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[Berg, Albert]: Die preussische Expedition nach Ost-Asien. Bd. 3. Berlin, 1873.

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Berennung von Kan-ton.
Vice-König an dem demselben Tage, dass sie angreifen würden,
wenn die Stadt sich binnen 48 Stunden nicht ergäbe.

In seiner Erwiederung an Lord Elgin erörterte Yi nochmals
die Lorcha-Angelegenheit, bestritt die ihm vorgeworfene Unwill-
fährigkeit und berief sich abermals auf Bonham, der nach er-
schöpfender Discussion auf die Zulassung in Kan-ton verzichtet
habe. Die beiden Nationen ständen auf freundschaftlichem Fuss,
deshalb hindere nichts an gemeinsamer Berathung, auf welchem
Wege die von Lord Elgin gewünschte Herstellung des Handels zu
bewirken sei.

Der Furious mit der englischen und der Primauguet mit der
französischen Gesandtschaft gingen nun auch bis unter die Mauern
von Kan-ton hinauf, wo die anderen Kriegsschiffe ankerten. Erst
am 27. wurden die Vorbereitungen zum Angriff vollendet. Am
28. December früh landeten die Truppen unterhalb der Stadt; zu-
gleich begann das Bombardement und währte 27 Stunden lang
ohne Unterbrechung. Die alliirten Truppen rückten fast ohne
Widerstand gegen die nordöstliche Ecke der Stadt und besetzten
Lin's Fort, ein Aussenwerk, dessen Garnison beim Platzen der ersten
Granate davonlief; sie drangen, die Chinesen vor sich hertreibend,
noch weiter nordwestlich vor und lagerten für die Nacht theils in
Lin's Fort, theils im freien Felde. Die Geschütze der Stadtmauer
feuerten lebhaft, aber zu hoch, und verletzten niemand. -- Am
folgenden Morgen schoben die Alliirten ihren rechten Flügel noch
weiter vor und rückten zugleich unter die Stadtmauer, deren Ge-
schütze sie auch jetzt nicht trafen, während das Feuer der eigenen
Schiffe, das erst um neun Uhr schwieg, einigen Verlust brachte.
Vor der nordwestlichen Ecke der Stadt wurden Kanonen zur Be-
schiessung von Magazine-hill aufgefahren, eines die Stadt beherr-
schenden Hügels, über welchen die Ringmauer läuft. Nun kam
das Corps der chinesischen Kuli's,98) welches die ganze Zeit gute

98) Das Chinese-Commissariate-Corps, welches die Engländer für diese Feldzüge
organisirten, bestand meist aus Hakka-Chinesen, welche zerstreut in Kuan-tun
wohnen, einem eingewanderten Stamm wie die Kei-kia in Kuan-si. Ein englischer
Officier von diesem Corps giebt ihnen folgendes Zeugniss: "Im Feuer betrugen
sich alle standhaft, und einige verrichteten Thaten, die jedem Engländer das Vie-
toria-Kreuz eingebracht hätten. Ihre Zähigkeit ist wunderbar; ich sah sie zehn bis
zwölf Stunden in der heissen Sonne arbeiten, und sie murrten nicht, wenn ihnen
noch so starke Zumuthungen gemacht wurden. Ihr Fluch ist das Opium, und ich
halte nicht für möglich, diejenigen zum Aufgeben desselben zu veranlassen, die sich

Berennung von Kan-ton.
Vice-König an dem demselben Tage, dass sie angreifen würden,
wenn die Stadt sich binnen 48 Stunden nicht ergäbe.

In seiner Erwiederung an Lord Elgin erörterte Yi nochmals
die Lorcha-Angelegenheit, bestritt die ihm vorgeworfene Unwill-
fährigkeit und berief sich abermals auf Bonham, der nach er-
schöpfender Discussion auf die Zulassung in Kan-ton verzichtet
habe. Die beiden Nationen ständen auf freundschaftlichem Fuss,
deshalb hindere nichts an gemeinsamer Berathung, auf welchem
Wege die von Lord Elgin gewünschte Herstellung des Handels zu
bewirken sei.

Der Furious mit der englischen und der Primauguet mit der
französischen Gesandtschaft gingen nun auch bis unter die Mauern
von Kan-ton hinauf, wo die anderen Kriegsschiffe ankerten. Erst
am 27. wurden die Vorbereitungen zum Angriff vollendet. Am
28. December früh landeten die Truppen unterhalb der Stadt; zu-
gleich begann das Bombardement und währte 27 Stunden lang
ohne Unterbrechung. Die alliirten Truppen rückten fast ohne
Widerstand gegen die nordöstliche Ecke der Stadt und besetzten
Lin’s Fort, ein Aussenwerk, dessen Garnison beim Platzen der ersten
Granate davonlief; sie drangen, die Chinesen vor sich hertreibend,
noch weiter nordwestlich vor und lagerten für die Nacht theils in
Lin’s Fort, theils im freien Felde. Die Geschütze der Stadtmauer
feuerten lebhaft, aber zu hoch, und verletzten niemand. — Am
folgenden Morgen schoben die Alliirten ihren rechten Flügel noch
weiter vor und rückten zugleich unter die Stadtmauer, deren Ge-
schütze sie auch jetzt nicht trafen, während das Feuer der eigenen
Schiffe, das erst um neun Uhr schwieg, einigen Verlust brachte.
Vor der nordwestlichen Ecke der Stadt wurden Kanonen zur Be-
schiessung von Magazine-hill aufgefahren, eines die Stadt beherr-
schenden Hügels, über welchen die Ringmauer läuft. Nun kam
das Corps der chinesischen Kuli’s,98) welches die ganze Zeit gute

98) Das Chinese-Commissariate-Corps, welches die Engländer für diese Feldzüge
organisirten, bestand meist aus Hakka-Chinesen, welche zerstreut in Kuaṅ-tuṅ
wohnen, einem eingewanderten Stamm wie die Kei-kia in Kuaṅ-si. Ein englischer
Officier von diesem Corps giebt ihnen folgendes Zeugniss: »Im Feuer betrugen
sich alle standhaft, und einige verrichteten Thaten, die jedem Engländer das Vie-
toria-Kreuz eingebracht hätten. Ihre Zähigkeit ist wunderbar; ich sah sie zehn bis
zwölf Stunden in der heissen Sonne arbeiten, und sie murrten nicht, wenn ihnen
noch so starke Zumuthungen gemacht wurden. Ihr Fluch ist das Opium, und ich
halte nicht für möglich, diejenigen zum Aufgeben desselben zu veranlassen, die sich
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[233/0255] Berennung von Kan-ton. Vice-König an dem demselben Tage, dass sie angreifen würden, wenn die Stadt sich binnen 48 Stunden nicht ergäbe. In seiner Erwiederung an Lord Elgin erörterte Yi nochmals die Lorcha-Angelegenheit, bestritt die ihm vorgeworfene Unwill- fährigkeit und berief sich abermals auf Bonham, der nach er- schöpfender Discussion auf die Zulassung in Kan-ton verzichtet habe. Die beiden Nationen ständen auf freundschaftlichem Fuss, deshalb hindere nichts an gemeinsamer Berathung, auf welchem Wege die von Lord Elgin gewünschte Herstellung des Handels zu bewirken sei. Der Furious mit der englischen und der Primauguet mit der französischen Gesandtschaft gingen nun auch bis unter die Mauern von Kan-ton hinauf, wo die anderen Kriegsschiffe ankerten. Erst am 27. wurden die Vorbereitungen zum Angriff vollendet. Am 28. December früh landeten die Truppen unterhalb der Stadt; zu- gleich begann das Bombardement und währte 27 Stunden lang ohne Unterbrechung. Die alliirten Truppen rückten fast ohne Widerstand gegen die nordöstliche Ecke der Stadt und besetzten Lin’s Fort, ein Aussenwerk, dessen Garnison beim Platzen der ersten Granate davonlief; sie drangen, die Chinesen vor sich hertreibend, noch weiter nordwestlich vor und lagerten für die Nacht theils in Lin’s Fort, theils im freien Felde. Die Geschütze der Stadtmauer feuerten lebhaft, aber zu hoch, und verletzten niemand. — Am folgenden Morgen schoben die Alliirten ihren rechten Flügel noch weiter vor und rückten zugleich unter die Stadtmauer, deren Ge- schütze sie auch jetzt nicht trafen, während das Feuer der eigenen Schiffe, das erst um neun Uhr schwieg, einigen Verlust brachte. Vor der nordwestlichen Ecke der Stadt wurden Kanonen zur Be- schiessung von Magazine-hill aufgefahren, eines die Stadt beherr- schenden Hügels, über welchen die Ringmauer läuft. Nun kam das Corps der chinesischen Kuli’s, 98) welches die ganze Zeit gute 98) Das Chinese-Commissariate-Corps, welches die Engländer für diese Feldzüge organisirten, bestand meist aus Hakka-Chinesen, welche zerstreut in Kuaṅ-tuṅ wohnen, einem eingewanderten Stamm wie die Kei-kia in Kuaṅ-si. Ein englischer Officier von diesem Corps giebt ihnen folgendes Zeugniss: »Im Feuer betrugen sich alle standhaft, und einige verrichteten Thaten, die jedem Engländer das Vie- toria-Kreuz eingebracht hätten. Ihre Zähigkeit ist wunderbar; ich sah sie zehn bis zwölf Stunden in der heissen Sonne arbeiten, und sie murrten nicht, wenn ihnen noch so starke Zumuthungen gemacht wurden. Ihr Fluch ist das Opium, und ich halte nicht für möglich, diejenigen zum Aufgeben desselben zu veranlassen, die sich

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Zitationshilfe: [Berg, Albert]: Die preussische Expedition nach Ost-Asien. Bd. 3. Berlin, 1873, S. 233. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/berg_ostasien03_1873/255>, abgerufen am 25.11.2024.