[Berg, Albert]: Die preussische Expedition nach Ost-Asien. Bd. 2. Berlin, 1866.XI. Die Holländer auf Desima. Thal und am Himmel über uns sich Tausende von Lichtern entzün-deten, wiedergespiegelt in der glatten dunkelen Fluth, sassen wir oft bis spät in die Nacht auf dem Verdeck beisammen und lauschten den Erzählungen unserer Gäste. Nangasaki hat den grossen Vor- zug, dass hier der Verkehr mit den Japanern seit zwei Jahrhun- derten eingelebt ist. Ganze Geschlechter von Beamten, Dolmetschern und Kaufleuten sind durch Familientradition an den Umgang und die Geschäfte der Holländer gefesselt; auf dem niederländischen General-Consulat gibt es Diener und Aufseher, deren Vorfahren durch mehrere Generationen bei den Handelsvorstehern dieselben Posten mit erprobter Treue bekleidet haben. So erfährt man denn hier mehr Zuverlässiges über japanische Verhältnisse als irgendwo anders; vor Allen hatte sich Doctor Pompe im täglichen Verkehr mit seinen Schülern und Patienten die eingehendste Kenntniss der Zustände zu erwerben gewusst und machte täglich bemerkenswerthe Mittheilungen. -- Sein japanisches Auditorium bestand aus zwölf jungen Aerzten unter Aufsicht des Doctor Mats-moto, Adoptiv- und Schwiegersohnes des kaiserlichen Leibarztes. Alle verstanden hol- ländisch, Mats-moto, ein fähiger aufgeweckter junger Mann so voll- kommen, dass er Herrn Pompe's Vorträge japanisch nachzuschreiben pflegte um sie Abends mit seinen Commilitonen zu repetiren. Er war voll Lebensfrische und Eifer für die Wissenschaft, hatte allerlei vom deutschen Studentenleben gehört und ahmte es in seiner Weise nach. So wurde alle Sonnabend tüchtig gekneipt; erlaubte sich aber einer seiner Genossen nebenbei noch andere Gelage, so steckte er ihn auf gut japanisch in das Carcer. Mats-moto hatte sich im Voraus lange auf die Ankunft der deutschen Gelehrten gefreut und überhäufte Wichura mit freundlichen Aufmerksamkei- ten; er lud ihn wiederholt zu sich zu Tisch, suchte ihm alle Wünsche abzulauschen und benahm sich in allen Stücken mit so uneigen- nütziger Liebenswürdigkeit, wie man sie nur unter wahrhaft gebil- deten Menschen findet. Die Holländer auf Desima verkehrten mit ihm durchaus wie mit Ihresgleichen, und er bewies sich in der That als der beste Gesellschafter, freimüthig, witzig und jovial, von feinen, einfachen Formen. -- Doctor Pompe hatte grosse Freude an seiner Wirksamkeit und wurde von seinen Schülern auf Händen getragen. Er richtete damals im Auftrag und auf Kosten der japa- nischen Regierung ein Hospital nach europäischem Muster ein, wo die Krankenpflege und Behandlung practisch gelehrt werden sollte. 13*
XI. Die Holländer auf Desima. Thal und am Himmel über uns sich Tausende von Lichtern entzün-deten, wiedergespiegelt in der glatten dunkelen Fluth, sassen wir oft bis spät in die Nacht auf dem Verdeck beisammen und lauschten den Erzählungen unserer Gäste. Naṅgasaki hat den grossen Vor- zug, dass hier der Verkehr mit den Japanern seit zwei Jahrhun- derten eingelebt ist. Ganze Geschlechter von Beamten, Dolmetschern und Kaufleuten sind durch Familientradition an den Umgang und die Geschäfte der Holländer gefesselt; auf dem niederländischen General-Consulat gibt es Diener und Aufseher, deren Vorfahren durch mehrere Generationen bei den Handelsvorstehern dieselben Posten mit erprobter Treue bekleidet haben. So erfährt man denn hier mehr Zuverlässiges über japanische Verhältnisse als irgendwo anders; vor Allen hatte sich Doctor Pompe im täglichen Verkehr mit seinen Schülern und Patienten die eingehendste Kenntniss der Zustände zu erwerben gewusst und machte täglich bemerkenswerthe Mittheilungen. — Sein japanisches Auditorium bestand aus zwölf jungen Aerzten unter Aufsicht des Doctor Mats-moto, Adoptiv- und Schwiegersohnes des kaiserlichen Leibarztes. Alle verstanden hol- ländisch, Mats-moto, ein fähiger aufgeweckter junger Mann so voll- kommen, dass er Herrn Pompe’s Vorträge japanisch nachzuschreiben pflegte um sie Abends mit seinen Commilitonen zu repetiren. Er war voll Lebensfrische und Eifer für die Wissenschaft, hatte allerlei vom deutschen Studentenleben gehört und ahmte es in seiner Weise nach. So wurde alle Sonnabend tüchtig gekneipt; erlaubte sich aber einer seiner Genossen nebenbei noch andere Gelage, so steckte er ihn auf gut japanisch in das Carcer. Mats-moto hatte sich im Voraus lange auf die Ankunft der deutschen Gelehrten gefreut und überhäufte Wichura mit freundlichen Aufmerksamkei- ten; er lud ihn wiederholt zu sich zu Tisch, suchte ihm alle Wünsche abzulauschen und benahm sich in allen Stücken mit so uneigen- nütziger Liebenswürdigkeit, wie man sie nur unter wahrhaft gebil- deten Menschen findet. Die Holländer auf Desima verkehrten mit ihm durchaus wie mit Ihresgleichen, und er bewies sich in der That als der beste Gesellschafter, freimüthig, witzig und jovial, von feinen, einfachen Formen. — Doctor Pompe hatte grosse Freude an seiner Wirksamkeit und wurde von seinen Schülern auf Händen getragen. Er richtete damals im Auftrag und auf Kosten der japa- nischen Regierung ein Hospital nach europäischem Muster ein, wo die Krankenpflege und Behandlung practisch gelehrt werden sollte. 13*
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XI. Die Holländer auf Desima.
Thal und am Himmel über uns sich Tausende von Lichtern entzün-
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oft bis spät in die Nacht auf dem Verdeck beisammen und lauschten
den Erzählungen unserer Gäste. Naṅgasaki hat den grossen Vor-
zug, dass hier der Verkehr mit den Japanern seit zwei Jahrhun-
derten eingelebt ist. Ganze Geschlechter von Beamten, Dolmetschern
und Kaufleuten sind durch Familientradition an den Umgang und
die Geschäfte der Holländer gefesselt; auf dem niederländischen
General-Consulat gibt es Diener und Aufseher, deren Vorfahren
durch mehrere Generationen bei den Handelsvorstehern dieselben
Posten mit erprobter Treue bekleidet haben. So erfährt man denn
hier mehr Zuverlässiges über japanische Verhältnisse als irgendwo
anders; vor Allen hatte sich Doctor Pompe im täglichen Verkehr
mit seinen Schülern und Patienten die eingehendste Kenntniss der
Zustände zu erwerben gewusst und machte täglich bemerkenswerthe
Mittheilungen. — Sein japanisches Auditorium bestand aus zwölf
jungen Aerzten unter Aufsicht des Doctor Mats-moto, Adoptiv- und
Schwiegersohnes des kaiserlichen Leibarztes. Alle verstanden hol-
ländisch, Mats-moto, ein fähiger aufgeweckter junger Mann so voll-
kommen, dass er Herrn Pompe’s Vorträge japanisch nachzuschreiben
pflegte um sie Abends mit seinen Commilitonen zu repetiren. Er
war voll Lebensfrische und Eifer für die Wissenschaft, hatte allerlei
vom deutschen Studentenleben gehört und ahmte es in seiner
Weise nach. So wurde alle Sonnabend tüchtig gekneipt; erlaubte
sich aber einer seiner Genossen nebenbei noch andere Gelage, so
steckte er ihn auf gut japanisch in das Carcer. Mats-moto hatte
sich im Voraus lange auf die Ankunft der deutschen Gelehrten
gefreut und überhäufte Wichura mit freundlichen Aufmerksamkei-
ten; er lud ihn wiederholt zu sich zu Tisch, suchte ihm alle Wünsche
abzulauschen und benahm sich in allen Stücken mit so uneigen-
nütziger Liebenswürdigkeit, wie man sie nur unter wahrhaft gebil-
deten Menschen findet. Die Holländer auf Desima verkehrten mit
ihm durchaus wie mit Ihresgleichen, und er bewies sich in der That
als der beste Gesellschafter, freimüthig, witzig und jovial, von
feinen, einfachen Formen. — Doctor Pompe hatte grosse Freude
an seiner Wirksamkeit und wurde von seinen Schülern auf Händen
getragen. Er richtete damals im Auftrag und auf Kosten der japa-
nischen Regierung ein Hospital nach europäischem Muster ein, wo
die Krankenpflege und Behandlung practisch gelehrt werden sollte.
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