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[Berg, Albert]: Die preussische Expedition nach Ost-Asien. Bd. 2. Berlin, 1866.

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Japanische Politik. VI.
sechshundert Jahren, sich wiederholt seiner Person zu bemächtigen
gesucht. Die Dynastie der Minamoto kämpft einen ernsten Kampf
um ihre Existenz und hat sich zu Demüthigungen vor dem Mikado
verstehen müssen, wie sie seit Jahrhunderten unerhört waren. Sie
braucht dessen Autorität vor dem Volke, um das Staatsruder in
Händen zu behalten, die Verträge mit den Fremden sind ihr nur
eine secundäre Frage; die Regierung des Taikun ist offenbar sich
selbst nicht klar, ob sie ihre Herrschaft besser durch Vertreibung
der Ausländer oder durch Aufrechthaltung der Verträge sichern
könne. Von beiden Seiten ist die Gefahr gross, daher die beständigen
Schwankungen. Die Vertreter der westlichen Mächte haben in den
letzten Jahren dem Gorodzio wiederholt ihre thätige Hülfe zur
Unterdrückung der rebellischen Fürsten angeboten; aber ein solches
Bündniss schien den Ministern wegen des nationalen Stolzes der
Japaner immer zu gefährlich, und würde in der That wahrscheinlich
das Volk auf die Seite des Feindes bringen. Man hat daher gegen
jeden selbständigen Angriff der Fremden auf die rebellischen Fürsten
immer laut protestirt, solchen aber stets gern gesehen und im Stillen
unterstützt. Es ist ein beständiges Laviren. Zu Zeiten ging die
Regierung so weit, den fremden Vertretern öffentlich die Verträge
zu kündigen und die Räumung von Yokuhama zu verlangen, be-
zeichnete aber zugleich im Vertrauen diese Maassregel als eine
blosse Form, die nur zur Erhaltung des guten Einverständnisses mit
dem Mikado nothwendig sei. Dann wieder, wenn es unmöglich
schien sich auf diese Weise zu halten, wurde die Räumung von
Yokuhama allen Ernstes verlangt, die Lebensmittel abgeschnitten
und eines schönen Tages alle Japaner aus der Niederlassung entfernt.
In solchen Fällen brachte das kategorische Auftreten der fremden
Vertreter und Geschwader-Commandanten die japanischen Behörden
meist bald zur Besinnung und Herstellung des alten Verhältnisses.
In Wahrheit scheint die Regierung von Yeddo den Ausländern im
Princip weder feindlich noch besonders geneigt zu sein. Die Verträge
sind ihr abgedrungen worden; sie wird dieselben gern erfüllen, wenn
sie dadurch ihre Macht im Innern erhöht und befestigt, und wird
sie brechen, wenn sie durch die Erfüllung ihre Existenz stärker
gefährdet sieht als durch die Eventualität eines äusseren Krieges.
Wäre eine sichere Gewährleistung ihrer Herrschaft durch die Fremden
möglich, so würden die Minamoto und ihre Parthei wahrscheinlich
sofort deren aufrichtige Freunde. Einstweilen benutzen sie dieselben

Japanische Politik. VI.
sechshundert Jahren, sich wiederholt seiner Person zu bemächtigen
gesucht. Die Dynastie der Minamoto kämpft einen ernsten Kampf
um ihre Existenz und hat sich zu Demüthigungen vor dem Mikado
verstehen müssen, wie sie seit Jahrhunderten unerhört waren. Sie
braucht dessen Autorität vor dem Volke, um das Staatsruder in
Händen zu behalten, die Verträge mit den Fremden sind ihr nur
eine secundäre Frage; die Regierung des Taïkūn ist offenbar sich
selbst nicht klar, ob sie ihre Herrschaft besser durch Vertreibung
der Ausländer oder durch Aufrechthaltung der Verträge sichern
könne. Von beiden Seiten ist die Gefahr gross, daher die beständigen
Schwankungen. Die Vertreter der westlichen Mächte haben in den
letzten Jahren dem Gorodžio wiederholt ihre thätige Hülfe zur
Unterdrückung der rebellischen Fürsten angeboten; aber ein solches
Bündniss schien den Ministern wegen des nationalen Stolzes der
Japaner immer zu gefährlich, und würde in der That wahrscheinlich
das Volk auf die Seite des Feindes bringen. Man hat daher gegen
jeden selbständigen Angriff der Fremden auf die rebellischen Fürsten
immer laut protestirt, solchen aber stets gern gesehen und im Stillen
unterstützt. Es ist ein beständiges Laviren. Zu Zeiten ging die
Regierung so weit, den fremden Vertretern öffentlich die Verträge
zu kündigen und die Räumung von Yokuhama zu verlangen, be-
zeichnete aber zugleich im Vertrauen diese Maassregel als eine
blosse Form, die nur zur Erhaltung des guten Einverständnisses mit
dem Mikado nothwendig sei. Dann wieder, wenn es unmöglich
schien sich auf diese Weise zu halten, wurde die Räumung von
Yokuhama allen Ernstes verlangt, die Lebensmittel abgeschnitten
und eines schönen Tages alle Japaner aus der Niederlassung entfernt.
In solchen Fällen brachte das kategorische Auftreten der fremden
Vertreter und Geschwader-Commandanten die japanischen Behörden
meist bald zur Besinnung und Herstellung des alten Verhältnisses.
In Wahrheit scheint die Regierung von Yeddo den Ausländern im
Princip weder feindlich noch besonders geneigt zu sein. Die Verträge
sind ihr abgedrungen worden; sie wird dieselben gern erfüllen, wenn
sie dadurch ihre Macht im Innern erhöht und befestigt, und wird
sie brechen, wenn sie durch die Erfüllung ihre Existenz stärker
gefährdet sieht als durch die Eventualität eines äusseren Krieges.
Wäre eine sichere Gewährleistung ihrer Herrschaft durch die Fremden
möglich, so würden die Minamoto und ihre Parthei wahrscheinlich
sofort deren aufrichtige Freunde. Einstweilen benutzen sie dieselben

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[6/0026] Japanische Politik. VI. sechshundert Jahren, sich wiederholt seiner Person zu bemächtigen gesucht. Die Dynastie der Minamoto kämpft einen ernsten Kampf um ihre Existenz und hat sich zu Demüthigungen vor dem Mikado verstehen müssen, wie sie seit Jahrhunderten unerhört waren. Sie braucht dessen Autorität vor dem Volke, um das Staatsruder in Händen zu behalten, die Verträge mit den Fremden sind ihr nur eine secundäre Frage; die Regierung des Taïkūn ist offenbar sich selbst nicht klar, ob sie ihre Herrschaft besser durch Vertreibung der Ausländer oder durch Aufrechthaltung der Verträge sichern könne. Von beiden Seiten ist die Gefahr gross, daher die beständigen Schwankungen. Die Vertreter der westlichen Mächte haben in den letzten Jahren dem Gorodžio wiederholt ihre thätige Hülfe zur Unterdrückung der rebellischen Fürsten angeboten; aber ein solches Bündniss schien den Ministern wegen des nationalen Stolzes der Japaner immer zu gefährlich, und würde in der That wahrscheinlich das Volk auf die Seite des Feindes bringen. Man hat daher gegen jeden selbständigen Angriff der Fremden auf die rebellischen Fürsten immer laut protestirt, solchen aber stets gern gesehen und im Stillen unterstützt. Es ist ein beständiges Laviren. Zu Zeiten ging die Regierung so weit, den fremden Vertretern öffentlich die Verträge zu kündigen und die Räumung von Yokuhama zu verlangen, be- zeichnete aber zugleich im Vertrauen diese Maassregel als eine blosse Form, die nur zur Erhaltung des guten Einverständnisses mit dem Mikado nothwendig sei. Dann wieder, wenn es unmöglich schien sich auf diese Weise zu halten, wurde die Räumung von Yokuhama allen Ernstes verlangt, die Lebensmittel abgeschnitten und eines schönen Tages alle Japaner aus der Niederlassung entfernt. In solchen Fällen brachte das kategorische Auftreten der fremden Vertreter und Geschwader-Commandanten die japanischen Behörden meist bald zur Besinnung und Herstellung des alten Verhältnisses. In Wahrheit scheint die Regierung von Yeddo den Ausländern im Princip weder feindlich noch besonders geneigt zu sein. Die Verträge sind ihr abgedrungen worden; sie wird dieselben gern erfüllen, wenn sie dadurch ihre Macht im Innern erhöht und befestigt, und wird sie brechen, wenn sie durch die Erfüllung ihre Existenz stärker gefährdet sieht als durch die Eventualität eines äusseren Krieges. Wäre eine sichere Gewährleistung ihrer Herrschaft durch die Fremden möglich, so würden die Minamoto und ihre Parthei wahrscheinlich sofort deren aufrichtige Freunde. Einstweilen benutzen sie dieselben

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Zitationshilfe: [Berg, Albert]: Die preussische Expedition nach Ost-Asien. Bd. 2. Berlin, 1866, S. 6. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/berg_ostasien02_1866/26>, abgerufen am 24.11.2024.