[Berg, Albert]: Die preussische Expedition nach Ost-Asien. Bd. 1. Berlin, 1864.V. Begegnungen mit Daimio's. Die Strassen an Festtagen. an Uniform erinnert; auf dem Rücken und den Aermeln tragen siein einem kleinen Rund in den Stoff eingefärbt das Wappen ihres Herrn, das sich auch auf den Kasten und Körben in Vergoldung oder farbig wiederholt. Die Begleiter marschiren paarweise, der ganze Zug bewegt sich in lautloser Stille; bei vornehmen Leuten sollen die voraufgehenden Herolde "Sitaniro" d. h. "Auf die Knie" rufen, worauf sich Alles niederwürfe, -- eine Sitte, die wir trotz vielen Begegnungen mit Daimio-Zügen niemals beobachtet haben. Das Volk weicht ehrfurchtsvoll aus, pflegt sich aber sonst nicht viel um die Grossen zu kümmern; nach unserer Beobachtung blieben die Meisten ruhig bei ihrer Beschäftigung. Jede Durchbrechung des Zuges ist unerlaubt; es gilt auch für unanständig eilig vorbeizureiten, man soll stillhalten und sogar vom Pferde steigen. Die Fremden kehren sich an diese Regeln nicht und haben dadurch den Stolz des einheimischen Adels vielfach verletzt, die Trabanten warfen uns bei solchen Begegnungen oft wüthende Blicke zu und zeigten in Mienen und Gebehrden den verbissenen Grimm; die Herren selbst schlossen meist die Stores ihrer Sänften, guckten zuweilen aber auch neugierig heraus und nickten, wenn man sie grüsste, freundlich wieder. Man begegnete solchen Zügen in den Strassen von Yeddo täglich, denn die Sitte fordert das grosse Cortege bei jeder Ent- fernung aus dem Hause, selbst bei jedem Besuch in der Nachbar- schaft; nur wenn sie "Naibun", d. h. incognito ausgehen, haben die Grossen ein minder zahlreiches Gefolge. Auf den Reisen von und nach ihren Besitzungen werden die Lehnsfürsten von vielen tausend Menschen begleitet; ihre Züge bedecken nach Kämpfer's Erzählung die Landstrasse oft mehrere Tagereisen weit. Besonders belebt sind die Strassen von Yeddo an Festtagen, 9) S. "Ansichten aus Japan, China und Siam", I. Heft, Blatt 3. 21*
V. Begegnungen mit Daïmio’s. Die Strassen an Festtagen. an Uniform erinnert; auf dem Rücken und den Aermeln tragen siein einem kleinen Rund in den Stoff eingefärbt das Wappen ihres Herrn, das sich auch auf den Kasten und Körben in Vergoldung oder farbig wiederholt. Die Begleiter marschiren paarweise, der ganze Zug bewegt sich in lautloser Stille; bei vornehmen Leuten sollen die voraufgehenden Herolde »Šitaniro« d. h. »Auf die Knie« rufen, worauf sich Alles niederwürfe, — eine Sitte, die wir trotz vielen Begegnungen mit Daïmio-Zügen niemals beobachtet haben. Das Volk weicht ehrfurchtsvoll aus, pflegt sich aber sonst nicht viel um die Grossen zu kümmern; nach unserer Beobachtung blieben die Meisten ruhig bei ihrer Beschäftigung. Jede Durchbrechung des Zuges ist unerlaubt; es gilt auch für unanständig eilig vorbeizureiten, man soll stillhalten und sogar vom Pferde steigen. Die Fremden kehren sich an diese Regeln nicht und haben dadurch den Stolz des einheimischen Adels vielfach verletzt, die Trabanten warfen uns bei solchen Begegnungen oft wüthende Blicke zu und zeigten in Mienen und Gebehrden den verbissenen Grimm; die Herren selbst schlossen meist die Stores ihrer Sänften, guckten zuweilen aber auch neugierig heraus und nickten, wenn man sie grüsste, freundlich wieder. Man begegnete solchen Zügen in den Strassen von Yeddo täglich, denn die Sitte fordert das grosse Cortège bei jeder Ent- fernung aus dem Hause, selbst bei jedem Besuch in der Nachbar- schaft; nur wenn sie »Naïbūn«, d. h. incognito ausgehen, haben die Grossen ein minder zahlreiches Gefolge. Auf den Reisen von und nach ihren Besitzungen werden die Lehnsfürsten von vielen tausend Menschen begleitet; ihre Züge bedecken nach Kämpfer’s Erzählung die Landstrasse oft mehrere Tagereisen weit. Besonders belebt sind die Strassen von Yeddo an Festtagen, 9) S. »Ansichten aus Japan, China und Siam«, I. Heft, Blatt 3. 21*
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V. Begegnungen mit Daïmio’s. Die Strassen an Festtagen.
an Uniform erinnert; auf dem Rücken und den Aermeln tragen sie
in einem kleinen Rund in den Stoff eingefärbt das Wappen ihres
Herrn, das sich auch auf den Kasten und Körben in Vergoldung
oder farbig wiederholt. Die Begleiter marschiren paarweise, der
ganze Zug bewegt sich in lautloser Stille; bei vornehmen Leuten
sollen die voraufgehenden Herolde »Šitaniro« d. h. »Auf die Knie«
rufen, worauf sich Alles niederwürfe, — eine Sitte, die wir trotz vielen
Begegnungen mit Daïmio-Zügen niemals beobachtet haben. Das
Volk weicht ehrfurchtsvoll aus, pflegt sich aber sonst nicht viel
um die Grossen zu kümmern; nach unserer Beobachtung blieben
die Meisten ruhig bei ihrer Beschäftigung. Jede Durchbrechung des
Zuges ist unerlaubt; es gilt auch für unanständig eilig vorbeizureiten,
man soll stillhalten und sogar vom Pferde steigen. Die Fremden
kehren sich an diese Regeln nicht und haben dadurch den Stolz
des einheimischen Adels vielfach verletzt, die Trabanten warfen uns
bei solchen Begegnungen oft wüthende Blicke zu und zeigten in
Mienen und Gebehrden den verbissenen Grimm; die Herren selbst
schlossen meist die Stores ihrer Sänften, guckten zuweilen aber
auch neugierig heraus und nickten, wenn man sie grüsste, freundlich
wieder. Man begegnete solchen Zügen in den Strassen von Yeddo
täglich, denn die Sitte fordert das grosse Cortège bei jeder Ent-
fernung aus dem Hause, selbst bei jedem Besuch in der Nachbar-
schaft; nur wenn sie »Naïbūn«, d. h. incognito ausgehen, haben die
Grossen ein minder zahlreiches Gefolge. Auf den Reisen von und
nach ihren Besitzungen werden die Lehnsfürsten von vielen tausend
Menschen begleitet; ihre Züge bedecken nach Kämpfer’s Erzählung
die Landstrasse oft mehrere Tagereisen weit.
Besonders belebt sind die Strassen von Yeddo an Festtagen,
deren die Japaner viele von mannichfacher Bedeutung haben. Jede
Oertlichkeit besitzt ihren Schutzpatron; die ihnen geltenden Feste
sind besonders geräuschvoll und geben Anlass zu theatralischen
Vorstellungen, zu Aufzügen und bunten Mummereien. Komische
Masken durchziehen dann die Strassen, und treiben bettelnd und
musicirend ihre Possen; auch Bänkelsänger kommen zahlreich herbei,
besonders die Yamambo’s und Bikuni 9), wandernde Bergmönche
und Nonnen, welche überall gern gesehen sind und reichliche
Spenden erhalten. Die Yamambo’s ziehen mit ihren Frauen und
Kindern quacksalbernd, musicirend und Beschwörungen übend durch
9) S. »Ansichten aus Japan, China und Siam«, I. Heft, Blatt 3.
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