Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Berg, Albert]: Die preussische Expedition nach Ost-Asien. Bd. 1. Berlin, 1864.

Bild:
<< vorherige Seite

Innere Zerrüttung.
die Menge und der Reichthum der Bonzen zeugen für ihre Ver-
breitung. Befriedigung konnte der greifbar sinnliche Betrug nicht
gewähren, und doch hatte man nichts anderes. Sich durch eigene
Thätigkeit, durch selbstständige Betrachtung zum religiösen Bewusst-
sein zu erheben ist nicht Sache der Menge; sie bedarf der Autorität
und bestimmter Glaubenssätze. Die Bonzen aller Secten scheinen
aber nur den Glauben an ihr Mittleramt befördert zu haben. Die
ärmeren Classen waren von allen geistlichen Wohlthaten ausge-
schlossen, und das in einer Zeit wo die geistliche Bedürftigkeit auf
das höchste gestiegen sein musste: denn das Volk schmachtete im
tiefsten Elende, und die Fürsten selbst, obgleich unumschränkt
herrschend, schwebten in beständiger Gefahr die Opfer mächtiger
Nachbarn oder treuloser Vasallen zu werden 60). Plötzliche Ueber-
fälle, Morde, Brandschatzungen und verheerende Feuersbrünste
waren die täglichen Ereignisse. Die Unzulänglichkeit und Hinfällig-
keit des irdischen Daseins musste unter den beständigen Drangsalen
des Krieges den Gemüthern besonders fühlbar werden und sie für
die Tröstungen des Christenthumes empfänglich machen 61). Der

60) Franz Xaver und seine Nachfolger berichten als Augenzeugen von mehreren
derartigen Umwälzungen, welche meistens local waren: theils innere Unruhen,
Kämpfe verschiedener Familien oder Linien um die Herrschaft, theils Kriege mit
den Nachbarn um Suprematie und Länderbesitz.
61) In den Lehren der japanischen Secten fanden sich manche Anknüpfungs-
puncte für die christlichen Bekehrer. "Alle," sagt Franz Xaver, "glauben an eine
Hölle und an ein Paradies, aber keiner weiss recht zu sagen, warum beide da sind ...
Sie erwähnen in ihren Schriften göttlicher Wesen, welche beide gemacht und selbst
Jahrtausende in der Hölle zugebracht hätten, um durch ihre Busse die Mängel der
Menschen auszugleichen, die ihre Sünden selten oder niemals bereuen. Sie ver-
sichern, dass, wer die Flecken seiner Seele durch Busse nicht getilgt, doch durch
unbedingt gläubiges Anrufen der Stifter ihrer Secten von allen Martern und Qualen,
ja aus dem tiefsten Grunde der Hölle befreit werden könne!" -- "Die Japaner,"
sagt Franz Xaver an einer anderen Stelle, "sind mit wunderbarem Scharfsinn und
Geistesklarheit begabt und weichen mit ihrem Urtheil gern einleuchtenden Gründen. --
Sie forschen viel nach dem Urquell der Dinge, ob er gut, ob böse sei, und wenn
es nur einen Urquell des Guten gebe, ob sich auch das Böse aus ihm herleite. Ich
antwortete, dass es nur einen allgütigen Urgrund der Dinge gebe, an dem das Böse
gar keinen Antheil habe. Das hielten sie für unmöglich. Denn, sagten sie, wenn
Gott allgütig wäre, wie hätte er böse Geister, die bittersten Feinde der Menschen
erschaffen können? Wir erwiedern, dass auch diese ursprünglich gut gewesen und
durch innere Bosheit verderbt, den Strafen verfallen seien, die sie leiden und in
alle Ewigkeit leiden werden. Aber, sagen sie, mit der höchsten Güte kann solche
Grausamkeit nicht bestehen, dass ohne alle Barmherzigkeit für einen einzigen Fehltritt
4*

Innere Zerrüttung.
die Menge und der Reichthum der Bonzen zeugen für ihre Ver-
breitung. Befriedigung konnte der greifbar sinnliche Betrug nicht
gewähren, und doch hatte man nichts anderes. Sich durch eigene
Thätigkeit, durch selbstständige Betrachtung zum religiösen Bewusst-
sein zu erheben ist nicht Sache der Menge; sie bedarf der Autorität
und bestimmter Glaubenssätze. Die Bonzen aller Secten scheinen
aber nur den Glauben an ihr Mittleramt befördert zu haben. Die
ärmeren Classen waren von allen geistlichen Wohlthaten ausge-
schlossen, und das in einer Zeit wo die geistliche Bedürftigkeit auf
das höchste gestiegen sein musste: denn das Volk schmachtete im
tiefsten Elende, und die Fürsten selbst, obgleich unumschränkt
herrschend, schwebten in beständiger Gefahr die Opfer mächtiger
Nachbarn oder treuloser Vasallen zu werden 60). Plötzliche Ueber-
fälle, Morde, Brandschatzungen und verheerende Feuersbrünste
waren die täglichen Ereignisse. Die Unzulänglichkeit und Hinfällig-
keit des irdischen Daseins musste unter den beständigen Drangsalen
des Krieges den Gemüthern besonders fühlbar werden und sie für
die Tröstungen des Christenthumes empfänglich machen 61). Der

60) Franz Xaver und seine Nachfolger berichten als Augenzeugen von mehreren
derartigen Umwälzungen, welche meistens local waren: theils innere Unruhen,
Kämpfe verschiedener Familien oder Linien um die Herrschaft, theils Kriege mit
den Nachbarn um Suprematie und Länderbesitz.
61) In den Lehren der japanischen Secten fanden sich manche Anknüpfungs-
puncte für die christlichen Bekehrer. »Alle,« sagt Franz Xaver, »glauben an eine
Hölle und an ein Paradies, aber keiner weiss recht zu sagen, warum beide da sind …
Sie erwähnen in ihren Schriften göttlicher Wesen, welche beide gemacht und selbst
Jahrtausende in der Hölle zugebracht hätten, um durch ihre Busse die Mängel der
Menschen auszugleichen, die ihre Sünden selten oder niemals bereuen. Sie ver-
sichern, dass, wer die Flecken seiner Seele durch Busse nicht getilgt, doch durch
unbedingt gläubiges Anrufen der Stifter ihrer Secten von allen Martern und Qualen,
ja aus dem tiefsten Grunde der Hölle befreit werden könne!« — »Die Japaner,«
sagt Franz Xaver an einer anderen Stelle, »sind mit wunderbarem Scharfsinn und
Geistesklarheit begabt und weichen mit ihrem Urtheil gern einleuchtenden Gründen. —
Sie forschen viel nach dem Urquell der Dinge, ob er gut, ob böse sei, und wenn
es nur einen Urquell des Guten gebe, ob sich auch das Böse aus ihm herleite. Ich
antwortete, dass es nur einen allgütigen Urgrund der Dinge gebe, an dem das Böse
gar keinen Antheil habe. Das hielten sie für unmöglich. Denn, sagten sie, wenn
Gott allgütig wäre, wie hätte er böse Geister, die bittersten Feinde der Menschen
erschaffen können? Wir erwiedern, dass auch diese ursprünglich gut gewesen und
durch innere Bosheit verderbt, den Strafen verfallen seien, die sie leiden und in
alle Ewigkeit leiden werden. Aber, sagen sie, mit der höchsten Güte kann solche
Grausamkeit nicht bestehen, dass ohne alle Barmherzigkeit für einen einzigen Fehltritt
4*
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0081" n="51"/><fw place="top" type="header">Innere Zerrüttung.</fw><lb/>
die Menge und der Reichthum der Bonzen zeugen für ihre Ver-<lb/>
breitung. Befriedigung konnte der greifbar sinnliche Betrug nicht<lb/>
gewähren, und doch hatte man nichts anderes. Sich durch eigene<lb/>
Thätigkeit, durch selbstständige Betrachtung zum religiösen Bewusst-<lb/>
sein zu erheben ist nicht Sache der Menge; sie bedarf der Autorität<lb/>
und bestimmter Glaubenssätze. Die Bonzen aller Secten scheinen<lb/>
aber nur den Glauben an ihr Mittleramt befördert zu haben. Die<lb/>
ärmeren Classen waren von allen geistlichen Wohlthaten ausge-<lb/>
schlossen, und das in einer Zeit wo die geistliche Bedürftigkeit auf<lb/>
das höchste gestiegen sein musste: denn das Volk schmachtete im<lb/>
tiefsten Elende, und die Fürsten selbst, obgleich unumschränkt<lb/>
herrschend, schwebten in beständiger Gefahr die Opfer mächtiger<lb/>
Nachbarn oder treuloser Vasallen zu werden <note place="foot" n="60)"><persName ref="http://d-nb.info/gnd/118535021">Franz Xaver</persName> und seine Nachfolger berichten als Augenzeugen von mehreren<lb/>
derartigen Umwälzungen, welche meistens local waren: theils innere Unruhen,<lb/>
Kämpfe verschiedener Familien oder Linien um die Herrschaft, theils Kriege mit<lb/>
den Nachbarn um Suprematie und Länderbesitz.</note>. Plötzliche Ueber-<lb/>
fälle, Morde, Brandschatzungen und verheerende Feuersbrünste<lb/>
waren die täglichen Ereignisse. Die Unzulänglichkeit und Hinfällig-<lb/>
keit des irdischen Daseins musste unter den beständigen Drangsalen<lb/>
des Krieges den Gemüthern besonders fühlbar werden und sie für<lb/>
die Tröstungen des Christenthumes empfänglich machen <note xml:id="note-0081" next="#note-0082" place="foot" n="61)">In den Lehren der japanischen Secten fanden sich manche Anknüpfungs-<lb/>
puncte für die christlichen Bekehrer. »Alle,« sagt <persName ref="http://d-nb.info/gnd/118535021">Franz Xaver</persName>, »glauben an eine<lb/>
Hölle und an ein Paradies, aber keiner weiss recht zu sagen, warum beide da sind &#x2026;<lb/>
Sie erwähnen in ihren Schriften göttlicher Wesen, welche beide gemacht und selbst<lb/>
Jahrtausende in der Hölle zugebracht hätten, um durch ihre Busse die Mängel der<lb/>
Menschen auszugleichen, die ihre Sünden selten oder niemals bereuen. Sie ver-<lb/>
sichern, dass, wer die Flecken seiner Seele durch Busse nicht getilgt, doch durch<lb/>
unbedingt gläubiges Anrufen der Stifter ihrer Secten von allen Martern und Qualen,<lb/>
ja aus dem tiefsten Grunde der Hölle befreit werden könne!« &#x2014; »Die Japaner,«<lb/>
sagt <persName ref="http://d-nb.info/gnd/118535021">Franz Xaver</persName> an einer anderen Stelle, »sind mit wunderbarem Scharfsinn und<lb/>
Geistesklarheit begabt und weichen mit ihrem Urtheil gern einleuchtenden Gründen. &#x2014;<lb/>
Sie forschen viel nach dem Urquell der Dinge, ob er gut, ob böse sei, und wenn<lb/>
es nur einen Urquell des Guten gebe, ob sich auch das Böse aus ihm herleite. Ich<lb/>
antwortete, dass es nur einen allgütigen Urgrund der Dinge gebe, an dem das Böse<lb/>
gar keinen Antheil habe. Das hielten sie für unmöglich. Denn, sagten sie, wenn<lb/>
Gott allgütig wäre, wie hätte er böse Geister, die bittersten Feinde der Menschen<lb/>
erschaffen können? Wir erwiedern, dass auch diese ursprünglich gut gewesen und<lb/>
durch innere Bosheit verderbt, den Strafen verfallen seien, die sie leiden und in<lb/>
alle Ewigkeit leiden werden. Aber, sagen sie, mit der höchsten Güte kann solche<lb/>
Grausamkeit nicht bestehen, dass ohne alle Barmherzigkeit für einen einzigen Fehltritt</note>. Der<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">4*</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[51/0081] Innere Zerrüttung. die Menge und der Reichthum der Bonzen zeugen für ihre Ver- breitung. Befriedigung konnte der greifbar sinnliche Betrug nicht gewähren, und doch hatte man nichts anderes. Sich durch eigene Thätigkeit, durch selbstständige Betrachtung zum religiösen Bewusst- sein zu erheben ist nicht Sache der Menge; sie bedarf der Autorität und bestimmter Glaubenssätze. Die Bonzen aller Secten scheinen aber nur den Glauben an ihr Mittleramt befördert zu haben. Die ärmeren Classen waren von allen geistlichen Wohlthaten ausge- schlossen, und das in einer Zeit wo die geistliche Bedürftigkeit auf das höchste gestiegen sein musste: denn das Volk schmachtete im tiefsten Elende, und die Fürsten selbst, obgleich unumschränkt herrschend, schwebten in beständiger Gefahr die Opfer mächtiger Nachbarn oder treuloser Vasallen zu werden 60). Plötzliche Ueber- fälle, Morde, Brandschatzungen und verheerende Feuersbrünste waren die täglichen Ereignisse. Die Unzulänglichkeit und Hinfällig- keit des irdischen Daseins musste unter den beständigen Drangsalen des Krieges den Gemüthern besonders fühlbar werden und sie für die Tröstungen des Christenthumes empfänglich machen 61). Der 60) Franz Xaver und seine Nachfolger berichten als Augenzeugen von mehreren derartigen Umwälzungen, welche meistens local waren: theils innere Unruhen, Kämpfe verschiedener Familien oder Linien um die Herrschaft, theils Kriege mit den Nachbarn um Suprematie und Länderbesitz. 61) In den Lehren der japanischen Secten fanden sich manche Anknüpfungs- puncte für die christlichen Bekehrer. »Alle,« sagt Franz Xaver, »glauben an eine Hölle und an ein Paradies, aber keiner weiss recht zu sagen, warum beide da sind … Sie erwähnen in ihren Schriften göttlicher Wesen, welche beide gemacht und selbst Jahrtausende in der Hölle zugebracht hätten, um durch ihre Busse die Mängel der Menschen auszugleichen, die ihre Sünden selten oder niemals bereuen. Sie ver- sichern, dass, wer die Flecken seiner Seele durch Busse nicht getilgt, doch durch unbedingt gläubiges Anrufen der Stifter ihrer Secten von allen Martern und Qualen, ja aus dem tiefsten Grunde der Hölle befreit werden könne!« — »Die Japaner,« sagt Franz Xaver an einer anderen Stelle, »sind mit wunderbarem Scharfsinn und Geistesklarheit begabt und weichen mit ihrem Urtheil gern einleuchtenden Gründen. — Sie forschen viel nach dem Urquell der Dinge, ob er gut, ob böse sei, und wenn es nur einen Urquell des Guten gebe, ob sich auch das Böse aus ihm herleite. Ich antwortete, dass es nur einen allgütigen Urgrund der Dinge gebe, an dem das Böse gar keinen Antheil habe. Das hielten sie für unmöglich. Denn, sagten sie, wenn Gott allgütig wäre, wie hätte er böse Geister, die bittersten Feinde der Menschen erschaffen können? Wir erwiedern, dass auch diese ursprünglich gut gewesen und durch innere Bosheit verderbt, den Strafen verfallen seien, die sie leiden und in alle Ewigkeit leiden werden. Aber, sagen sie, mit der höchsten Güte kann solche Grausamkeit nicht bestehen, dass ohne alle Barmherzigkeit für einen einzigen Fehltritt 4*

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/berg_ostasien01_1864
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/berg_ostasien01_1864/81
Zitationshilfe: [Berg, Albert]: Die preussische Expedition nach Ost-Asien. Bd. 1. Berlin, 1864, S. 51. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/berg_ostasien01_1864/81>, abgerufen am 23.11.2024.