur leichte
Schauer auf uns herab.

XVII. Tuṅ-tšau.

Am Abend des 11. September gelangten die Boote nach
Yaṅ-sun, am 12. nach Ho-si-wu. Die dritte Nacht wurde bei
Ma-tau gerastet. Das Gebirge hinter Pe-kiṅ, das schon am 13. Sep-
tember im Nordwesten aufdämmerte, rückte am 14. immer näher.
Nachmittags wurde die Pagode von Tuṅ-tšau sichtbar; die Reisen-
den stiegen aus und trafen, am Ufer wandernd, Dr. Lucius, Maler
Berg und Herrn de Méritens, der aus Pe-kiṅ angekommen war. —
Vor Tuṅ-tšau verengt sich der Fluss; mühsam arbeiteten sich die
Boote durch das Dschunken-Gedränge.

Die Stadt ist reinlicher, dem Aussehn der Gassen nach we-
niger volkreich als Tien-tsin, das Mauerviereck nicht so regel-
mässig und in argem Verfall; an vielen Stellen sind die Zinnen zer-
stört, der Mauerweg eingesunken. Jede Front hat ihr Thor; an
die Eckthürme lehnen malerische Häuser. Das merkwürdigste
Bauwerk ist die dreizehnstöckige Pagode in der nordwestlichen
Ecke der Stadt; der achteckige Unterbau aus grossen Quadern
macht den Eindruck hohen Alters; das Erdgeschoss krönt eine
mächtige Lotosblume, ebenfalls von Quadern, aus welcher der drei-
zehnstöckige Thurm fast ohne Verjüngung emporwächst. Die ge-
drückten Stockwerke, eine Reihe aufeinandergestülpter vorspringen-
der Dächer aus Holz und Ziegeln, haben weder Galerieen noch
Thüren oder Fenster. Die Spitze krönt ein Zierrath aus vielen in
einander verschlungenen Metallreifen, einem Astrolabium ähnlich,
vielleicht eine symbolische Darstellung des Himmels. — Man schreibt
der Pagode hohes Alter zu; ihre Bauart unterscheidet sich wesent-
lich von der der süd- und mittelchinesischen, gleicht dagegen der-
jenigen der Pagoden in Pe-kiṅ und scheint typisch zu sein für den
Norden des Reiches.

Die Umgebung von Tuṅ-tšau ist freundlich: prächtige Baum-
gruppen, bunte Tempel und hübsche steinerne Brücken spiegeln
sich in künstlichen Wasserbecken, welche der von Pe-kiṅ herab-
fliessende Canal speist. Leider begann es am Abend des 14. Sep-
tember zu regnen; am folgenden Morgen waren die Wege durch-
weicht. Gegen acht gelang es, die Karren mit dem Gepäck in
Marsch zu setzen; bald darauf empfing der Gesandte die Spitzen
der Behörden, die sich zur Begrüssung einfanden, und brach dann
zu Pferde nach Pe-kiṅ auf. Der Himmel hing voll schwerer Regen-
wolken, die Luft war dick und feucht, doch sprühten nur leichte
Schauer auf uns herab.

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[101/0115] XVII. Tuṅ-tšau. Am Abend des 11. September gelangten die Boote nach Yaṅ-sun, am 12. nach Ho-si-wu. Die dritte Nacht wurde bei Ma-tau gerastet. Das Gebirge hinter Pe-kiṅ, das schon am 13. Sep- tember im Nordwesten aufdämmerte, rückte am 14. immer näher. Nachmittags wurde die Pagode von Tuṅ-tšau sichtbar; die Reisen- den stiegen aus und trafen, am Ufer wandernd, Dr. Lucius, Maler Berg und Herrn de Méritens, der aus Pe-kiṅ angekommen war. — Vor Tuṅ-tšau verengt sich der Fluss; mühsam arbeiteten sich die Boote durch das Dschunken-Gedränge. Die Stadt ist reinlicher, dem Aussehn der Gassen nach we- niger volkreich als Tien-tsin, das Mauerviereck nicht so regel- mässig und in argem Verfall; an vielen Stellen sind die Zinnen zer- stört, der Mauerweg eingesunken. Jede Front hat ihr Thor; an die Eckthürme lehnen malerische Häuser. Das merkwürdigste Bauwerk ist die dreizehnstöckige Pagode in der nordwestlichen Ecke der Stadt; der achteckige Unterbau aus grossen Quadern macht den Eindruck hohen Alters; das Erdgeschoss krönt eine mächtige Lotosblume, ebenfalls von Quadern, aus welcher der drei- zehnstöckige Thurm fast ohne Verjüngung emporwächst. Die ge- drückten Stockwerke, eine Reihe aufeinandergestülpter vorspringen- der Dächer aus Holz und Ziegeln, haben weder Galerieen noch Thüren oder Fenster. Die Spitze krönt ein Zierrath aus vielen in einander verschlungenen Metallreifen, einem Astrolabium ähnlich, vielleicht eine symbolische Darstellung des Himmels. — Man schreibt der Pagode hohes Alter zu; ihre Bauart unterscheidet sich wesent- lich von der der süd- und mittelchinesischen, gleicht dagegen der- jenigen der Pagoden in Pe-kiṅ und scheint typisch zu sein für den Norden des Reiches. Die Umgebung von Tuṅ-tšau ist freundlich: prächtige Baum- gruppen, bunte Tempel und hübsche steinerne Brücken spiegeln sich in künstlichen Wasserbecken, welche der von Pe-kiṅ herab- fliessende Canal speist. Leider begann es am Abend des 14. Sep- tember zu regnen; am folgenden Morgen waren die Wege durch- weicht. Gegen acht gelang es, die Karren mit dem Gepäck in Marsch zu setzen; bald darauf empfing der Gesandte die Spitzen der Behörden, die sich zur Begrüssung einfanden, und brach dann zu Pferde nach Pe-kiṅ auf. Der Himmel hing voll schwerer Regen- wolken, die Luft war dick und feucht, doch sprühten nur leichte Schauer auf uns herab.

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Zitationshilfe: Martens, Georg von: Die preussische Expedition nach Ost-Asien. Nach amtlichen Quellen. Vierter Band. Berlin, 1873, S. 101. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/berg_ostasien04_1873/115>, abgerufen am 24.11.2024.