früher mit Aufträgen des I-li-pu in ihrem Lager gewesen war, mit friedlichen Eröffnungen. Mangel an Wind hielt das Geschwader noch einige Tage zurück; aber am 8. August ankerte der grösste Theil desselben vor Nan-kin, von dessen Mauern überall die weisse Flagge wehte.
Ki-yin und I-li-pu hatten dort den Einfluss des General- Gouverneurs Gnu-Ta-dzen zu bekämpfen, der, zum dritten Bevoll- mächtigten ernannt, keine ehrlichen Verhandlungen wollte und den Feind in gewohnter Weise durch Täuschung und Aufschub zum Rückzug zu bewegen hoffte. Er ordnete allerlei kriegerische De- monstrationen an, und die Verhandlungen drohten sich zu zer- schlagen. -- Das Linienschiff Cornwallis ankerte im Strom, die Fregatte Blonde in einem westlich die Stadt bespülenden Canal, beide dicht unter den Mauern, in welche sie Bresche schiessen sollten. Truppen wurden ausgeschifft und alle Anstalten zum Sturm getroffen.
An Vertheidigung war nicht zu denken. Die Mauern von Nan-kin umschliessen ein ausgedehntes Areal, dessen grössere Nordhälfte Felder und Gärten einnehmen. Die Tartarenstadt, deren Mitte die Citadelle bildet, füllt den südöstlichen, die volkreiche Chinesenstadt den südwestlichen Winkel des Mauerumkreises aus, dessen südliche und westliche Seite ein Canal säumt. Südlich von diesem liegen, dem bewohnten Theil von Nan-kin gegenüber, aus- gedehnte Vorstädte. -- Ein ungewöhnlich hoher Wasserstand hatte das Land in grosses Elend versetzt, zugleich die Abwehr und die Zufuhr erschwert. Die Garnison -- nach den englischen Berichten nur zweitausend Mandschu-Tartaren -- war der Vertheidigung der Ringmauer nicht entfernt gewachsen, noch weniger die Anzahl der Geschütze. Dazu kamen Mangel an Lebensmitteln und die Indifferenz der Landbewohner, die, weit entfernt ihren Unter- drückern gegen die Engländer Hülfe zu leisten, den Anstalten zum Angriff gleichgültig zusahen. Selbst der Tartaren-Commandeur ge- wann die Ueberzeugung seiner Hülflosigkeit und erklärte, die Stadt nicht halten zu können. Die Vorbereitungen zum Sturm brachten auch Gnu-Ta-dzen zur Besinnung; er schloss sich endlich der Bot- schaft der anderen Bevollmächtigten an den Kaiser an: "Wir sind von Gefahren umringt und in solcher Bedrängniss, dass jedes unvor- gesehene Ereigniss Verderben bringen kann. Wir haben daher auf die Gefahr hin, das Leben zu verlieren, die Forderungen der Bar-
Die Flotte vor Nan-kiṅ.
früher mit Aufträgen des I-li-pu in ihrem Lager gewesen war, mit friedlichen Eröffnungen. Mangel an Wind hielt das Geschwader noch einige Tage zurück; aber am 8. August ankerte der grösste Theil desselben vor Nan-kiṅ, von dessen Mauern überall die weisse Flagge wehte.
Ki-yiṅ und I-li-pu hatten dort den Einfluss des General- Gouverneurs Gnu-Ta-džen zu bekämpfen, der, zum dritten Bevoll- mächtigten ernannt, keine ehrlichen Verhandlungen wollte und den Feind in gewohnter Weise durch Täuschung und Aufschub zum Rückzug zu bewegen hoffte. Er ordnete allerlei kriegerische De- monstrationen an, und die Verhandlungen drohten sich zu zer- schlagen. — Das Linienschiff Cornwallis ankerte im Strom, die Fregatte Blonde in einem westlich die Stadt bespülenden Canal, beide dicht unter den Mauern, in welche sie Bresche schiessen sollten. Truppen wurden ausgeschifft und alle Anstalten zum Sturm getroffen.
An Vertheidigung war nicht zu denken. Die Mauern von Nan-kiṅ umschliessen ein ausgedehntes Areal, dessen grössere Nordhälfte Felder und Gärten einnehmen. Die Tartarenstadt, deren Mitte die Citadelle bildet, füllt den südöstlichen, die volkreiche Chinesenstadt den südwestlichen Winkel des Mauerumkreises aus, dessen südliche und westliche Seite ein Canal säumt. Südlich von diesem liegen, dem bewohnten Theil von Nan-kiṅ gegenüber, aus- gedehnte Vorstädte. — Ein ungewöhnlich hoher Wasserstand hatte das Land in grosses Elend versetzt, zugleich die Abwehr und die Zufuhr erschwert. Die Garnison — nach den englischen Berichten nur zweitausend Mandschu-Tartaren — war der Vertheidigung der Ringmauer nicht entfernt gewachsen, noch weniger die Anzahl der Geschütze. Dazu kamen Mangel an Lebensmitteln und die Indifferenz der Landbewohner, die, weit entfernt ihren Unter- drückern gegen die Engländer Hülfe zu leisten, den Anstalten zum Angriff gleichgültig zusahen. Selbst der Tartaren-Commandeur ge- wann die Ueberzeugung seiner Hülflosigkeit und erklärte, die Stadt nicht halten zu können. Die Vorbereitungen zum Sturm brachten auch Gnu-Ta-džen zur Besinnung; er schloss sich endlich der Bot- schaft der anderen Bevollmächtigten an den Kaiser an: »Wir sind von Gefahren umringt und in solcher Bedrängniss, dass jedes unvor- gesehene Ereigniss Verderben bringen kann. Wir haben daher auf die Gefahr hin, das Leben zu verlieren, die Forderungen der Bar-
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Die Flotte vor Nan-kiṅ.
früher mit Aufträgen des I-li-pu in ihrem Lager gewesen war,
mit friedlichen Eröffnungen. Mangel an Wind hielt das Geschwader
noch einige Tage zurück; aber am 8. August ankerte der grösste
Theil desselben vor Nan-kiṅ, von dessen Mauern überall die weisse
Flagge wehte.
Ki-yiṅ und I-li-pu hatten dort den Einfluss des General-
Gouverneurs Gnu-Ta-džen zu bekämpfen, der, zum dritten Bevoll-
mächtigten ernannt, keine ehrlichen Verhandlungen wollte und den
Feind in gewohnter Weise durch Täuschung und Aufschub zum
Rückzug zu bewegen hoffte. Er ordnete allerlei kriegerische De-
monstrationen an, und die Verhandlungen drohten sich zu zer-
schlagen. — Das Linienschiff Cornwallis ankerte im Strom, die
Fregatte Blonde in einem westlich die Stadt bespülenden Canal,
beide dicht unter den Mauern, in welche sie Bresche schiessen
sollten. Truppen wurden ausgeschifft und alle Anstalten zum
Sturm getroffen.
An Vertheidigung war nicht zu denken. Die Mauern von
Nan-kiṅ umschliessen ein ausgedehntes Areal, dessen grössere
Nordhälfte Felder und Gärten einnehmen. Die Tartarenstadt, deren
Mitte die Citadelle bildet, füllt den südöstlichen, die volkreiche
Chinesenstadt den südwestlichen Winkel des Mauerumkreises aus,
dessen südliche und westliche Seite ein Canal säumt. Südlich von
diesem liegen, dem bewohnten Theil von Nan-kiṅ gegenüber, aus-
gedehnte Vorstädte. — Ein ungewöhnlich hoher Wasserstand hatte
das Land in grosses Elend versetzt, zugleich die Abwehr und die
Zufuhr erschwert. Die Garnison — nach den englischen Berichten
nur zweitausend Mandschu-Tartaren — war der Vertheidigung
der Ringmauer nicht entfernt gewachsen, noch weniger die Anzahl
der Geschütze. Dazu kamen Mangel an Lebensmitteln und die
Indifferenz der Landbewohner, die, weit entfernt ihren Unter-
drückern gegen die Engländer Hülfe zu leisten, den Anstalten zum
Angriff gleichgültig zusahen. Selbst der Tartaren-Commandeur ge-
wann die Ueberzeugung seiner Hülflosigkeit und erklärte, die Stadt
nicht halten zu können. Die Vorbereitungen zum Sturm brachten
auch Gnu-Ta-džen zur Besinnung; er schloss sich endlich der Bot-
schaft der anderen Bevollmächtigten an den Kaiser an: »Wir sind
von Gefahren umringt und in solcher Bedrängniss, dass jedes unvor-
gesehene Ereigniss Verderben bringen kann. Wir haben daher auf
die Gefahr hin, das Leben zu verlieren, die Forderungen der Bar-
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[Berg, Albert]: Die preussische Expedition nach Ost-Asien. Bd. 3. Berlin, 1873, S. 125. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/berg_ostasien03_1873/147>, abgerufen am 04.12.2024.
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