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[Berg, Albert]: Die preussische Expedition nach Ost-Asien. Bd. 3. Berlin, 1873.

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Mr. Roberts verlässt Nan-kin. XIII.
sie wagen? Ich verzweifelte nun am Erfolge der Mission und an jeder
guten Wirkung der Bewegung, -- sei es für die Religion, den Handel
oder staatliche Einrichtungen, und beschloss, sie zu verlassen, was ich
that am Montag, den 20. Januar 1862."

Das Schreiben zeichnet den Verfasser, der an dem Mord-
gesindel nicht verzweifelt, bis es ihn selbst bedroht. Er vergass
darin anzuführen, dass sein Diener nach den Gesetzen der Tae-pin
das Leben verwirkt hatte und durch sein Einschreiten der Todes-
strafe entzogen wurde; das wusste man an Bord des vor Nan-kin
ankernden englischen Kriegsschiffes Renard, welches Herrn
Roberts aufnahm. -- Den Tae-pin spricht sein Zeugniss dennoch
schlagend das Urtheil.

Es widersteht uns, zu glauben, dass eine Räuberbande von
Hunderttausenden, regiert von einem irrsinnigen Wütherich und
seinen Creaturen, Jahre lang als politische Macht bestehen konnte,
ohne in sich selbst zusammenzubrechen. Und doch war es so.
Selbst Hun-dzin, der milde freundliche Missionsprediger, wurde
zum Blutmenschen; Herrn Roberts rettete wohl nur seine christ-
liche Ergebung; sicher wünschte man, ihn los zu werden. Sonder-
barer Weise blieb er noch eine ganze Woche nach dem Morde in
Nan-kin: wahrscheinlich suchte er Recht beim Tien-wan, der ja
mit dem Leben seiner Untergebenen wenig Umstände machte, und
schied nur, weil er nicht bleiben konnte.

Bezeichnend ist die Thatsache, dass die gebildeten Stände
unter den Tae-pin fast gar nicht vertreten waren; Hun-siu-tsuen
muss allen weit überlegen gewesen sein. Die Angabe des Hun-
dzin
in seiner Erzählung vom früheren Leben des Tien-wan, dass
in Kuan-si viele Graduirte der ersten und zweiten Prüfung sich
der Bewegung angeschlossen hätten, wurde nachmals stark be-
zweifelt, da man gar keine Männer dieses Schlages unter ihnen
traf, da ihre Manifeste den geringsten Grad literarischer Bildung
verriethen. -- Consul Parkes äusserte gegen den Gesandten, dass
er unter den Tae-pin-Führern in Nan-kin nicht einen ernsten be-
wussten Mann gefunden habe, auf welchen Hoffnungen zu setzen
wären; sie schlemmten in Ueppigkeit, während die Stadt verödet
lag und das Gras auf den Strassen wuchs. Den Porcellanthurm,
Nan-kin's berühmtesten Bau. hatten sie muthwillig zerstört. 134)

134) Wir sahen in Shang-hae Stücke davon, welche aus feiner weisser Por-
cellanmasse bestanden.

Mr. Roberts verlässt Nan-kiṅ. XIII.
sie wagen? Ich verzweifelte nun am Erfolge der Mission und an jeder
guten Wirkung der Bewegung, — sei es für die Religion, den Handel
oder staatliche Einrichtungen, und beschloss, sie zu verlassen, was ich
that am Montag, den 20. Januar 1862.«

Das Schreiben zeichnet den Verfasser, der an dem Mord-
gesindel nicht verzweifelt, bis es ihn selbst bedroht. Er vergass
darin anzuführen, dass sein Diener nach den Gesetzen der Tae-piṅ
das Leben verwirkt hatte und durch sein Einschreiten der Todes-
strafe entzogen wurde; das wusste man an Bord des vor Nan-kiṅ
ankernden englischen Kriegsschiffes Renard, welches Herrn
Roberts aufnahm. — Den Tae-piṅ spricht sein Zeugniss dennoch
schlagend das Urtheil.

Es widersteht uns, zu glauben, dass eine Räuberbande von
Hunderttausenden, regiert von einem irrsinnigen Wütherich und
seinen Creaturen, Jahre lang als politische Macht bestehen konnte,
ohne in sich selbst zusammenzubrechen. Und doch war es so.
Selbst Huṅ-džin, der milde freundliche Missionsprediger, wurde
zum Blutmenschen; Herrn Roberts rettete wohl nur seine christ-
liche Ergebung; sicher wünschte man, ihn los zu werden. Sonder-
barer Weise blieb er noch eine ganze Woche nach dem Morde in
Nan-kiṅ: wahrscheinlich suchte er Recht beim Tien-waṅ, der ja
mit dem Leben seiner Untergebenen wenig Umstände machte, und
schied nur, weil er nicht bleiben konnte.

Bezeichnend ist die Thatsache, dass die gebildeten Stände
unter den Tae-piṅ fast gar nicht vertreten waren; Huṅ-siu-tsuen
muss allen weit überlegen gewesen sein. Die Angabe des Huṅ-
džin
in seiner Erzählung vom früheren Leben des Tien-waṅ, dass
in Kuaṅ-si viele Graduirte der ersten und zweiten Prüfung sich
der Bewegung angeschlossen hätten, wurde nachmals stark be-
zweifelt, da man gar keine Männer dieses Schlages unter ihnen
traf, da ihre Manifeste den geringsten Grad literarischer Bildung
verriethen. — Consul Parkes äusserte gegen den Gesandten, dass
er unter den Tae-piṅ-Führern in Nan-kiṅ nicht einen ernsten be-
wussten Mann gefunden habe, auf welchen Hoffnungen zu setzen
wären; sie schlemmten in Ueppigkeit, während die Stadt verödet
lag und das Gras auf den Strassen wuchs. Den Porcellanthurm,
Nan-kiṅ’s berühmtesten Bau. hatten sie muthwillig zerstört. 134)

134) Wir sahen in Shang-hae Stücke davon, welche aus feiner weisser Por-
cellanmasse bestanden.
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[418/0440] Mr. Roberts verlässt Nan-kiṅ. XIII. sie wagen? Ich verzweifelte nun am Erfolge der Mission und an jeder guten Wirkung der Bewegung, — sei es für die Religion, den Handel oder staatliche Einrichtungen, und beschloss, sie zu verlassen, was ich that am Montag, den 20. Januar 1862.« Das Schreiben zeichnet den Verfasser, der an dem Mord- gesindel nicht verzweifelt, bis es ihn selbst bedroht. Er vergass darin anzuführen, dass sein Diener nach den Gesetzen der Tae-piṅ das Leben verwirkt hatte und durch sein Einschreiten der Todes- strafe entzogen wurde; das wusste man an Bord des vor Nan-kiṅ ankernden englischen Kriegsschiffes Renard, welches Herrn Roberts aufnahm. — Den Tae-piṅ spricht sein Zeugniss dennoch schlagend das Urtheil. Es widersteht uns, zu glauben, dass eine Räuberbande von Hunderttausenden, regiert von einem irrsinnigen Wütherich und seinen Creaturen, Jahre lang als politische Macht bestehen konnte, ohne in sich selbst zusammenzubrechen. Und doch war es so. Selbst Huṅ-džin, der milde freundliche Missionsprediger, wurde zum Blutmenschen; Herrn Roberts rettete wohl nur seine christ- liche Ergebung; sicher wünschte man, ihn los zu werden. Sonder- barer Weise blieb er noch eine ganze Woche nach dem Morde in Nan-kiṅ: wahrscheinlich suchte er Recht beim Tien-waṅ, der ja mit dem Leben seiner Untergebenen wenig Umstände machte, und schied nur, weil er nicht bleiben konnte. Bezeichnend ist die Thatsache, dass die gebildeten Stände unter den Tae-piṅ fast gar nicht vertreten waren; Huṅ-siu-tsuen muss allen weit überlegen gewesen sein. Die Angabe des Huṅ- džin in seiner Erzählung vom früheren Leben des Tien-waṅ, dass in Kuaṅ-si viele Graduirte der ersten und zweiten Prüfung sich der Bewegung angeschlossen hätten, wurde nachmals stark be- zweifelt, da man gar keine Männer dieses Schlages unter ihnen traf, da ihre Manifeste den geringsten Grad literarischer Bildung verriethen. — Consul Parkes äusserte gegen den Gesandten, dass er unter den Tae-piṅ-Führern in Nan-kiṅ nicht einen ernsten be- wussten Mann gefunden habe, auf welchen Hoffnungen zu setzen wären; sie schlemmten in Ueppigkeit, während die Stadt verödet lag und das Gras auf den Strassen wuchs. Den Porcellanthurm, Nan-kiṅ’s berühmtesten Bau. hatten sie muthwillig zerstört. 134) 134) Wir sahen in Shang-hae Stücke davon, welche aus feiner weisser Por- cellanmasse bestanden.

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Zitationshilfe: [Berg, Albert]: Die preussische Expedition nach Ost-Asien. Bd. 3. Berlin, 1873, S. 418. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/berg_ostasien03_1873/440>, abgerufen am 25.11.2024.