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[Berg, Albert]: Die preussische Expedition nach Ost-Asien. Bd. 1. Berlin, 1864.

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Ursachen des Verfalles der Mikado-Herrschaft.
erzählten Begebenheiten. Spätere Usurpatoren versuchten niemals,
sich die Würde, den Rang des Mikado anzumaassen, sie begnügten
sich, ihm die Macht zu nehmen und übten auch diese nur in seinem
Namen. Die Würde ist nach japanischen Begriffen etwas erbliches,
von der Abstammung untrennbares -- dieses Erbrecht war zu allen
Zeiten heilig und unantastbar -- keine äusseren Umstände können
ein Geschlecht jemals seines angestammten Ranges berauben, selbst
das grösste Elend nicht, wie die japanische Geschichte vielfach
beweist; -- nur ehrlose Handlungen des Familienhauptes, wenn sie
nicht durch Selbstopferung gesühnt werden, rauben dem Geschlechte
seinen Rang. So oft in der späteren Geschichte die Herrschaft auf
ein anderes Haus übergegangen ist, hat dieses niemals den Titel
seiner gestürzten Vorgänger angenommen, sondern einen anderen
neuen. Aber die Erfahrung hat die Japaner gelehrt, dass die Kraft
nicht immer mit der Würde vereint ist, deshalb gewöhnten sie sich,
die Macht als etwas rein thatsächliches anzusehen. Dem grossen
Usurpator Taiko-sama gelang es im sechszehnten Jahrhundert das von
Bürgerkriegen zerrissene Reich unter seinem Scepter zu vereinigen,
und trotz seiner niedrigen Abstammung seine Herrschermacht
zur vollsten Anerkennung nicht nur beim Volke, sondern auch bei
den Grossen zu bringen; er konnte aber trotz allen Bemühungen den
Siogun-Titel, welcher von uralters her der Familie Minamoto eigen
war, nicht erlangen, und musste sich, um durch eine andere alte
Würde seinem Throne Glanz zu verleihen, von einem Mitgliede der
Familie Fudsiwara, welche den Kuanbak-Titel seit Jahrhunderten
erblich besass, förmlich adoptiren lassen. Der Mikado gab auch
dann nur widerstrebend seine Zustimmung: es war eine Anomalie
wegen Taiko-sama's niedriger Geburt und wurde als etwas unerhörtes
angesehen, weil nach japanischen Begriffen nur die Adoption Eben-
bürtiger statthaft ist; seine Macht aber wurde als rechtmässig an-
erkannt, sobald sie thatsächlich begründet war.



645 n. Chr.Nach der Ermordung des Iruka (645) dankte die Kaiserin
Kuogok 23) zu Gunsten ihres Bruders Kotok ab, bestieg aber nach
dessen Tode nochmals den Thron. Erst im Jahre 662 erhielt Prinz

23) Kuogok war, wie wahrscheinlich alle anderen weiblichen Mikado's, eine
Fürstin aus dem kaiserlichen Geschlecht. Die Abstammung jedes einzelnen Mikado
wird in den Annalen weitläufig erörtert. Sie heiratheten vielfach die Töchter ihrer
Brüder und Vettern.

Ursachen des Verfalles der Mikado-Herrschaft.
erzählten Begebenheiten. Spätere Usurpatoren versuchten niemals,
sich die Würde, den Rang des Mikado anzumaassen, sie begnügten
sich, ihm die Macht zu nehmen und übten auch diese nur in seinem
Namen. Die Würde ist nach japanischen Begriffen etwas erbliches,
von der Abstammung untrennbares — dieses Erbrecht war zu allen
Zeiten heilig und unantastbar — keine äusseren Umstände können
ein Geschlecht jemals seines angestammten Ranges berauben, selbst
das grösste Elend nicht, wie die japanische Geschichte vielfach
beweist; — nur ehrlose Handlungen des Familienhauptes, wenn sie
nicht durch Selbstopferung gesühnt werden, rauben dem Geschlechte
seinen Rang. So oft in der späteren Geschichte die Herrschaft auf
ein anderes Haus übergegangen ist, hat dieses niemals den Titel
seiner gestürzten Vorgänger angenommen, sondern einen anderen
neuen. Aber die Erfahrung hat die Japaner gelehrt, dass die Kraft
nicht immer mit der Würde vereint ist, deshalb gewöhnten sie sich,
die Macht als etwas rein thatsächliches anzusehen. Dem grossen
Usurpator Taïko-sama gelang es im sechszehnten Jahrhundert das von
Bürgerkriegen zerrissene Reich unter seinem Scepter zu vereinigen,
und trotz seiner niedrigen Abstammung seine Herrschermacht
zur vollsten Anerkennung nicht nur beim Volke, sondern auch bei
den Grossen zu bringen; er konnte aber trotz allen Bemühungen den
Siogun-Titel, welcher von uralters her der Familie Minamoto eigen
war, nicht erlangen, und musste sich, um durch eine andere alte
Würde seinem Throne Glanz zu verleihen, von einem Mitgliede der
Familie Fudsiwara, welche den Kuanbak-Titel seit Jahrhunderten
erblich besass, förmlich adoptiren lassen. Der Mikado gab auch
dann nur widerstrebend seine Zustimmung: es war eine Anomalie
wegen Taïko-sama’s niedriger Geburt und wurde als etwas unerhörtes
angesehen, weil nach japanischen Begriffen nur die Adoption Eben-
bürtiger statthaft ist; seine Macht aber wurde als rechtmässig an-
erkannt, sobald sie thatsächlich begründet war.



645 n. Chr.Nach der Ermordung des Iruka (645) dankte die Kaiserin
Kuogok 23) zu Gunsten ihres Bruders Kotok ab, bestieg aber nach
dessen Tode nochmals den Thron. Erst im Jahre 662 erhielt Prinz

23) Kuogok war, wie wahrscheinlich alle anderen weiblichen Mikado’s, eine
Fürstin aus dem kaiserlichen Geschlecht. Die Abstammung jedes einzelnen Mikado
wird in den Annalen weitläufig erörtert. Sie heiratheten vielfach die Töchter ihrer
Brüder und Vettern.
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[24/0054] Ursachen des Verfalles der Mikado-Herrschaft. erzählten Begebenheiten. Spätere Usurpatoren versuchten niemals, sich die Würde, den Rang des Mikado anzumaassen, sie begnügten sich, ihm die Macht zu nehmen und übten auch diese nur in seinem Namen. Die Würde ist nach japanischen Begriffen etwas erbliches, von der Abstammung untrennbares — dieses Erbrecht war zu allen Zeiten heilig und unantastbar — keine äusseren Umstände können ein Geschlecht jemals seines angestammten Ranges berauben, selbst das grösste Elend nicht, wie die japanische Geschichte vielfach beweist; — nur ehrlose Handlungen des Familienhauptes, wenn sie nicht durch Selbstopferung gesühnt werden, rauben dem Geschlechte seinen Rang. So oft in der späteren Geschichte die Herrschaft auf ein anderes Haus übergegangen ist, hat dieses niemals den Titel seiner gestürzten Vorgänger angenommen, sondern einen anderen neuen. Aber die Erfahrung hat die Japaner gelehrt, dass die Kraft nicht immer mit der Würde vereint ist, deshalb gewöhnten sie sich, die Macht als etwas rein thatsächliches anzusehen. Dem grossen Usurpator Taïko-sama gelang es im sechszehnten Jahrhundert das von Bürgerkriegen zerrissene Reich unter seinem Scepter zu vereinigen, und trotz seiner niedrigen Abstammung seine Herrschermacht zur vollsten Anerkennung nicht nur beim Volke, sondern auch bei den Grossen zu bringen; er konnte aber trotz allen Bemühungen den Siogun-Titel, welcher von uralters her der Familie Minamoto eigen war, nicht erlangen, und musste sich, um durch eine andere alte Würde seinem Throne Glanz zu verleihen, von einem Mitgliede der Familie Fudsiwara, welche den Kuanbak-Titel seit Jahrhunderten erblich besass, förmlich adoptiren lassen. Der Mikado gab auch dann nur widerstrebend seine Zustimmung: es war eine Anomalie wegen Taïko-sama’s niedriger Geburt und wurde als etwas unerhörtes angesehen, weil nach japanischen Begriffen nur die Adoption Eben- bürtiger statthaft ist; seine Macht aber wurde als rechtmässig an- erkannt, sobald sie thatsächlich begründet war. Nach der Ermordung des Iruka (645) dankte die Kaiserin Kuogok 23) zu Gunsten ihres Bruders Kotok ab, bestieg aber nach dessen Tode nochmals den Thron. Erst im Jahre 662 erhielt Prinz 645 n. Chr. 23) Kuogok war, wie wahrscheinlich alle anderen weiblichen Mikado’s, eine Fürstin aus dem kaiserlichen Geschlecht. Die Abstammung jedes einzelnen Mikado wird in den Annalen weitläufig erörtert. Sie heiratheten vielfach die Töchter ihrer Brüder und Vettern.

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Zitationshilfe: [Berg, Albert]: Die preussische Expedition nach Ost-Asien. Bd. 1. Berlin, 1864, S. 24. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/berg_ostasien01_1864/54>, abgerufen am 23.11.2024.