Immergrüns beschatten die moosbewachsenen Hänge, und verschlingen ihre rankenbedeckten Zweige mit dem Unterholz zum wuchernden Dickicht. Hohe düstere Alleen stossen, den kaiserlichen Friedhof von den nebenliegenden Tempelgründen scheidend, auf die Ufer des Sees, der, von Reiherschaaren und zahllosen wilden Enten bevölkert, im Lichte der sinkenden Sonne ein Landschaftsbild von seltener Lieblichkeit gewährte.
Auf dem Heimwege begegnete uns ein Trupp gefangener Ver- brecher, die mit Stricken in langer Reihe an einander gefesselt gingen, elende unheimliche Gestalten. Sie schienen vom Lande her eingebracht zu werden und hatten wohl auf dem Wege viel gelitten, denn die Behandlung beim Transport ist etwas unsanft. Weder zum Essen noch Nachts werden die Hände entfesselt; die Delinquenten müssen sich füttern lassen und in sehr unbequemer Stellung schlafen. Solchen, die einzeln transportirt werden, bindet man die Hände in schmerzhafter Weise auf den Rücken: kann Einer nicht mehr vor- wärts, so hängt man ihn mit zusammengeschnürten Armen und Beinen an eine Stange, die zwei Büttel auf den Schultern tragen. Die Fesselung ist sehr künstlich, für jede Classe von Missethätern und jeden Stand eine besondere und durch ausführliche Verordnungen vorgeschrieben. Gemeine Verbrecher werden zuweilen im Kango transportirt, die Füsse in einen schweren Block geschlossen; vor- nehme haben das Standesvorrecht des Norimon, der aber für diesen Fall mit festgefugten Brettern statt des leichten Bambusgeflechtes bekleidet ist; innen sitzt der Delinquent bis an den Hals im Sack steckend; aussen wird noch ein Netz aus dicken Stricken über die Sänfte geworfen. Die Aengstlichkeit der Vorsichtsmaassregeln gränzt an das Lächerliche, doch muss man bedenken, dass die japanischen Büttel nicht nur die Flucht, sondern vor Allem den Selbstmord zu verhüten haben; wer irgend kann entzieht sich der zeitlichen Ge- rechtigkeit durch das Harakiru; die Diener der Justiz hätten wenig zu thun, wenn sie nicht den Selbstmord verhinderten. Was die Grausamkeit der Behandlung angeht, so muss man immer das weniger ausgebildete Nervensystem der Ost-Asiaten in Betracht ziehen, die ungleich härter gegen körperliche Leiden sind als Europäer. Danach sind auch die Strafen zu beurtheilen 5). Die Gefängnisse
5) Ueber die Grausamkeit der japanischen Strafen in früheren Zeiten sind viel unverbürgte Gerüchte verbreitet. Die japanischen Henker sollen danach grosse Virtuosität besessen haben, ihre Schlachtopfer langsam zu Tode zu martern, so
Gefangene. VI.
Immergrüns beschatten die moosbewachsenen Hänge, und verschlingen ihre rankenbedeckten Zweige mit dem Unterholz zum wuchernden Dickicht. Hohe düstere Alleen stossen, den kaiserlichen Friedhof von den nebenliegenden Tempelgründen scheidend, auf die Ufer des Sees, der, von Reiherschaaren und zahllosen wilden Enten bevölkert, im Lichte der sinkenden Sonne ein Landschaftsbild von seltener Lieblichkeit gewährte.
Auf dem Heimwege begegnete uns ein Trupp gefangener Ver- brecher, die mit Stricken in langer Reihe an einander gefesselt gingen, elende unheimliche Gestalten. Sie schienen vom Lande her eingebracht zu werden und hatten wohl auf dem Wege viel gelitten, denn die Behandlung beim Transport ist etwas unsanft. Weder zum Essen noch Nachts werden die Hände entfesselt; die Delinquenten müssen sich füttern lassen und in sehr unbequemer Stellung schlafen. Solchen, die einzeln transportirt werden, bindet man die Hände in schmerzhafter Weise auf den Rücken: kann Einer nicht mehr vor- wärts, so hängt man ihn mit zusammengeschnürten Armen und Beinen an eine Stange, die zwei Büttel auf den Schultern tragen. Die Fesselung ist sehr künstlich, für jede Classe von Missethätern und jeden Stand eine besondere und durch ausführliche Verordnungen vorgeschrieben. Gemeine Verbrecher werden zuweilen im Kaṅgo transportirt, die Füsse in einen schweren Block geschlossen; vor- nehme haben das Standesvorrecht des Norimon, der aber für diesen Fall mit festgefugten Brettern statt des leichten Bambusgeflechtes bekleidet ist; innen sitzt der Delinquent bis an den Hals im Sack steckend; aussen wird noch ein Netz aus dicken Stricken über die Sänfte geworfen. Die Aengstlichkeit der Vorsichtsmaassregeln gränzt an das Lächerliche, doch muss man bedenken, dass die japanischen Büttel nicht nur die Flucht, sondern vor Allem den Selbstmord zu verhüten haben; wer irgend kann entzieht sich der zeitlichen Ge- rechtigkeit durch das Harakiru; die Diener der Justiz hätten wenig zu thun, wenn sie nicht den Selbstmord verhinderten. Was die Grausamkeit der Behandlung angeht, so muss man immer das weniger ausgebildete Nervensystem der Ost-Asiaten in Betracht ziehen, die ungleich härter gegen körperliche Leiden sind als Europäer. Danach sind auch die Strafen zu beurtheilen 5). Die Gefängnisse
5) Ueber die Grausamkeit der japanischen Strafen in früheren Zeiten sind viel unverbürgte Gerüchte verbreitet. Die japanischen Henker sollen danach grosse Virtuosität besessen haben, ihre Schlachtopfer langsam zu Tode zu martern, so
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Gefangene. VI.
Immergrüns beschatten die moosbewachsenen Hänge, und verschlingen
ihre rankenbedeckten Zweige mit dem Unterholz zum wuchernden
Dickicht. Hohe düstere Alleen stossen, den kaiserlichen Friedhof
von den nebenliegenden Tempelgründen scheidend, auf die Ufer
des Sees, der, von Reiherschaaren und zahllosen wilden Enten
bevölkert, im Lichte der sinkenden Sonne ein Landschaftsbild
von seltener Lieblichkeit gewährte.
Auf dem Heimwege begegnete uns ein Trupp gefangener Ver-
brecher, die mit Stricken in langer Reihe an einander gefesselt
gingen, elende unheimliche Gestalten. Sie schienen vom Lande her
eingebracht zu werden und hatten wohl auf dem Wege viel gelitten,
denn die Behandlung beim Transport ist etwas unsanft. Weder
zum Essen noch Nachts werden die Hände entfesselt; die Delinquenten
müssen sich füttern lassen und in sehr unbequemer Stellung schlafen.
Solchen, die einzeln transportirt werden, bindet man die Hände in
schmerzhafter Weise auf den Rücken: kann Einer nicht mehr vor-
wärts, so hängt man ihn mit zusammengeschnürten Armen und Beinen
an eine Stange, die zwei Büttel auf den Schultern tragen. Die
Fesselung ist sehr künstlich, für jede Classe von Missethätern und
jeden Stand eine besondere und durch ausführliche Verordnungen
vorgeschrieben. Gemeine Verbrecher werden zuweilen im Kaṅgo
transportirt, die Füsse in einen schweren Block geschlossen; vor-
nehme haben das Standesvorrecht des Norimon, der aber für diesen
Fall mit festgefugten Brettern statt des leichten Bambusgeflechtes
bekleidet ist; innen sitzt der Delinquent bis an den Hals im Sack
steckend; aussen wird noch ein Netz aus dicken Stricken über die
Sänfte geworfen. Die Aengstlichkeit der Vorsichtsmaassregeln gränzt
an das Lächerliche, doch muss man bedenken, dass die japanischen
Büttel nicht nur die Flucht, sondern vor Allem den Selbstmord zu
verhüten haben; wer irgend kann entzieht sich der zeitlichen Ge-
rechtigkeit durch das Harakiru; die Diener der Justiz hätten wenig
zu thun, wenn sie nicht den Selbstmord verhinderten. Was die
Grausamkeit der Behandlung angeht, so muss man immer das
weniger ausgebildete Nervensystem der Ost-Asiaten in Betracht
ziehen, die ungleich härter gegen körperliche Leiden sind als Europäer.
Danach sind auch die Strafen zu beurtheilen 5). Die Gefängnisse
5) Ueber die Grausamkeit der japanischen Strafen in früheren Zeiten sind viel
unverbürgte Gerüchte verbreitet. Die japanischen Henker sollen danach grosse
Virtuosität besessen haben, ihre Schlachtopfer langsam zu Tode zu martern, so
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[Berg, Albert]: Die preussische Expedition nach Ost-Asien. Bd. 2. Berlin, 1866, S. 16. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/berg_ostasien02_1866/36>, abgerufen am 16.02.2025.
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