[Berg, Albert]: Die preussische Expedition nach Ost-Asien. Bd. 2. Berlin, 1866.
Aussichten des Weltverkehrs. X. Rechte den Vorwurf, dass sie sich leicht den Sitten und der Spracheder Ausländer anpassen, unter denen sie leben, dass sie ihrer ange- stammten Eigenthümlichkeit untreu werden; diese Schmiegsamkeit des Wesens verlöre sich aber bald, wenn die durch gleiche Interessen verbundenen deutschen Staaten ein politisches Ganze bildeten, das nach aussen so kräftig und würdig auftreten könnte, als der Grösse des Volkes ziemt. Wie die Dinge bis jetzt ge- legen haben, musste es dem Deutschen der kleinen Staaten im Aus- lande am Bewusstsein nationaler Vollgültigkeit fehlen. Preussen, welchem Deutschland den geistigen wie den materiellen Aufschwung dankt, soll allen als Rückhalt dienen, alle Lasten allein tragen, und hat die Verpflichtung dazu, soweit die Erfüllung in seinen Kräften lag, immer anerkannt. Aber die Ansprüche mehren sich in steigen- der Progression, und Preussen muss, wenn es dieselben befriedigen soll, nothwendig die militärische, diplomatische und handelspolitische Vertretung aller deutschen Staaten übernehmen, welche ihm durch gleiche Interessen und gleiche Bildung verbunden sind. Aus allen Welttheilen laufen die dringendsten Gesuche von Deutschen an die preussische Regierung um diplomatischen Schutz und Entsendung von Kriegsschiffen in einer Ausdehnung ein, welche die Kräfte des Landes weit übersteigen. Die Anstellung von Handelsagenten hat in den meisten Fällen wenig Werth; diese treten selten in ein Ver- hältniss zu den fremden Regierungen, das sie zur wirksamen Unterstützung ihrer Landsleute befähigte. Es handelt sich um die kostspielige Unterhaltung zahlreicher Kriegsschiffe und gut besoldeter Beamten mit Richterqualität, welche, auf wirkliche Macht gestüzt, eine unabhängige, achtunggebietende Stellung ein- nehmen. Eine abgesonderte Vertretung kleiner Staaten ist, wo sie sich bewirken lässt, ganz werthlos. Als Graf Eulenburg in China nach unsäglichen Bemühungen die von den Hansestädten beanspruchte Vertretung durch eigene Consuln durchgesetzt hatte, geriethen die dort angesiedelten Hanseaten in grosse Aufregung, denn sie sahen sich zurückgesetzt gegen die Unterthanen des Zollverbandes und der mecklenburgischen Grossherzogthümer, deren preussische Ver- treter sich auf materielle Machtäusserung in Gestalt kanonenge- spickter Kriegsschiffe stützen können. Die Verbreitung und der Einfluss der Deutschen in über- Aussichten des Weltverkehrs. X. Rechte den Vorwurf, dass sie sich leicht den Sitten und der Spracheder Ausländer anpassen, unter denen sie leben, dass sie ihrer ange- stammten Eigenthümlichkeit untreu werden; diese Schmiegsamkeit des Wesens verlöre sich aber bald, wenn die durch gleiche Interessen verbundenen deutschen Staaten ein politisches Ganze bildeten, das nach aussen so kräftig und würdig auftreten könnte, als der Grösse des Volkes ziemt. Wie die Dinge bis jetzt ge- legen haben, musste es dem Deutschen der kleinen Staaten im Aus- lande am Bewusstsein nationaler Vollgültigkeit fehlen. Preussen, welchem Deutschland den geistigen wie den materiellen Aufschwung dankt, soll allen als Rückhalt dienen, alle Lasten allein tragen, und hat die Verpflichtung dazu, soweit die Erfüllung in seinen Kräften lag, immer anerkannt. Aber die Ansprüche mehren sich in steigen- der Progression, und Preussen muss, wenn es dieselben befriedigen soll, nothwendig die militärische, diplomatische und handelspolitische Vertretung aller deutschen Staaten übernehmen, welche ihm durch gleiche Interessen und gleiche Bildung verbunden sind. Aus allen Welttheilen laufen die dringendsten Gesuche von Deutschen an die preussische Regierung um diplomatischen Schutz und Entsendung von Kriegsschiffen in einer Ausdehnung ein, welche die Kräfte des Landes weit übersteigen. Die Anstellung von Handelsagenten hat in den meisten Fällen wenig Werth; diese treten selten in ein Ver- hältniss zu den fremden Regierungen, das sie zur wirksamen Unterstützung ihrer Landsleute befähigte. Es handelt sich um die kostspielige Unterhaltung zahlreicher Kriegsschiffe und gut besoldeter Beamten mit Richterqualität, welche, auf wirkliche Macht gestüzt, eine unabhängige, achtunggebietende Stellung ein- nehmen. Eine abgesonderte Vertretung kleiner Staaten ist, wo sie sich bewirken lässt, ganz werthlos. Als Graf Eulenburg in China nach unsäglichen Bemühungen die von den Hansestädten beanspruchte Vertretung durch eigene Consuln durchgesetzt hatte, geriethen die dort angesiedelten Hanseaten in grosse Aufregung, denn sie sahen sich zurückgesetzt gegen die Unterthanen des Zollverbandes und der mecklenburgischen Grossherzogthümer, deren preussische Ver- treter sich auf materielle Machtäusserung in Gestalt kanonenge- spickter Kriegsschiffe stützen können. Die Verbreitung und der Einfluss der Deutschen in über- <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0186" n="166"/><fw place="top" type="header">Aussichten des Weltverkehrs. X.</fw><lb/> Rechte den Vorwurf, dass sie sich leicht den Sitten und der Sprache<lb/> der Ausländer anpassen, unter denen sie leben, dass sie ihrer ange-<lb/> stammten Eigenthümlichkeit untreu werden; diese Schmiegsamkeit<lb/> des Wesens verlöre sich aber bald, wenn die durch gleiche<lb/> Interessen verbundenen deutschen Staaten ein politisches Ganze<lb/> bildeten, das nach aussen so kräftig und würdig auftreten könnte,<lb/> als der Grösse des Volkes ziemt. Wie die Dinge bis jetzt ge-<lb/> legen haben, musste es dem Deutschen der kleinen Staaten im Aus-<lb/> lande am Bewusstsein nationaler Vollgültigkeit fehlen. <placeName>Preussen</placeName>,<lb/> welchem <placeName>Deutschland</placeName> den geistigen wie den materiellen Aufschwung<lb/> dankt, soll allen als Rückhalt dienen, alle Lasten allein tragen, und<lb/> hat die Verpflichtung dazu, soweit die Erfüllung in seinen Kräften<lb/> lag, immer anerkannt. Aber die Ansprüche mehren sich in steigen-<lb/> der Progression, und <placeName>Preussen</placeName> muss, wenn es dieselben befriedigen<lb/> soll, nothwendig die militärische, diplomatische und handelspolitische<lb/> Vertretung aller deutschen Staaten übernehmen, welche ihm durch<lb/> gleiche Interessen und gleiche Bildung verbunden sind. Aus allen<lb/> Welttheilen laufen die dringendsten Gesuche von Deutschen an die<lb/> preussische Regierung um diplomatischen Schutz und Entsendung<lb/> von Kriegsschiffen in einer Ausdehnung ein, welche die Kräfte des<lb/> Landes weit übersteigen. Die Anstellung von Handelsagenten hat<lb/> in den meisten Fällen wenig Werth; diese treten selten in ein Ver-<lb/> hältniss zu den fremden Regierungen, das sie zur wirksamen<lb/> Unterstützung ihrer Landsleute befähigte. Es handelt sich um<lb/> die kostspielige Unterhaltung zahlreicher Kriegsschiffe und gut<lb/> besoldeter Beamten mit Richterqualität, welche, auf wirkliche<lb/> Macht gestüzt, eine unabhängige, achtunggebietende Stellung ein-<lb/> nehmen. Eine abgesonderte Vertretung kleiner Staaten ist, wo sie<lb/> sich bewirken lässt, ganz werthlos. Als Graf <persName ref="http://d-nb.info/gnd/119178931">Eulenburg</persName> in <placeName>China</placeName><lb/> nach unsäglichen Bemühungen die von den Hansestädten beanspruchte<lb/> Vertretung durch eigene Consuln durchgesetzt hatte, geriethen die<lb/> dort angesiedelten Hanseaten in grosse Aufregung, denn sie sahen<lb/> sich zurückgesetzt gegen die Unterthanen des Zollverbandes und<lb/> der mecklenburgischen Grossherzogthümer, deren preussische Ver-<lb/> treter sich auf materielle Machtäusserung in Gestalt kanonenge-<lb/> spickter Kriegsschiffe stützen können.</p><lb/> <p>Die Verbreitung und der Einfluss der Deutschen in über-<lb/> seeischen Ländern sind jetzt schon viel bedeutender als man in der<lb/> Heimath allgemein glaubt. Jene Schmiegsamkeit des Wesens zeigt<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [166/0186]
Aussichten des Weltverkehrs. X.
Rechte den Vorwurf, dass sie sich leicht den Sitten und der Sprache
der Ausländer anpassen, unter denen sie leben, dass sie ihrer ange-
stammten Eigenthümlichkeit untreu werden; diese Schmiegsamkeit
des Wesens verlöre sich aber bald, wenn die durch gleiche
Interessen verbundenen deutschen Staaten ein politisches Ganze
bildeten, das nach aussen so kräftig und würdig auftreten könnte,
als der Grösse des Volkes ziemt. Wie die Dinge bis jetzt ge-
legen haben, musste es dem Deutschen der kleinen Staaten im Aus-
lande am Bewusstsein nationaler Vollgültigkeit fehlen. Preussen,
welchem Deutschland den geistigen wie den materiellen Aufschwung
dankt, soll allen als Rückhalt dienen, alle Lasten allein tragen, und
hat die Verpflichtung dazu, soweit die Erfüllung in seinen Kräften
lag, immer anerkannt. Aber die Ansprüche mehren sich in steigen-
der Progression, und Preussen muss, wenn es dieselben befriedigen
soll, nothwendig die militärische, diplomatische und handelspolitische
Vertretung aller deutschen Staaten übernehmen, welche ihm durch
gleiche Interessen und gleiche Bildung verbunden sind. Aus allen
Welttheilen laufen die dringendsten Gesuche von Deutschen an die
preussische Regierung um diplomatischen Schutz und Entsendung
von Kriegsschiffen in einer Ausdehnung ein, welche die Kräfte des
Landes weit übersteigen. Die Anstellung von Handelsagenten hat
in den meisten Fällen wenig Werth; diese treten selten in ein Ver-
hältniss zu den fremden Regierungen, das sie zur wirksamen
Unterstützung ihrer Landsleute befähigte. Es handelt sich um
die kostspielige Unterhaltung zahlreicher Kriegsschiffe und gut
besoldeter Beamten mit Richterqualität, welche, auf wirkliche
Macht gestüzt, eine unabhängige, achtunggebietende Stellung ein-
nehmen. Eine abgesonderte Vertretung kleiner Staaten ist, wo sie
sich bewirken lässt, ganz werthlos. Als Graf Eulenburg in China
nach unsäglichen Bemühungen die von den Hansestädten beanspruchte
Vertretung durch eigene Consuln durchgesetzt hatte, geriethen die
dort angesiedelten Hanseaten in grosse Aufregung, denn sie sahen
sich zurückgesetzt gegen die Unterthanen des Zollverbandes und
der mecklenburgischen Grossherzogthümer, deren preussische Ver-
treter sich auf materielle Machtäusserung in Gestalt kanonenge-
spickter Kriegsschiffe stützen können.
Die Verbreitung und der Einfluss der Deutschen in über-
seeischen Ländern sind jetzt schon viel bedeutender als man in der
Heimath allgemein glaubt. Jene Schmiegsamkeit des Wesens zeigt
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools
|
| URL zu diesem Werk: | https://www.deutschestextarchiv.de/berg_ostasien02_1866 |
| URL zu dieser Seite: | https://www.deutschestextarchiv.de/berg_ostasien02_1866/186 |
| Zitationshilfe: | [Berg, Albert]: Die preussische Expedition nach Ost-Asien. Bd. 2. Berlin, 1866, S. 166. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/berg_ostasien02_1866/186>, abgerufen am 24.11.2024. |
