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[Berg, Albert]: Die preussische Expedition nach Ost-Asien. Bd. 3. Berlin, 1873.

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Die Herrschaft der Mandschu. XIII.

Nun blieb ja die Herrschaft der Tsin, welche sich die chi-
nesische Gesittung aneigneten, in gewissem Maasse doch eine Ge-
waltherrschaft und stritt gegen das Grundprincip des chinesischen
Staates, dass das Bewusstsein der sittlichen Weltordnung, nicht
Gewalt die Menschen regieren soll. Durch sittliche Mittel soll die
Ordnung erhalten, die Menge gelenkt werden von den Würdigsten,
durch Prüfung bewährten. Im ganzen Reiche aber erinnerten
Mandschu-Garnisonen und Mandschu-Beamte an den fremden
Zwang. Letztere bestanden keine Prüfung; was der an Cultur weit
überlegene begabte Chinese nur durch angestrengteste Arbeit er-
rang, das fiel dem rohen Mandschu als reife Frucht seiner Ab-
stammung zu; denn um sie zu verbinden und sich im Beamten-
stande eine zuverlässige Stütze zu sichern, vergaben die Mandschu-
Kaiser beständig viele Stellen ohne Prüfung an ihre Stammgenossen.
Noch schlimmer wurde es aber, als sie solche verkauften. Nicht
nur musste das den Chinesen erbittern, nicht nur stritt es gegen
sein sittliches Bewusstsein, sein natürliches Anrecht auf Theil-
nahme an der Staatsleitung und die daraus erwachsenden mate-
riellen Vortheile, sondern es erzeugte schlechte Verwaltung und
Erpressungen. Der Amtskauf war eine Capital-Anlage, welche den
Käufer darauf anwies, das Volk auszusaugen. Während die in-
tellectuellen Fähigkeiten des geprüften Mandarinen einige Bürg-
schaft leisteten auch für seinen Charakter, kamen jetzt wichtige
Aemter in die Hände roher unwissender Menschen, die ohne po-
litische oder sittliche Rücksichten nur darauf ausgingen, ihre Taschen
zu füllen. Die Grausamkeit, Willkür und Käuflichkeit dieser Blut-
sauger gewahrt selbst der Fremde; gewiss beschleunigen sie we-
sentlich den schnellen Verfall des chinesischen Reiches, sind aber
doch wohl mehr förderndes Symptom als Wurzel der Krankheit.

Einen furchtbaren Schlag versetzte Tau-kwan der chine-
sischen Gesittung auch durch Einführung der Geldstrafen. Der
Mammon giebt im fernen Osten weit weniger Ansehn als bei uns,
wenn auch der Chinese ebensosehr danach strebt. Das Grund-
princip des uralten chinesischen Strafgesetzes war volle Unparthei-
lichkeit, volle Gleichheit ohne Ansehn der Person, des Ranges und
Vermögens. Es gab keine Geldstrafen. Die Einführung derselben
musste die ärmeren Classen und somit die Masse des Volkes mit
grausamer Härte treffen und verderben. Auch diese Maassregel
fördert ohne Zweifel die Auflösung, aber verursacht sie nicht.

Die Herrschaft der Mandschu. XIII.

Nun blieb ja die Herrschaft der Tsiṅ, welche sich die chi-
nesische Gesittung aneigneten, in gewissem Maasse doch eine Ge-
waltherrschaft und stritt gegen das Grundprincip des chinesischen
Staates, dass das Bewusstsein der sittlichen Weltordnung, nicht
Gewalt die Menschen regieren soll. Durch sittliche Mittel soll die
Ordnung erhalten, die Menge gelenkt werden von den Würdigsten,
durch Prüfung bewährten. Im ganzen Reiche aber erinnerten
Mandschu-Garnisonen und Mandschu-Beamte an den fremden
Zwang. Letztere bestanden keine Prüfung; was der an Cultur weit
überlegene begabte Chinese nur durch angestrengteste Arbeit er-
rang, das fiel dem rohen Mandschu als reife Frucht seiner Ab-
stammung zu; denn um sie zu verbinden und sich im Beamten-
stande eine zuverlässige Stütze zu sichern, vergaben die Mandschu-
Kaiser beständig viele Stellen ohne Prüfung an ihre Stammgenossen.
Noch schlimmer wurde es aber, als sie solche verkauften. Nicht
nur musste das den Chinesen erbittern, nicht nur stritt es gegen
sein sittliches Bewusstsein, sein natürliches Anrecht auf Theil-
nahme an der Staatsleitung und die daraus erwachsenden mate-
riellen Vortheile, sondern es erzeugte schlechte Verwaltung und
Erpressungen. Der Amtskauf war eine Capital-Anlage, welche den
Käufer darauf anwies, das Volk auszusaugen. Während die in-
tellectuellen Fähigkeiten des geprüften Mandarinen einige Bürg-
schaft leisteten auch für seinen Charakter, kamen jetzt wichtige
Aemter in die Hände roher unwissender Menschen, die ohne po-
litische oder sittliche Rücksichten nur darauf ausgingen, ihre Taschen
zu füllen. Die Grausamkeit, Willkür und Käuflichkeit dieser Blut-
sauger gewahrt selbst der Fremde; gewiss beschleunigen sie we-
sentlich den schnellen Verfall des chinesischen Reiches, sind aber
doch wohl mehr förderndes Symptom als Wurzel der Krankheit.

Einen furchtbaren Schlag versetzte Tau-kwaṅ der chine-
sischen Gesittung auch durch Einführung der Geldstrafen. Der
Mammon giebt im fernen Osten weit weniger Ansehn als bei uns,
wenn auch der Chinese ebensosehr danach strebt. Das Grund-
princip des uralten chinesischen Strafgesetzes war volle Unparthei-
lichkeit, volle Gleichheit ohne Ansehn der Person, des Ranges und
Vermögens. Es gab keine Geldstrafen. Die Einführung derselben
musste die ärmeren Classen und somit die Masse des Volkes mit
grausamer Härte treffen und verderben. Auch diese Maassregel
fördert ohne Zweifel die Auflösung, aber verursacht sie nicht.

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[388/0410] Die Herrschaft der Mandschu. XIII. Nun blieb ja die Herrschaft der Tsiṅ, welche sich die chi- nesische Gesittung aneigneten, in gewissem Maasse doch eine Ge- waltherrschaft und stritt gegen das Grundprincip des chinesischen Staates, dass das Bewusstsein der sittlichen Weltordnung, nicht Gewalt die Menschen regieren soll. Durch sittliche Mittel soll die Ordnung erhalten, die Menge gelenkt werden von den Würdigsten, durch Prüfung bewährten. Im ganzen Reiche aber erinnerten Mandschu-Garnisonen und Mandschu-Beamte an den fremden Zwang. Letztere bestanden keine Prüfung; was der an Cultur weit überlegene begabte Chinese nur durch angestrengteste Arbeit er- rang, das fiel dem rohen Mandschu als reife Frucht seiner Ab- stammung zu; denn um sie zu verbinden und sich im Beamten- stande eine zuverlässige Stütze zu sichern, vergaben die Mandschu- Kaiser beständig viele Stellen ohne Prüfung an ihre Stammgenossen. Noch schlimmer wurde es aber, als sie solche verkauften. Nicht nur musste das den Chinesen erbittern, nicht nur stritt es gegen sein sittliches Bewusstsein, sein natürliches Anrecht auf Theil- nahme an der Staatsleitung und die daraus erwachsenden mate- riellen Vortheile, sondern es erzeugte schlechte Verwaltung und Erpressungen. Der Amtskauf war eine Capital-Anlage, welche den Käufer darauf anwies, das Volk auszusaugen. Während die in- tellectuellen Fähigkeiten des geprüften Mandarinen einige Bürg- schaft leisteten auch für seinen Charakter, kamen jetzt wichtige Aemter in die Hände roher unwissender Menschen, die ohne po- litische oder sittliche Rücksichten nur darauf ausgingen, ihre Taschen zu füllen. Die Grausamkeit, Willkür und Käuflichkeit dieser Blut- sauger gewahrt selbst der Fremde; gewiss beschleunigen sie we- sentlich den schnellen Verfall des chinesischen Reiches, sind aber doch wohl mehr förderndes Symptom als Wurzel der Krankheit. Einen furchtbaren Schlag versetzte Tau-kwaṅ der chine- sischen Gesittung auch durch Einführung der Geldstrafen. Der Mammon giebt im fernen Osten weit weniger Ansehn als bei uns, wenn auch der Chinese ebensosehr danach strebt. Das Grund- princip des uralten chinesischen Strafgesetzes war volle Unparthei- lichkeit, volle Gleichheit ohne Ansehn der Person, des Ranges und Vermögens. Es gab keine Geldstrafen. Die Einführung derselben musste die ärmeren Classen und somit die Masse des Volkes mit grausamer Härte treffen und verderben. Auch diese Maassregel fördert ohne Zweifel die Auflösung, aber verursacht sie nicht.

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Zitationshilfe: [Berg, Albert]: Die preussische Expedition nach Ost-Asien. Bd. 3. Berlin, 1873, S. 388. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/berg_ostasien03_1873/410>, abgerufen am 22.11.2024.