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[Berg, Albert]: Die preussische Expedition nach Ost-Asien. Bd. 2. Berlin, 1866.

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VI. Politische Gerüchte.
beim Gebet kleine Steine auf deren Köpfe. Bleiben diese bei den
häufigen Erdbeben liegen, so sind die Schutzgeister den Kinderseelen
gnädig; fallen sie aber herab, so grämen sich die Mütter; so erzählte
man uns wenigstens. -- Die Gräberstätte von To-dzen-dzi ist eine
der schönsten und ehrwürdigsten der Hauptstadt; breite Steinbahnen
und Treppen führen zwischen haushohen Camelien, schlanken
Cryptomerien, Lorbeern, Föhren und Ulmen die Abhänge hinan,
Myrthen und Azaleen, Moos, Epheu, Farrenkräuter und vielerlei
Immergrün bedecken wuchernd den Boden, und fernhin schimmert
der weite Golf. Die absichtslose Unregelmässigkeit, malerische
Verwilderung und die Nähe des Meeres geben der Anlage einen
ganz besonderen Reiz.

So verging der October. -- Wir blieben die ganze Zeit im
Dunkeln über die politische Lage des Landes. Dass etwas vorging
und das Drama sich fortspielte war deutlich zu merken; mancherlei
Gerüchte drangen auf die Legationen, aber die dort verkehrenden
Staatsbeamten, die allein hätten Aufklärung geben können, hüllten
sich in tiefes Schweigen oder sagten nur was man glauben sollte.

Gleich nach unserer Rückkehr von Kanagava hörte man von
einem Mordanfall auf den Commandeur der Truppen des Fürsten
von Satsuma; die Veranlassung blieb unbekannt. Am 11. October
wurde dem Gesandten der Tod des Fürsten von Mito 20) gemeldet,
und dass der Hof eine siebentägige Trauer für denselben anlege.
Nach den gangbarsten Gerüchten war er zwei Monat vorher wieder
zu Gnaden aufgenommen worden und hatte seinen Palast in Yeddo
bezogen, bald nachher aber auf Befehl des Taikun das Harakiru
an sich vollstreckt. Die Selbstentleibung, welche schon vierzehn
Tage vor der officiellen Todesnachricht erfolgt sein sollte, leugneten
die Bunyo's hartnäckig, und blieben im Uebrigen unergründlich. --
Einige Tage nach jener Meldung erzählte man sich Folgendes: In
einer dunkelen Nacht klopft es heftig an einer Pforte des Palastes
von Satsuma; ein Samrai begehrt Einlass wegen wichtiger Botschaft.
Vom Thürhüter der späten Stunde wegen abgewiesen, versucht er
einen anderen Eingang; das Thor wird hier geöffnet, und sechsund-
dreissig Bewaffnete, die sich verborgen hatten, dringen hinein. Der
Pförtner bittet kniefällig ihn nicht unglücklich zu machen, Jene aber
verlangen nur Gastfreundschaft: sie seien entlassene Soldaten des

20) S. Bd. I. S. 184, 285.

VI. Politische Gerüchte.
beim Gebet kleine Steine auf deren Köpfe. Bleiben diese bei den
häufigen Erdbeben liegen, so sind die Schutzgeister den Kinderseelen
gnädig; fallen sie aber herab, so grämen sich die Mütter; so erzählte
man uns wenigstens. — Die Gräberstätte von To-džen-dži ist eine
der schönsten und ehrwürdigsten der Hauptstadt; breite Steinbahnen
und Treppen führen zwischen haushohen Camelien, schlanken
Cryptomerien, Lorbeern, Föhren und Ulmen die Abhänge hinan,
Myrthen und Azaleen, Moos, Epheu, Farrenkräuter und vielerlei
Immergrün bedecken wuchernd den Boden, und fernhin schimmert
der weite Golf. Die absichtslose Unregelmässigkeit, malerische
Verwilderung und die Nähe des Meeres geben der Anlage einen
ganz besonderen Reiz.

So verging der October. — Wir blieben die ganze Zeit im
Dunkeln über die politische Lage des Landes. Dass etwas vorging
und das Drama sich fortspielte war deutlich zu merken; mancherlei
Gerüchte drangen auf die Legationen, aber die dort verkehrenden
Staatsbeamten, die allein hätten Aufklärung geben können, hüllten
sich in tiefes Schweigen oder sagten nur was man glauben sollte.

Gleich nach unserer Rückkehr von Kanagava hörte man von
einem Mordanfall auf den Commandeur der Truppen des Fürsten
von Satsuma; die Veranlassung blieb unbekannt. Am 11. October
wurde dem Gesandten der Tod des Fürsten von Mito 20) gemeldet,
und dass der Hof eine siebentägige Trauer für denselben anlege.
Nach den gangbarsten Gerüchten war er zwei Monat vorher wieder
zu Gnaden aufgenommen worden und hatte seinen Palast in Yeddo
bezogen, bald nachher aber auf Befehl des Taïkūn das Harakiru
an sich vollstreckt. Die Selbstentleibung, welche schon vierzehn
Tage vor der officiellen Todesnachricht erfolgt sein sollte, leugneten
die Bunyo’s hartnäckig, und blieben im Uebrigen unergründlich. —
Einige Tage nach jener Meldung erzählte man sich Folgendes: In
einer dunkelen Nacht klopft es heftig an einer Pforte des Palastes
von Satsuma; ein Samraï begehrt Einlass wegen wichtiger Botschaft.
Vom Thürhüter der späten Stunde wegen abgewiesen, versucht er
einen anderen Eingang; das Thor wird hier geöffnet, und sechsund-
dreissig Bewaffnete, die sich verborgen hatten, dringen hinein. Der
Pförtner bittet kniefällig ihn nicht unglücklich zu machen, Jene aber
verlangen nur Gastfreundschaft: sie seien entlassene Soldaten des

20) S. Bd. I. S. 184, 285.
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[43/0063] VI. Politische Gerüchte. beim Gebet kleine Steine auf deren Köpfe. Bleiben diese bei den häufigen Erdbeben liegen, so sind die Schutzgeister den Kinderseelen gnädig; fallen sie aber herab, so grämen sich die Mütter; so erzählte man uns wenigstens. — Die Gräberstätte von To-džen-dži ist eine der schönsten und ehrwürdigsten der Hauptstadt; breite Steinbahnen und Treppen führen zwischen haushohen Camelien, schlanken Cryptomerien, Lorbeern, Föhren und Ulmen die Abhänge hinan, Myrthen und Azaleen, Moos, Epheu, Farrenkräuter und vielerlei Immergrün bedecken wuchernd den Boden, und fernhin schimmert der weite Golf. Die absichtslose Unregelmässigkeit, malerische Verwilderung und die Nähe des Meeres geben der Anlage einen ganz besonderen Reiz. So verging der October. — Wir blieben die ganze Zeit im Dunkeln über die politische Lage des Landes. Dass etwas vorging und das Drama sich fortspielte war deutlich zu merken; mancherlei Gerüchte drangen auf die Legationen, aber die dort verkehrenden Staatsbeamten, die allein hätten Aufklärung geben können, hüllten sich in tiefes Schweigen oder sagten nur was man glauben sollte. Gleich nach unserer Rückkehr von Kanagava hörte man von einem Mordanfall auf den Commandeur der Truppen des Fürsten von Satsuma; die Veranlassung blieb unbekannt. Am 11. October wurde dem Gesandten der Tod des Fürsten von Mito 20) gemeldet, und dass der Hof eine siebentägige Trauer für denselben anlege. Nach den gangbarsten Gerüchten war er zwei Monat vorher wieder zu Gnaden aufgenommen worden und hatte seinen Palast in Yeddo bezogen, bald nachher aber auf Befehl des Taïkūn das Harakiru an sich vollstreckt. Die Selbstentleibung, welche schon vierzehn Tage vor der officiellen Todesnachricht erfolgt sein sollte, leugneten die Bunyo’s hartnäckig, und blieben im Uebrigen unergründlich. — Einige Tage nach jener Meldung erzählte man sich Folgendes: In einer dunkelen Nacht klopft es heftig an einer Pforte des Palastes von Satsuma; ein Samraï begehrt Einlass wegen wichtiger Botschaft. Vom Thürhüter der späten Stunde wegen abgewiesen, versucht er einen anderen Eingang; das Thor wird hier geöffnet, und sechsund- dreissig Bewaffnete, die sich verborgen hatten, dringen hinein. Der Pförtner bittet kniefällig ihn nicht unglücklich zu machen, Jene aber verlangen nur Gastfreundschaft: sie seien entlassene Soldaten des 20) S. Bd. I. S. 184, 285.

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Zitationshilfe: [Berg, Albert]: Die preussische Expedition nach Ost-Asien. Bd. 2. Berlin, 1866, S. 43. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/berg_ostasien02_1866/63>, abgerufen am 25.11.2024.