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[Berg, Albert]: Die preussische Expedition nach Ost-Asien. Bd. 3. Berlin, 1873.

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XIII. Aussichten für den Vertrag.
keineswegs überwunden; sie müssten jeden Schritt vermeiden, der
einer Begünstigung der Fremden gliche und dürften gewiss nicht
neue Verträge in Vorschlag bringen. Sie im Amte zu erhalten,
durch Vorsicht und Vermeidung jeden Anstosses allmälig auch das
Vertrauen des Kaisers zu gewinnen, sei jetzt die wichtigste Auf-
gabe der Gesandten. -- Herr Bruce glaubte, dass Preussen wohl
das Zugeständniss aller den Unterthanen der Vertragsmächte ge-
währten commerciellen Vortheile erlangen würde, da die Deutschen
diese ja in allen geöffneten Häfen schon wirklich genössen, und es
China nur nutzen könne, wenn sie unter die Jurisdiction von Con-
suln gestellt würden: zu Abschluss eines politischen Vertrages
aber sei wenig Aussicht, und das Ansinnen, einen preussischen Ge-
sandten in Pe-kin zu empfangen, werde auf zähen Widerstand
stossen. Beiden Gesandten schien sehr ungelegen, dass Graf Eulen-
burg
die chinesische Regierung durch sein Erscheinen in Tien-tsin
erschrecken wolle, statt seine Anträge an den kaiserlichen Com-
missar in Shang-hae zu richten und den Eindruck dort abzuwarten.

Wie wenig von solchem Verhalten zu erwarten gewesen
wäre, lehrte die Vergangenheit. Hatte es doch im diplomatischen
Verkehr mit China immer die grösste Schwierigkeit gemacht, die
Bevollmächtigten zu wahrhaftigen Berichten an den Kaiser zu ver-
mögen. Nicht nur erschwerte das die Verhandlungen, sondern es
machte die Verträge illusorisch, weil die contrahirenden Partheien
von verschiedener Auffassung ausgingen. Vor Allem wusste man
aber, dass die chinesische Regierung niemals ausreichende Voll-
machten zu selbstständigem Handeln nach Instructionen ertheilte,
dass ihre Commissare über jeden irgend wichtigen Punct an den
Kaiser berichten und dessen Entscheidung abwarten mussten. Das
erfuhr nachher Graf Eulenburg reichlich bei den Verhandlungen in
Tien-tsin. So viel Tage er aber durch das Hin und Her zwischen
Tien-tsin, Pe-kin und Dzehol verlor, so viel Monate hätte er in
Shang-hae verloren. Nur persönliche Einwirkung auf die Behör-
den in Pe-kin konnte zum Ziele führen. Wie richtig der Gesandte
handelte, bewies der Erfolg, trotz den grossen Schwierigkeiten, die
er zu besiegen hatte; in Shang-hae wären sie unüberwindlich ge-
wesen, ein politischer Vertrag nie erreicht worden. Den Gesandten
von England und Frankreich musste bei ihrer delicaten Stellung
Graf Eulenburgs Ankunft unbequem sein; denn sie sollten jeden
Anstoss vermeiden und, ohne sich etwas zu vergeben, eine vor-

XIII. Aussichten für den Vertrag.
keineswegs überwunden; sie müssten jeden Schritt vermeiden, der
einer Begünstigung der Fremden gliche und dürften gewiss nicht
neue Verträge in Vorschlag bringen. Sie im Amte zu erhalten,
durch Vorsicht und Vermeidung jeden Anstosses allmälig auch das
Vertrauen des Kaisers zu gewinnen, sei jetzt die wichtigste Auf-
gabe der Gesandten. — Herr Bruce glaubte, dass Preussen wohl
das Zugeständniss aller den Unterthanen der Vertragsmächte ge-
währten commerciellen Vortheile erlangen würde, da die Deutschen
diese ja in allen geöffneten Häfen schon wirklich genössen, und es
China nur nutzen könne, wenn sie unter die Jurisdiction von Con-
suln gestellt würden: zu Abschluss eines politischen Vertrages
aber sei wenig Aussicht, und das Ansinnen, einen preussischen Ge-
sandten in Pe-kiṅ zu empfangen, werde auf zähen Widerstand
stossen. Beiden Gesandten schien sehr ungelegen, dass Graf Eulen-
burg
die chinesische Regierung durch sein Erscheinen in Tien-tsin
erschrecken wolle, statt seine Anträge an den kaiserlichen Com-
missar in Shang-hae zu richten und den Eindruck dort abzuwarten.

Wie wenig von solchem Verhalten zu erwarten gewesen
wäre, lehrte die Vergangenheit. Hatte es doch im diplomatischen
Verkehr mit China immer die grösste Schwierigkeit gemacht, die
Bevollmächtigten zu wahrhaftigen Berichten an den Kaiser zu ver-
mögen. Nicht nur erschwerte das die Verhandlungen, sondern es
machte die Verträge illusorisch, weil die contrahirenden Partheien
von verschiedener Auffassung ausgingen. Vor Allem wusste man
aber, dass die chinesische Regierung niemals ausreichende Voll-
machten zu selbstständigem Handeln nach Instructionen ertheilte,
dass ihre Commissare über jeden irgend wichtigen Punct an den
Kaiser berichten und dessen Entscheidung abwarten mussten. Das
erfuhr nachher Graf Eulenburg reichlich bei den Verhandlungen in
Tien-tsin. So viel Tage er aber durch das Hin und Her zwischen
Tien-tsin, Pe-kiṅ und Džehol verlor, so viel Monate hätte er in
Shang-hae verloren. Nur persönliche Einwirkung auf die Behör-
den in Pe-kiṅ konnte zum Ziele führen. Wie richtig der Gesandte
handelte, bewies der Erfolg, trotz den grossen Schwierigkeiten, die
er zu besiegen hatte; in Shang-hae wären sie unüberwindlich ge-
wesen, ein politischer Vertrag nie erreicht worden. Den Gesandten
von England und Frankreich musste bei ihrer delicaten Stellung
Graf Eulenburgs Ankunft unbequem sein; denn sie sollten jeden
Anstoss vermeiden und, ohne sich etwas zu vergeben, eine vor-

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[423/0445] XIII. Aussichten für den Vertrag. keineswegs überwunden; sie müssten jeden Schritt vermeiden, der einer Begünstigung der Fremden gliche und dürften gewiss nicht neue Verträge in Vorschlag bringen. Sie im Amte zu erhalten, durch Vorsicht und Vermeidung jeden Anstosses allmälig auch das Vertrauen des Kaisers zu gewinnen, sei jetzt die wichtigste Auf- gabe der Gesandten. — Herr Bruce glaubte, dass Preussen wohl das Zugeständniss aller den Unterthanen der Vertragsmächte ge- währten commerciellen Vortheile erlangen würde, da die Deutschen diese ja in allen geöffneten Häfen schon wirklich genössen, und es China nur nutzen könne, wenn sie unter die Jurisdiction von Con- suln gestellt würden: zu Abschluss eines politischen Vertrages aber sei wenig Aussicht, und das Ansinnen, einen preussischen Ge- sandten in Pe-kiṅ zu empfangen, werde auf zähen Widerstand stossen. Beiden Gesandten schien sehr ungelegen, dass Graf Eulen- burg die chinesische Regierung durch sein Erscheinen in Tien-tsin erschrecken wolle, statt seine Anträge an den kaiserlichen Com- missar in Shang-hae zu richten und den Eindruck dort abzuwarten. Wie wenig von solchem Verhalten zu erwarten gewesen wäre, lehrte die Vergangenheit. Hatte es doch im diplomatischen Verkehr mit China immer die grösste Schwierigkeit gemacht, die Bevollmächtigten zu wahrhaftigen Berichten an den Kaiser zu ver- mögen. Nicht nur erschwerte das die Verhandlungen, sondern es machte die Verträge illusorisch, weil die contrahirenden Partheien von verschiedener Auffassung ausgingen. Vor Allem wusste man aber, dass die chinesische Regierung niemals ausreichende Voll- machten zu selbstständigem Handeln nach Instructionen ertheilte, dass ihre Commissare über jeden irgend wichtigen Punct an den Kaiser berichten und dessen Entscheidung abwarten mussten. Das erfuhr nachher Graf Eulenburg reichlich bei den Verhandlungen in Tien-tsin. So viel Tage er aber durch das Hin und Her zwischen Tien-tsin, Pe-kiṅ und Džehol verlor, so viel Monate hätte er in Shang-hae verloren. Nur persönliche Einwirkung auf die Behör- den in Pe-kiṅ konnte zum Ziele führen. Wie richtig der Gesandte handelte, bewies der Erfolg, trotz den grossen Schwierigkeiten, die er zu besiegen hatte; in Shang-hae wären sie unüberwindlich ge- wesen, ein politischer Vertrag nie erreicht worden. Den Gesandten von England und Frankreich musste bei ihrer delicaten Stellung Graf Eulenburgs Ankunft unbequem sein; denn sie sollten jeden Anstoss vermeiden und, ohne sich etwas zu vergeben, eine vor-

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Zitationshilfe: [Berg, Albert]: Die preussische Expedition nach Ost-Asien. Bd. 3. Berlin, 1873, S. 423. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/berg_ostasien03_1873/445>, abgerufen am 25.11.2024.