Desima von der Stadt scheidet; an ihrem Südende liegt in freund- lichem Gärtchen, mit dem Blick auf den innersten Winkel des Beckens und den hier mündenden Canal, die Wohnung des hollän- dischen Arztes. An dieser Stelle haben Kämpfer und Thunberg gehaust, deren Namen auf einem neben dem Eingange eingesenkten Felsstück zu lesen sind; jetzt wohnte dort Dr. Pompe van Meer- dervort, welchen die holländische Regierung auf Ersuchen der japa- nischen nach Nangasaki beurlaubt hatte, um einheimischen Medi- cinern Vorlesungen zu halten.
Seit den Zeiten der Factorei hat sich auf Desima Vieles ge- ändert, aber die holländische Behaglichkeit blüht noch in vollstem Glanze. Die Insel ist noch heute ganz in den Händen der Nieder- länder; sie zahlen nicht mehr Miethe für die Häuser, sondern nur einen vertragsmässigen Grundzins, und besitzen die Gebäude als Eigenthum. Die Handelscompagnie besteht nur als Privatgesellschaft weiter, aber ohne Monopol, ihr Director ist nicht, wie früher, der erste Mann der Niederlassung; die Stellung hat ihre Bedeutung verloren, seitdem Herr Donker Curtius als Commissar der königlich niederländischen Regierung dort eintraf und durch die Verträge von 1856, 1857, 1858 seinen Landsleuten gleiche Rechte mit anderen bevorzugten Nationen erwirkte. Sein Nachfolger wurde der General- Consul Herr De Witt, dessen Amtswohnung sich durch Geräumig- keit und standeswürdige Einrichtung vor allen Häusern des Insel- chens auszeichnet. An Bequemlichkeit und Comfort fehlt es in keinem; die Fussböden sind mit japanischen Matten bedeckt, Möbel und Geräthe von europäischer, amerikanischer, chinesischer Arbeit, Alles wohlhäbig und behaglich, wie sich denn auch die heutigen Bewohner von Desima nach altem gutem Herkommen nichts abgehen lassen. Sie wissen die geselligen Freuden zu schätzen und üben die liebenswürdigste Gastfreundschaft. Küche und Keller sind vortrefflich; die Tafeln strotzen von japanischen, javanischen und westländischen Leckerbissen und ausgesuchten Getränken; die Zusammenkünfte sind zwanglos und unbefangen. So lange wir dort waren drängte ein Fest das andere, die Gastfreiheit kannte keine Gränzen; man führte ein wahres Phäakenleben, in einem oder dem anderen Hause klan- gen die Gläser immer bis tief in die Nacht. Eines der ersten Hand- lungshäuser auf Desima ist ein deutsches, das bis dahin unter hol- ländischem Schutze gestanden hatte; der Chef, Herr K., jetzt preussischer Vice-Consul in Nangasaki, war damals in Europa; sein
XI. Desima.
Desima von der Stadt scheidet; an ihrem Südende liegt in freund- lichem Gärtchen, mit dem Blick auf den innersten Winkel des Beckens und den hier mündenden Canal, die Wohnung des hollän- dischen Arztes. An dieser Stelle haben Kämpfer und Thunberg gehaust, deren Namen auf einem neben dem Eingange eingesenkten Felsstück zu lesen sind; jetzt wohnte dort Dr. Pompe van Meer- dervort, welchen die holländische Regierung auf Ersuchen der japa- nischen nach Naṅgasaki beurlaubt hatte, um einheimischen Medi- cinern Vorlesungen zu halten.
Seit den Zeiten der Factorei hat sich auf Desima Vieles ge- ändert, aber die holländische Behaglichkeit blüht noch in vollstem Glanze. Die Insel ist noch heute ganz in den Händen der Nieder- länder; sie zahlen nicht mehr Miethe für die Häuser, sondern nur einen vertragsmässigen Grundzins, und besitzen die Gebäude als Eigenthum. Die Handelscompagnie besteht nur als Privatgesellschaft weiter, aber ohne Monopol, ihr Director ist nicht, wie früher, der erste Mann der Niederlassung; die Stellung hat ihre Bedeutung verloren, seitdem Herr Donker Curtius als Commissar der königlich niederländischen Regierung dort eintraf und durch die Verträge von 1856, 1857, 1858 seinen Landsleuten gleiche Rechte mit anderen bevorzugten Nationen erwirkte. Sein Nachfolger wurde der General- Consul Herr De Witt, dessen Amtswohnung sich durch Geräumig- keit und standeswürdige Einrichtung vor allen Häusern des Insel- chens auszeichnet. An Bequemlichkeit und Comfort fehlt es in keinem; die Fussböden sind mit japanischen Matten bedeckt, Möbel und Geräthe von europäischer, amerikanischer, chinesischer Arbeit, Alles wohlhäbig und behaglich, wie sich denn auch die heutigen Bewohner von Desima nach altem gutem Herkommen nichts abgehen lassen. Sie wissen die geselligen Freuden zu schätzen und üben die liebenswürdigste Gastfreundschaft. Küche und Keller sind vortrefflich; die Tafeln strotzen von japanischen, javanischen und westländischen Leckerbissen und ausgesuchten Getränken; die Zusammenkünfte sind zwanglos und unbefangen. So lange wir dort waren drängte ein Fest das andere, die Gastfreiheit kannte keine Gränzen; man führte ein wahres Phäakenleben, in einem oder dem anderen Hause klan- gen die Gläser immer bis tief in die Nacht. Eines der ersten Hand- lungshäuser auf Desima ist ein deutsches, das bis dahin unter hol- ländischem Schutze gestanden hatte; der Chef, Herr K., jetzt preussischer Vice-Consul in Naṅgasaki, war damals in Europa; sein
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XI. Desima.
Desima von der Stadt scheidet; an ihrem Südende liegt in freund-
lichem Gärtchen, mit dem Blick auf den innersten Winkel des
Beckens und den hier mündenden Canal, die Wohnung des hollän-
dischen Arztes. An dieser Stelle haben Kämpfer und Thunberg
gehaust, deren Namen auf einem neben dem Eingange eingesenkten
Felsstück zu lesen sind; jetzt wohnte dort Dr. Pompe van Meer-
dervort, welchen die holländische Regierung auf Ersuchen der japa-
nischen nach Naṅgasaki beurlaubt hatte, um einheimischen Medi-
cinern Vorlesungen zu halten.
Seit den Zeiten der Factorei hat sich auf Desima Vieles ge-
ändert, aber die holländische Behaglichkeit blüht noch in vollstem
Glanze. Die Insel ist noch heute ganz in den Händen der Nieder-
länder; sie zahlen nicht mehr Miethe für die Häuser, sondern nur
einen vertragsmässigen Grundzins, und besitzen die Gebäude als
Eigenthum. Die Handelscompagnie besteht nur als Privatgesellschaft
weiter, aber ohne Monopol, ihr Director ist nicht, wie früher, der
erste Mann der Niederlassung; die Stellung hat ihre Bedeutung
verloren, seitdem Herr Donker Curtius als Commissar der königlich
niederländischen Regierung dort eintraf und durch die Verträge von
1856, 1857, 1858 seinen Landsleuten gleiche Rechte mit anderen
bevorzugten Nationen erwirkte. Sein Nachfolger wurde der General-
Consul Herr De Witt, dessen Amtswohnung sich durch Geräumig-
keit und standeswürdige Einrichtung vor allen Häusern des Insel-
chens auszeichnet. An Bequemlichkeit und Comfort fehlt es in
keinem; die Fussböden sind mit japanischen Matten bedeckt, Möbel
und Geräthe von europäischer, amerikanischer, chinesischer Arbeit,
Alles wohlhäbig und behaglich, wie sich denn auch die heutigen
Bewohner von Desima nach altem gutem Herkommen nichts abgehen
lassen. Sie wissen die geselligen Freuden zu schätzen und üben die
liebenswürdigste Gastfreundschaft. Küche und Keller sind vortrefflich;
die Tafeln strotzen von japanischen, javanischen und westländischen
Leckerbissen und ausgesuchten Getränken; die Zusammenkünfte sind
zwanglos und unbefangen. So lange wir dort waren drängte ein
Fest das andere, die Gastfreiheit kannte keine Gränzen; man führte
ein wahres Phäakenleben, in einem oder dem anderen Hause klan-
gen die Gläser immer bis tief in die Nacht. Eines der ersten Hand-
lungshäuser auf Desima ist ein deutsches, das bis dahin unter hol-
ländischem Schutze gestanden hatte; der Chef, Herr K., jetzt
preussischer Vice-Consul in Naṅgasaki, war damals in Europa; sein
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[Berg, Albert]: Die preussische Expedition nach Ost-Asien. Bd. 2. Berlin, 1866, S. 189. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/berg_ostasien02_1866/209>, abgerufen am 16.02.2025.
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