unter? Die dem Verfasser zugänglichen Berichte sind fragmen- tarisch und lückenhaft; viele Thatsachen entbehren darin der Be- gründung; die Einrichtungen stehen fertig da, ohne dass sich ihre Entwicklung erkennen lässt; so muss denn Manches dunkel bleiben.
Die Fremden verkehrten in diesem Zeitraum mit den Kan- tonesen ohne den Schutz und Zügel einer legalen Autorität. Die Unmöglichkeit, auf gesetzlichem Wege Recht zu erlangen, und die Nothwendigkeit, durch das eigene Auftreten sich Ansehn zu ver- schaffen, machte sie schlau und vorsichtig, aber auch willkürlich und anmaassend. Die verachtete Stellung, welche ihnen durch Verschliessung der Stadt angewiesen wurde, erhöhte die Reizbar- keit der Ausländer, die sich, je niedriger ihre Bildungsstufe und sociale Stellung, desto erhabener wähnten über jeden Sohn der blumigen Mitte. Die Art der Berührung, wie sie sich zwischen den Fremden und den Kantonesen gestaltete, musste zu gegenseitigem Verkennen, zu Hass und Verachtung führen. Wenn auch unter den Handelsvorstehern und den Hon-Kaufleuten immer achtbare Charaktere waren, die einander schätzen lernten, so konnte dieser stillere Verkehr doch wenig Einfluss auf die öffentliche Meinung üben. Die Factorei-Beamten, Supercargos und Schiffsmannschaften kamen fast nur mit habgierigen Officianten des Zollamtes und dem Gesindel der Vorstädte in Berührung. Ihr Auftreten gegen diese, -- das ihrer Gesittung zufolge gewaltsamer und willkürlicher gewesen sein mag als billig, -- und die blutigen Schlägereien der Schiffs- mannschaften unter sich bestimmten vorwiegend den Ruf der Aus- länder bei dem besseren Theil der kantonesischen Bevölkerung. Der Hass derselben steigerte sich im Laufe der Jahrzehnte zu leidenschaft- licher Wuth und wurde zu einer Hauptwurzel der späteren Uebel. Wie aber diese Feindschaft wirklich auf der Abschliessung beruhte, zeigt in schlagender Weise der Umstand, dass jede Spur davon geschwunden ist, seitdem Kan-ton einige Jahre von einer englischen Garnison besetzt war, seit die besseren Classen seiner Bevölkerung und die Fremden sich im täglichen Umgang kennen lernen mussten.
Die Unmöglichkeit, durch indirecten Verkehr mit einfluss- reichen Mandarinen in Kan-ton Abhülfe gegen Unrecht und drückende Uebelstände zu erlangen, trieb die Fremden zu vielfachen Ver- suchen, in Berührung mit dem Kaiserhofe zu treten, durch Ge- sandtschaften in Pe-kin Einrichtungen für den Handel zu erwirken, welche ihn auf die feste Basis gesetzlicher Bestimmungen stellen
III. 2
Die Stellung der Fremden.
unter? Die dem Verfasser zugänglichen Berichte sind fragmen- tarisch und lückenhaft; viele Thatsachen entbehren darin der Be- gründung; die Einrichtungen stehen fertig da, ohne dass sich ihre Entwicklung erkennen lässt; so muss denn Manches dunkel bleiben.
Die Fremden verkehrten in diesem Zeitraum mit den Kan- tonesen ohne den Schutz und Zügel einer legalen Autorität. Die Unmöglichkeit, auf gesetzlichem Wege Recht zu erlangen, und die Nothwendigkeit, durch das eigene Auftreten sich Ansehn zu ver- schaffen, machte sie schlau und vorsichtig, aber auch willkürlich und anmaassend. Die verachtete Stellung, welche ihnen durch Verschliessung der Stadt angewiesen wurde, erhöhte die Reizbar- keit der Ausländer, die sich, je niedriger ihre Bildungsstufe und sociale Stellung, desto erhabener wähnten über jeden Sohn der blumigen Mitte. Die Art der Berührung, wie sie sich zwischen den Fremden und den Kantonesen gestaltete, musste zu gegenseitigem Verkennen, zu Hass und Verachtung führen. Wenn auch unter den Handelsvorstehern und den Hoṅ-Kaufleuten immer achtbare Charaktere waren, die einander schätzen lernten, so konnte dieser stillere Verkehr doch wenig Einfluss auf die öffentliche Meinung üben. Die Factorei-Beamten, Supercargos und Schiffsmannschaften kamen fast nur mit habgierigen Officianten des Zollamtes und dem Gesindel der Vorstädte in Berührung. Ihr Auftreten gegen diese, — das ihrer Gesittung zufolge gewaltsamer und willkürlicher gewesen sein mag als billig, — und die blutigen Schlägereien der Schiffs- mannschaften unter sich bestimmten vorwiegend den Ruf der Aus- länder bei dem besseren Theil der kantonesischen Bevölkerung. Der Hass derselben steigerte sich im Laufe der Jahrzehnte zu leidenschaft- licher Wuth und wurde zu einer Hauptwurzel der späteren Uebel. Wie aber diese Feindschaft wirklich auf der Abschliessung beruhte, zeigt in schlagender Weise der Umstand, dass jede Spur davon geschwunden ist, seitdem Kan-ton einige Jahre von einer englischen Garnison besetzt war, seit die besseren Classen seiner Bevölkerung und die Fremden sich im täglichen Umgang kennen lernen mussten.
Die Unmöglichkeit, durch indirecten Verkehr mit einfluss- reichen Mandarinen in Kan-ton Abhülfe gegen Unrecht und drückende Uebelstände zu erlangen, trieb die Fremden zu vielfachen Ver- suchen, in Berührung mit dem Kaiserhofe zu treten, durch Ge- sandtschaften in Pe-kiṅ Einrichtungen für den Handel zu erwirken, welche ihn auf die feste Basis gesetzlicher Bestimmungen stellen
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Die Stellung der Fremden.
unter? Die dem Verfasser zugänglichen Berichte sind fragmen-
tarisch und lückenhaft; viele Thatsachen entbehren darin der Be-
gründung; die Einrichtungen stehen fertig da, ohne dass sich ihre
Entwicklung erkennen lässt; so muss denn Manches dunkel bleiben.
Die Fremden verkehrten in diesem Zeitraum mit den Kan-
tonesen ohne den Schutz und Zügel einer legalen Autorität. Die
Unmöglichkeit, auf gesetzlichem Wege Recht zu erlangen, und die
Nothwendigkeit, durch das eigene Auftreten sich Ansehn zu ver-
schaffen, machte sie schlau und vorsichtig, aber auch willkürlich
und anmaassend. Die verachtete Stellung, welche ihnen durch
Verschliessung der Stadt angewiesen wurde, erhöhte die Reizbar-
keit der Ausländer, die sich, je niedriger ihre Bildungsstufe und
sociale Stellung, desto erhabener wähnten über jeden Sohn der
blumigen Mitte. Die Art der Berührung, wie sie sich zwischen den
Fremden und den Kantonesen gestaltete, musste zu gegenseitigem
Verkennen, zu Hass und Verachtung führen. Wenn auch unter
den Handelsvorstehern und den Hoṅ-Kaufleuten immer achtbare
Charaktere waren, die einander schätzen lernten, so konnte dieser
stillere Verkehr doch wenig Einfluss auf die öffentliche Meinung
üben. Die Factorei-Beamten, Supercargos und Schiffsmannschaften
kamen fast nur mit habgierigen Officianten des Zollamtes und dem
Gesindel der Vorstädte in Berührung. Ihr Auftreten gegen diese, —
das ihrer Gesittung zufolge gewaltsamer und willkürlicher gewesen
sein mag als billig, — und die blutigen Schlägereien der Schiffs-
mannschaften unter sich bestimmten vorwiegend den Ruf der Aus-
länder bei dem besseren Theil der kantonesischen Bevölkerung. Der
Hass derselben steigerte sich im Laufe der Jahrzehnte zu leidenschaft-
licher Wuth und wurde zu einer Hauptwurzel der späteren Uebel.
Wie aber diese Feindschaft wirklich auf der Abschliessung beruhte,
zeigt in schlagender Weise der Umstand, dass jede Spur davon
geschwunden ist, seitdem Kan-ton einige Jahre von einer englischen
Garnison besetzt war, seit die besseren Classen seiner Bevölkerung
und die Fremden sich im täglichen Umgang kennen lernen mussten.
Die Unmöglichkeit, durch indirecten Verkehr mit einfluss-
reichen Mandarinen in Kan-ton Abhülfe gegen Unrecht und drückende
Uebelstände zu erlangen, trieb die Fremden zu vielfachen Ver-
suchen, in Berührung mit dem Kaiserhofe zu treten, durch Ge-
sandtschaften in Pe-kiṅ Einrichtungen für den Handel zu erwirken,
welche ihn auf die feste Basis gesetzlicher Bestimmungen stellen
III. 2
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[Berg, Albert]: Die preussische Expedition nach Ost-Asien. Bd. 3. Berlin, 1873, S. 17. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/berg_ostasien03_1873/39>, abgerufen am 23.11.2024.
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