[Berg, Albert]: Die preussische Expedition nach Ost-Asien. Bd. 3. Berlin, 1873.Aeusserungen des Lin. Geschichte entwickelten chinesischen Gesittung. Von allen Volks-classen blieben die Studirten am längsten unversöhnlich gegen die Fremden; ihr Patriotismus war uneigennützig, im guten Bewusstsein des Rechtes und im Wahn überlegener Gesittung begründet. Weniger unverdächtig scheint die Vaterlandsliebe vieler Mandarinen, welche, dem Kaiser schmeichelnd und die Fremden gegen besseres Wissen herabsetzend, auf Vortheil und Beförderung ausgingen. Aber auch unter den Beamten gab es ächte Patrioten, wie den strengen un- beugsamen Lin. Sein Treubruch gegen die Fremden wirft weniger Schatten auf seinen Charakter, als auf die chinesische Anschauung, welche, des Völkerrechtes spottend, jeden den himmlischen Satzungen trotzenden Rebellen mit allen Mitteln zu bekämpfen gebietet. Der von den angesehensten Kaufleuten getragene, angesichts der chi- nesischen Obrigkeit verübte seeräuberische Schleichhandel gab wohl einige Veranlassung, die Engländer für ruchlose Wilde zu halten. -- Lin blieb nach seiner Degradirung und den bitteren Erfahrungen, die er an den eigenen Landsleuten machte 36), seiner Gesinnung durch- aus treu. Nach der Capitulation schilderte er brieflich einem Ver- wandten mit tiefem Schmerze die tollen Excesse der chinesischen Soldaten, die Selbsucht des alten Yan-fan, -- der mitten unter dem Blutvergiessen nur darauf bedacht war, die Beute aus den Factoreien gegen baares Geld zu verkaufen --, das unwürdige Betragen sämmtlicher Beamten ausser dem Richter, und den Ver- rath des Präfecten Yu, welcher den Angriff des Landvolks unter- drückte. Die chinesische Regierung ergriff auch später nur halbe 36) Die auf seine Kosten gekleideten eingeübten achthundert Freiwilligen gingen
mit einem Soldvorschuss davon, als der Dampfer Nemesis sich Kan-ton näherte. Aeusserungen des Lin. Geschichte entwickelten chinesischen Gesittung. Von allen Volks-classen blieben die Studirten am längsten unversöhnlich gegen die Fremden; ihr Patriotismus war uneigennützig, im guten Bewusstsein des Rechtes und im Wahn überlegener Gesittung begründet. Weniger unverdächtig scheint die Vaterlandsliebe vieler Mandarinen, welche, dem Kaiser schmeichelnd und die Fremden gegen besseres Wissen herabsetzend, auf Vortheil und Beförderung ausgingen. Aber auch unter den Beamten gab es ächte Patrioten, wie den strengen un- beugsamen Lin. Sein Treubruch gegen die Fremden wirft weniger Schatten auf seinen Charakter, als auf die chinesische Anschauung, welche, des Völkerrechtes spottend, jeden den himmlischen Satzungen trotzenden Rebellen mit allen Mitteln zu bekämpfen gebietet. Der von den angesehensten Kaufleuten getragene, angesichts der chi- nesischen Obrigkeit verübte seeräuberische Schleichhandel gab wohl einige Veranlassung, die Engländer für ruchlose Wilde zu halten. — Lin blieb nach seiner Degradirung und den bitteren Erfahrungen, die er an den eigenen Landsleuten machte 36), seiner Gesinnung durch- aus treu. Nach der Capitulation schilderte er brieflich einem Ver- wandten mit tiefem Schmerze die tollen Excesse der chinesischen Soldaten, die Selbsucht des alten Yaṅ-faṅ, — der mitten unter dem Blutvergiessen nur darauf bedacht war, die Beute aus den Factoreien gegen baares Geld zu verkaufen —, das unwürdige Betragen sämmtlicher Beamten ausser dem Richter, und den Ver- rath des Präfecten Yu, welcher den Angriff des Landvolks unter- drückte. Die chinesische Regierung ergriff auch später nur halbe 36) Die auf seine Kosten gekleideten eingeübten achthundert Freiwilligen gingen
mit einem Soldvorschuss davon, als der Dampfer Nemesis sich Kan-ton näherte. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0114" n="92"/><fw place="top" type="header">Aeusserungen des <hi rendition="#k"><persName ref="http://d-nb.info/gnd/118980327">Lin</persName></hi>.</fw><lb/> Geschichte entwickelten chinesischen Gesittung. Von allen Volks-<lb/> classen blieben die Studirten am längsten unversöhnlich gegen die<lb/> Fremden; ihr Patriotismus war uneigennützig, im guten Bewusstsein<lb/> des Rechtes und im Wahn überlegener Gesittung begründet. Weniger<lb/> unverdächtig scheint die Vaterlandsliebe vieler Mandarinen, welche,<lb/> dem Kaiser schmeichelnd und die Fremden gegen besseres Wissen<lb/> herabsetzend, auf Vortheil und Beförderung ausgingen. Aber auch<lb/> unter den Beamten gab es ächte Patrioten, wie den strengen un-<lb/> beugsamen <hi rendition="#k"><persName ref="http://d-nb.info/gnd/118980327">Lin</persName></hi>. Sein Treubruch gegen die Fremden wirft weniger<lb/> Schatten auf seinen Charakter, als auf die chinesische Anschauung,<lb/> welche, des Völkerrechtes spottend, jeden den himmlischen Satzungen<lb/> trotzenden Rebellen mit allen Mitteln zu bekämpfen gebietet. Der<lb/> von den angesehensten Kaufleuten getragene, angesichts der chi-<lb/> nesischen Obrigkeit verübte seeräuberische Schleichhandel gab wohl<lb/> einige Veranlassung, die Engländer für ruchlose Wilde zu halten.<lb/> — <hi rendition="#k"><persName ref="http://d-nb.info/gnd/118980327">Lin</persName></hi> blieb nach seiner Degradirung und den bitteren Erfahrungen,<lb/> die er an den eigenen Landsleuten machte <note place="foot" n="36)">Die auf seine Kosten gekleideten eingeübten achthundert Freiwilligen gingen<lb/> mit einem Soldvorschuss davon, als der Dampfer Nemesis sich <hi rendition="#k"><placeName>Kan-ton</placeName></hi> näherte.</note>, seiner Gesinnung durch-<lb/> aus treu. Nach der Capitulation schilderte er brieflich einem Ver-<lb/> wandten mit tiefem Schmerze die tollen Excesse der chinesischen<lb/> Soldaten, die Selbsucht des alten <hi rendition="#k"><persName ref="nognd">Yaṅ-faṅ</persName></hi>, — der mitten<lb/> unter dem Blutvergiessen nur darauf bedacht war, die Beute aus<lb/> den Factoreien gegen baares Geld zu verkaufen —, das unwürdige<lb/> Betragen sämmtlicher Beamten ausser dem Richter, und den Ver-<lb/> rath des Präfecten <hi rendition="#k"><persName ref="nognd">Yu</persName></hi>, welcher den Angriff des Landvolks unter-<lb/> drückte.</p><lb/> <p>Die chinesische Regierung ergriff auch später nur halbe<lb/> Maassregeln; sie hetzte und bewaffnete das Volk gegen die Frem-<lb/> den, führte es aber niemals in den Kampf. Und doch hätten die<lb/> Engländer in der ansässigen Landbevölkerung achtbare Gegner ge-<lb/> funden, während die regulären Truppen sich aus dem niedrigsten<lb/> Gesindel recrutirten, das mit wenig Ausnahmen beim ersten<lb/> Schusse davon lief, und, die Dörfer plündernd, eine Geissel des<lb/> Landes wurde. Nach dem Abzug der Engländer wurden Milizen<lb/> in der Umgegend vertheilt, um dem Unfug dieser Banditen zu steuern.<lb/> Die Truppen aus den nördlichen Provinzen betrugen sich gegen die<lb/> Bevölkerung so unbändig, dass sie zurückgezogen werden mussten.<lb/> Der Aufruhr während der Einschliessung erzeugte anarchische Zu-<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [92/0114]
Aeusserungen des Lin.
Geschichte entwickelten chinesischen Gesittung. Von allen Volks-
classen blieben die Studirten am längsten unversöhnlich gegen die
Fremden; ihr Patriotismus war uneigennützig, im guten Bewusstsein
des Rechtes und im Wahn überlegener Gesittung begründet. Weniger
unverdächtig scheint die Vaterlandsliebe vieler Mandarinen, welche,
dem Kaiser schmeichelnd und die Fremden gegen besseres Wissen
herabsetzend, auf Vortheil und Beförderung ausgingen. Aber auch
unter den Beamten gab es ächte Patrioten, wie den strengen un-
beugsamen Lin. Sein Treubruch gegen die Fremden wirft weniger
Schatten auf seinen Charakter, als auf die chinesische Anschauung,
welche, des Völkerrechtes spottend, jeden den himmlischen Satzungen
trotzenden Rebellen mit allen Mitteln zu bekämpfen gebietet. Der
von den angesehensten Kaufleuten getragene, angesichts der chi-
nesischen Obrigkeit verübte seeräuberische Schleichhandel gab wohl
einige Veranlassung, die Engländer für ruchlose Wilde zu halten.
— Lin blieb nach seiner Degradirung und den bitteren Erfahrungen,
die er an den eigenen Landsleuten machte 36), seiner Gesinnung durch-
aus treu. Nach der Capitulation schilderte er brieflich einem Ver-
wandten mit tiefem Schmerze die tollen Excesse der chinesischen
Soldaten, die Selbsucht des alten Yaṅ-faṅ, — der mitten
unter dem Blutvergiessen nur darauf bedacht war, die Beute aus
den Factoreien gegen baares Geld zu verkaufen —, das unwürdige
Betragen sämmtlicher Beamten ausser dem Richter, und den Ver-
rath des Präfecten Yu, welcher den Angriff des Landvolks unter-
drückte.
Die chinesische Regierung ergriff auch später nur halbe
Maassregeln; sie hetzte und bewaffnete das Volk gegen die Frem-
den, führte es aber niemals in den Kampf. Und doch hätten die
Engländer in der ansässigen Landbevölkerung achtbare Gegner ge-
funden, während die regulären Truppen sich aus dem niedrigsten
Gesindel recrutirten, das mit wenig Ausnahmen beim ersten
Schusse davon lief, und, die Dörfer plündernd, eine Geissel des
Landes wurde. Nach dem Abzug der Engländer wurden Milizen
in der Umgegend vertheilt, um dem Unfug dieser Banditen zu steuern.
Die Truppen aus den nördlichen Provinzen betrugen sich gegen die
Bevölkerung so unbändig, dass sie zurückgezogen werden mussten.
Der Aufruhr während der Einschliessung erzeugte anarchische Zu-
36) Die auf seine Kosten gekleideten eingeübten achthundert Freiwilligen gingen
mit einem Soldvorschuss davon, als der Dampfer Nemesis sich Kan-ton näherte.
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