[Berg, Albert]: Die preussische Expedition nach Ost-Asien. Bd. 1. Berlin, 1864.V. Der Gotenyama. Sinagava. von ihren Abhängen geniesst man der köstlichsten Aussicht auf diereiche Ebene und den begrenzenden Golf. -- Vom Landungsplatze der Fremden aus führt der Tokaido südlich eine Strecke am Meere entlang 11); links liegt eine Reihe von Theebuden, wo Reisende sich vor dem Eintritt in die Hauptstadt zu erfrischen pflegen, rechts die Facaden einiger Yamaske's -- darunter ein Palast des Fürsten von Satsuma, -- und das Portal zum Tempel von Todzendzi, dem Sitze der englischen Gesandtschaft. Eine dicht bevölkerte Vorstadt bedeckt den dahinter liegenden Höhenzug, dessen südlichen Aus- läufer der Gotenyama bildet, wo die Regierung des Taikun im Jahre 1861 ein Terrain zum gemeinschaftlichen Bau der fremden Gesandtschaften angewiesen hatte. Die Nachbarschaft bewies sich dieser Abtretung feindlich; die Regierung ersuchte später die Frem- den, dort nicht zu bauen, und wusste nicht zu verhindern, dass das schon halb fertige Gebäude der englischen Legation unterminirt und in die Luft gesprengt wurde. -- Der Gotenyama tritt dicht an den Tokaido heran, so dass zu beiden Seiten der Strasse nur Raum für eine Häuserreihe bleibt; dies ist die übelberufene Vorstadt Sinagava, der Tummelplatz der ausschweifenden Jugend aus den höheren Ständen und das Rendezvous aller gefährlichen Subjecte der Haupt- stadt. Alle Häuser sind hier zweistöckig, ihr Aeusseres wohlhabend und reinlich; man sieht in tiefe helle Corridore hinein, auf die sich ganze Reihen von Gemächern zu öffnen scheinen. Bei Tage ist Alles ruhig, aber Abends tönt Gesang und Saitenspiel vermischt mit dem wüsten Lärm wilder Gelage und Orgien aus den Häusern. Auch die Grossen von Yeddo sollen hier ihre Absteigequartiere haben, und begeben sich Abends "Naibun" mit kleinem Gefolge dahin. Zwischen ihren Trabanten veranlassen Eifersucht, Weinrausch und Spiel oft blutige Händel, und der friedliebende Bewohner thut wohl, diese Stadt- viertel bei Abend zu meiden. Es kam besonders in dieser Gegend oft vor, dass sich Samrai's, Trabanten der Daimio's, den Fremden mit Schmähungen und drohenden Gebehrden, die Hand am Schwerte in den Weg stellten; nicht nur Sinagava selbst, sondern die ganze Umgebung, die wir beim Spazierenreiten häufig zu passiren pflegten, war unsicher. Capitän Jachmann wurde am hellen Tage insultirt. Er ritt mit Lieutenant Berger und Assessor Sachse, beide von der Thetis, vom Landungsplatze der Fremden den Tokaido entlang nach 11) Blatt 2 der "Ansichten aus Japan, China und Siam" zeigt diesen Theil des
Tokaido. V. Der Gotenyama. Sinagava. von ihren Abhängen geniesst man der köstlichsten Aussicht auf diereiche Ebene und den begrenzenden Golf. — Vom Landungsplatze der Fremden aus führt der Tokaïdo südlich eine Strecke am Meere entlang 11); links liegt eine Reihe von Theebuden, wo Reisende sich vor dem Eintritt in die Hauptstadt zu erfrischen pflegen, rechts die Façaden einiger Yamaske’s — darunter ein Palast des Fürsten von Satsuma, — und das Portal zum Tempel von Todžendži, dem Sitze der englischen Gesandtschaft. Eine dicht bevölkerte Vorstadt bedeckt den dahinter liegenden Höhenzug, dessen südlichen Aus- läufer der Gotenyama bildet, wo die Regierung des Taïkūn im Jahre 1861 ein Terrain zum gemeinschaftlichen Bau der fremden Gesandtschaften angewiesen hatte. Die Nachbarschaft bewies sich dieser Abtretung feindlich; die Regierung ersuchte später die Frem- den, dort nicht zu bauen, und wusste nicht zu verhindern, dass das schon halb fertige Gebäude der englischen Legation unterminirt und in die Luft gesprengt wurde. — Der Gotenyama tritt dicht an den Tokaïdo heran, so dass zu beiden Seiten der Strasse nur Raum für eine Häuserreihe bleibt; dies ist die übelberufene Vorstadt Sinagava, der Tummelplatz der ausschweifenden Jugend aus den höheren Ständen und das Rendezvous aller gefährlichen Subjecte der Haupt- stadt. Alle Häuser sind hier zweistöckig, ihr Aeusseres wohlhabend und reinlich; man sieht in tiefe helle Corridore hinein, auf die sich ganze Reihen von Gemächern zu öffnen scheinen. Bei Tage ist Alles ruhig, aber Abends tönt Gesang und Saitenspiel vermischt mit dem wüsten Lärm wilder Gelage und Orgien aus den Häusern. Auch die Grossen von Yeddo sollen hier ihre Absteigequartiere haben, und begeben sich Abends »Naïbūn« mit kleinem Gefolge dahin. Zwischen ihren Trabanten veranlassen Eifersucht, Weinrausch und Spiel oft blutige Händel, und der friedliebende Bewohner thut wohl, diese Stadt- viertel bei Abend zu meiden. Es kam besonders in dieser Gegend oft vor, dass sich Samraï’s, Trabanten der Daïmio’s, den Fremden mit Schmähungen und drohenden Gebehrden, die Hand am Schwerte in den Weg stellten; nicht nur Sinagava selbst, sondern die ganze Umgebung, die wir beim Spazierenreiten häufig zu passiren pflegten, war unsicher. Capitän Jachmann wurde am hellen Tage insultirt. Er ritt mit Lieutenant Berger und Assessor Sachse, beide von der Thetis, vom Landungsplatze der Fremden den Tokaïdo entlang nach 11) Blatt 2 der »Ansichten aus Japan, China und Siam« zeigt diesen Theil des
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V. Der Gotenyama. Sinagava.
von ihren Abhängen geniesst man der köstlichsten Aussicht auf die
reiche Ebene und den begrenzenden Golf. — Vom Landungsplatze
der Fremden aus führt der Tokaïdo südlich eine Strecke am Meere
entlang 11); links liegt eine Reihe von Theebuden, wo Reisende sich
vor dem Eintritt in die Hauptstadt zu erfrischen pflegen, rechts die
Façaden einiger Yamaske’s — darunter ein Palast des Fürsten
von Satsuma, — und das Portal zum Tempel von Todžendži, dem
Sitze der englischen Gesandtschaft. Eine dicht bevölkerte Vorstadt
bedeckt den dahinter liegenden Höhenzug, dessen südlichen Aus-
läufer der Gotenyama bildet, wo die Regierung des Taïkūn im
Jahre 1861 ein Terrain zum gemeinschaftlichen Bau der fremden
Gesandtschaften angewiesen hatte. Die Nachbarschaft bewies sich
dieser Abtretung feindlich; die Regierung ersuchte später die Frem-
den, dort nicht zu bauen, und wusste nicht zu verhindern, dass das
schon halb fertige Gebäude der englischen Legation unterminirt und
in die Luft gesprengt wurde. — Der Gotenyama tritt dicht an den
Tokaïdo heran, so dass zu beiden Seiten der Strasse nur Raum für
eine Häuserreihe bleibt; dies ist die übelberufene Vorstadt Sinagava,
der Tummelplatz der ausschweifenden Jugend aus den höheren
Ständen und das Rendezvous aller gefährlichen Subjecte der Haupt-
stadt. Alle Häuser sind hier zweistöckig, ihr Aeusseres wohlhabend
und reinlich; man sieht in tiefe helle Corridore hinein, auf die sich ganze
Reihen von Gemächern zu öffnen scheinen. Bei Tage ist Alles ruhig,
aber Abends tönt Gesang und Saitenspiel vermischt mit dem wüsten
Lärm wilder Gelage und Orgien aus den Häusern. Auch die Grossen
von Yeddo sollen hier ihre Absteigequartiere haben, und begeben
sich Abends »Naïbūn« mit kleinem Gefolge dahin. Zwischen ihren
Trabanten veranlassen Eifersucht, Weinrausch und Spiel oft blutige
Händel, und der friedliebende Bewohner thut wohl, diese Stadt-
viertel bei Abend zu meiden. Es kam besonders in dieser Gegend
oft vor, dass sich Samraï’s, Trabanten der Daïmio’s, den Fremden
mit Schmähungen und drohenden Gebehrden, die Hand am Schwerte
in den Weg stellten; nicht nur Sinagava selbst, sondern die ganze
Umgebung, die wir beim Spazierenreiten häufig zu passiren pflegten,
war unsicher. Capitän Jachmann wurde am hellen Tage insultirt.
Er ritt mit Lieutenant Berger und Assessor Sachse, beide von der
Thetis, vom Landungsplatze der Fremden den Tokaïdo entlang nach
11) Blatt 2 der »Ansichten aus Japan, China und Siam« zeigt diesen Theil des
Tokaïdo.
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