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[Berg, Albert]: Die preussische Expedition nach Ost-Asien. Bd. 2. Berlin, 1866.

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XI. Das Todzin-Yasiki. Desima.
reichsten Provinzen durch die Rebellen seinen Grund hat; es mag
an Capital und Unternehmungslust fehlen. Die Chinesen haben
keinen Vertrag mit Japan, sondern werden nur aus Gewohnheit und
auf Grund uralten Uebereinkommens in Nangasaki geduldet. Sie
besitzen auf den benachbarten Höhen ihre eigenen Tempel und
bilden eine abgeschlossene Gemeinde, die sich allem Anschein nach
ohne Einfluss der heimischen Behörden constituirt und verwaltet,
eine selbständige kleine Handelsrepublik von sehr losem Zusammen-
hange. Sie scheint nicht aus den besten Elementen des chinesischen
Volkes zu bestehen und in ihren vier Pfählen ziemlich gesetz- und
sittenlos zu leben. Kein Europäer, dem seine Haut lieb ist, wagt
sich in die Einzäunung; die es gethan, sind jedesmal übel
zugerichtet worden, oft kaum mit dem Leben davongekommen. --
Jetzt wohnen auch viele Chinesen als Commis und Diener der west-
ländischen Handelshäuser in Nangasaki; diese haben mit dem
Todzin-Yasiki keine Gemeinschaft.

Beim Abschied von Nangasaki, dessen Herrlichkeiten sattsam
zu geniessen unsere Zeit leider viel zu kurz war, möge es erlaubt
sein, noch Einiges über die merkwürdige Vergangenheit des kleinen
Desima nachzutragen. Von seiner Lage, Grösse und Geschichte
ist schon im einleitenden Abschnitt gehandelt worden; hier soll
versucht werden, ein Bild von dem Zustande des Inselchens und
den Leiden und Freuden der Niederländer in den verschiedenen
Phasen ihrer Einschliessung zu entwerfen.

Das alte Desima war von dem heutigen sehr verschieden.
Hohe Stackete und Zäune umschlossen die Insel; ringsumher stand in
geringer Entfernung eine Reihe Pfähle im Wasser, mit Warnungen,
dass sich bei Todesstrafe niemand unterstehen möge, mit Booten
dort anzulegen oder zwischen den Pfählen und unter der nach
dem Lande führenden Brücke durchzufahren. In der Mitte der Insel
lief, wie noch heut, eine Strasse quer durch ihre Länge, gekreuzt
von einer zweiten kürzeren, die auf das Brückenthor stiess. Die
Häuser dieser Strassen beschreibt Kämpfer als "schlechte, aus
Tannenholz und Leimen zusammengepappte Bauten. die etwa das
Ansehen von Ziegenställen haben;     das untere Stockwerk dient
zu Packkellern und Niederlagen, der Söller aber zur Wohnung."
Ausserhalb dieser Häuserreihen, welche Bürgern von Nangasaki

XI. Das Todžin-Yasiki. Desima.
reichsten Provinzen durch die Rebellen seinen Grund hat; es mag
an Capital und Unternehmungslust fehlen. Die Chinesen haben
keinen Vertrag mit Japan, sondern werden nur aus Gewohnheit und
auf Grund uralten Uebereinkommens in Naṅgasaki geduldet. Sie
besitzen auf den benachbarten Höhen ihre eigenen Tempel und
bilden eine abgeschlossene Gemeinde, die sich allem Anschein nach
ohne Einfluss der heimischen Behörden constituirt und verwaltet,
eine selbständige kleine Handelsrepublik von sehr losem Zusammen-
hange. Sie scheint nicht aus den besten Elementen des chinesischen
Volkes zu bestehen und in ihren vier Pfählen ziemlich gesetz- und
sittenlos zu leben. Kein Europäer, dem seine Haut lieb ist, wagt
sich in die Einzäunung; die es gethan, sind jedesmal übel
zugerichtet worden, oft kaum mit dem Leben davongekommen. —
Jetzt wohnen auch viele Chinesen als Commis und Diener der west-
ländischen Handelshäuser in Naṅgasaki; diese haben mit dem
Todžin-Yasiki keine Gemeinschaft.

Beim Abschied von Naṅgasaki, dessen Herrlichkeiten sattsam
zu geniessen unsere Zeit leider viel zu kurz war, möge es erlaubt
sein, noch Einiges über die merkwürdige Vergangenheit des kleinen
Desima nachzutragen. Von seiner Lage, Grösse und Geschichte
ist schon im einleitenden Abschnitt gehandelt worden; hier soll
versucht werden, ein Bild von dem Zustande des Inselchens und
den Leiden und Freuden der Niederländer in den verschiedenen
Phasen ihrer Einschliessung zu entwerfen.

Das alte Desima war von dem heutigen sehr verschieden.
Hohe Stackete und Zäune umschlossen die Insel; ringsumher stand in
geringer Entfernung eine Reihe Pfähle im Wasser, mit Warnungen,
dass sich bei Todesstrafe niemand unterstehen möge, mit Booten
dort anzulegen oder zwischen den Pfählen und unter der nach
dem Lande führenden Brücke durchzufahren. In der Mitte der Insel
lief, wie noch heut, eine Strasse quer durch ihre Länge, gekreuzt
von einer zweiten kürzeren, die auf das Brückenthor stiess. Die
Häuser dieser Strassen beschreibt Kämpfer als »schlechte, aus
Tannenholz und Leimen zusammengepappte Bauten. die etwa das
Ansehen von Ziegenställen haben;     das untere Stockwerk dient
zu Packkellern und Niederlagen, der Söller aber zur Wohnung.«
Ausserhalb dieser Häuserreihen, welche Bürgern von Naṅgasaki

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[203/0223] XI. Das Todžin-Yasiki. Desima. reichsten Provinzen durch die Rebellen seinen Grund hat; es mag an Capital und Unternehmungslust fehlen. Die Chinesen haben keinen Vertrag mit Japan, sondern werden nur aus Gewohnheit und auf Grund uralten Uebereinkommens in Naṅgasaki geduldet. Sie besitzen auf den benachbarten Höhen ihre eigenen Tempel und bilden eine abgeschlossene Gemeinde, die sich allem Anschein nach ohne Einfluss der heimischen Behörden constituirt und verwaltet, eine selbständige kleine Handelsrepublik von sehr losem Zusammen- hange. Sie scheint nicht aus den besten Elementen des chinesischen Volkes zu bestehen und in ihren vier Pfählen ziemlich gesetz- und sittenlos zu leben. Kein Europäer, dem seine Haut lieb ist, wagt sich in die Einzäunung; die es gethan, sind jedesmal übel zugerichtet worden, oft kaum mit dem Leben davongekommen. — Jetzt wohnen auch viele Chinesen als Commis und Diener der west- ländischen Handelshäuser in Naṅgasaki; diese haben mit dem Todžin-Yasiki keine Gemeinschaft. Beim Abschied von Naṅgasaki, dessen Herrlichkeiten sattsam zu geniessen unsere Zeit leider viel zu kurz war, möge es erlaubt sein, noch Einiges über die merkwürdige Vergangenheit des kleinen Desima nachzutragen. Von seiner Lage, Grösse und Geschichte ist schon im einleitenden Abschnitt gehandelt worden; hier soll versucht werden, ein Bild von dem Zustande des Inselchens und den Leiden und Freuden der Niederländer in den verschiedenen Phasen ihrer Einschliessung zu entwerfen. Das alte Desima war von dem heutigen sehr verschieden. Hohe Stackete und Zäune umschlossen die Insel; ringsumher stand in geringer Entfernung eine Reihe Pfähle im Wasser, mit Warnungen, dass sich bei Todesstrafe niemand unterstehen möge, mit Booten dort anzulegen oder zwischen den Pfählen und unter der nach dem Lande führenden Brücke durchzufahren. In der Mitte der Insel lief, wie noch heut, eine Strasse quer durch ihre Länge, gekreuzt von einer zweiten kürzeren, die auf das Brückenthor stiess. Die Häuser dieser Strassen beschreibt Kämpfer als »schlechte, aus Tannenholz und Leimen zusammengepappte Bauten. die etwa das Ansehen von Ziegenställen haben; das untere Stockwerk dient zu Packkellern und Niederlagen, der Söller aber zur Wohnung.« Ausserhalb dieser Häuserreihen, welche Bürgern von Naṅgasaki

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Zitationshilfe: [Berg, Albert]: Die preussische Expedition nach Ost-Asien. Bd. 2. Berlin, 1866, S. 203. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/berg_ostasien02_1866/223>, abgerufen am 24.11.2024.