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[Berg, Albert]: Die preussische Expedition nach Ost-Asien. Bd. 1. Berlin, 1864.

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I. Chinesisches Schauspiel.
oder Gartencoulissen; die Mittel-Decoration, einen Festzug dar-
stellend, hing von der Decke nur bis zur Hälfte der Höhe herab
und liess den Blick in einen halbdunkelen Raum frei, eine Art
Garderobe, wo Toilette gemacht und Rollen überhört wurden. Vor
dieser Oeffnung sass im Grunde der Bühne das Orchester, bestehend
aus einer Clarinette, einer Violine, einem Gong und einer Art Trommel
von Holz. Die Beleuchtung der Bühne wurde durch zahlreiche, an
Gerüsten befestigte Lampen bewirkt, die ein Lampenputzer während
der Vorstellung mit Oel versah; der Zuschauerraum lag im Halbdunkel.

Die in dem Raum hinter der Bühne aufgehängten Costüme
waren sehr prächtig, aus den schwersten Seidenstoffen gefertigt,
strotzend von Gold und Stickerei, besonders reich und kostbar einige
helm- und kronenartige Kopfbedeckungen aus stark vergoldetem
Metall, von schöner Zeichnung und Arbeit; sie schienen zu kostbar,
um für die Bühne gemacht zu sein, und hatten wahrscheinlich einst
der Wirklichkeit gedient. Die Schauspieler machten hier mit grossem
Ernst Toilette; mehrere standen vor kleinen Spiegeln und trans-
formirten sich in grimmige Krieger, d. h. sie malten sich das ganze
Gesicht weiss und zogen dann regelmässige braune und rothe Striche
queerüber von Ohr zu Ohr, wobei ihnen die Reisenden zu ihrer
grossen Satisfaction mit einigen kühnen Pinselstrichen halfen. Ein
Mandarin mit langem Bart und würdiger Miene musste sich hergeben,
um die verschiedenen Kopfbedeckungen aufzuprobiren, und liess es
sich mit grosser Liebenswürdigkeit gefallen. Frauen betreten die
Bühne nicht; um ihre kleinen Füsse nachzuahmen, schnallen sich die
Schauspieler Stelzen an.

Die Darstellungsweise ist durchaus conventionell, affectirt,
künstlich und übertrieben, Vortrag und Gebehrden gradezu fratzen-
haft. Hergebrachte Bewegungen, hergebrachte Töne bezeichnen
bestimmte Affecte und Stimmungen; nur die Komiker nähern sich
zuweilen einer natürlichen Darstellungsweise. Der Text wird theils
gesungen -- im Dialog mit strophenweiser Abwechselung, -- theils
recitirt, aber auch dabei kommen alle Register der Stimme vom
höchsten Falset bis zum tiefsten Gurgelbass, alle Töne und Miss-
töne, deren das menschliche Organ fähig ist, in Anwendung. Die
Declamationen werden oft von den Instrumenten begleitet, Kraft-
stellen durch wüthendes Pauken auf dem Gong hervorgehoben.
Die Musik zeichnet sich durch den gänzlichsten Mangel an Tact,
Melodie und Harmonie aus und scheint nur den Worten angepasste

I. Chinesisches Schauspiel.
oder Gartencoulissen; die Mittel-Decoration, einen Festzug dar-
stellend, hing von der Decke nur bis zur Hälfte der Höhe herab
und liess den Blick in einen halbdunkelen Raum frei, eine Art
Garderobe, wo Toilette gemacht und Rollen überhört wurden. Vor
dieser Oeffnung sass im Grunde der Bühne das Orchester, bestehend
aus einer Clarinette, einer Violine, einem Gong und einer Art Trommel
von Holz. Die Beleuchtung der Bühne wurde durch zahlreiche, an
Gerüsten befestigte Lampen bewirkt, die ein Lampenputzer während
der Vorstellung mit Oel versah; der Zuschauerraum lag im Halbdunkel.

Die in dem Raum hinter der Bühne aufgehängten Costüme
waren sehr prächtig, aus den schwersten Seidenstoffen gefertigt,
strotzend von Gold und Stickerei, besonders reich und kostbar einige
helm- und kronenartige Kopfbedeckungen aus stark vergoldetem
Metall, von schöner Zeichnung und Arbeit; sie schienen zu kostbar,
um für die Bühne gemacht zu sein, und hatten wahrscheinlich einst
der Wirklichkeit gedient. Die Schauspieler machten hier mit grossem
Ernst Toilette; mehrere standen vor kleinen Spiegeln und trans-
formirten sich in grimmige Krieger, d. h. sie malten sich das ganze
Gesicht weiss und zogen dann regelmässige braune und rothe Striche
queerüber von Ohr zu Ohr, wobei ihnen die Reisenden zu ihrer
grossen Satisfaction mit einigen kühnen Pinselstrichen halfen. Ein
Mandarin mit langem Bart und würdiger Miene musste sich hergeben,
um die verschiedenen Kopfbedeckungen aufzuprobiren, und liess es
sich mit grosser Liebenswürdigkeit gefallen. Frauen betreten die
Bühne nicht; um ihre kleinen Füsse nachzuahmen, schnallen sich die
Schauspieler Stelzen an.

Die Darstellungsweise ist durchaus conventionell, affectirt,
künstlich und übertrieben, Vortrag und Gebehrden gradezu fratzen-
haft. Hergebrachte Bewegungen, hergebrachte Töne bezeichnen
bestimmte Affecte und Stimmungen; nur die Komiker nähern sich
zuweilen einer natürlichen Darstellungsweise. Der Text wird theils
gesungen — im Dialog mit strophenweiser Abwechselung, — theils
recitirt, aber auch dabei kommen alle Register der Stimme vom
höchsten Falset bis zum tiefsten Gurgelbass, alle Töne und Miss-
töne, deren das menschliche Organ fähig ist, in Anwendung. Die
Declamationen werden oft von den Instrumenten begleitet, Kraft-
stellen durch wüthendes Pauken auf dem Gong hervorgehoben.
Die Musik zeichnet sich durch den gänzlichsten Mangel an Tact,
Melodie und Harmonie aus und scheint nur den Worten angepasste

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[207/0237] I. Chinesisches Schauspiel. oder Gartencoulissen; die Mittel-Decoration, einen Festzug dar- stellend, hing von der Decke nur bis zur Hälfte der Höhe herab und liess den Blick in einen halbdunkelen Raum frei, eine Art Garderobe, wo Toilette gemacht und Rollen überhört wurden. Vor dieser Oeffnung sass im Grunde der Bühne das Orchester, bestehend aus einer Clarinette, einer Violine, einem Gong und einer Art Trommel von Holz. Die Beleuchtung der Bühne wurde durch zahlreiche, an Gerüsten befestigte Lampen bewirkt, die ein Lampenputzer während der Vorstellung mit Oel versah; der Zuschauerraum lag im Halbdunkel. Die in dem Raum hinter der Bühne aufgehängten Costüme waren sehr prächtig, aus den schwersten Seidenstoffen gefertigt, strotzend von Gold und Stickerei, besonders reich und kostbar einige helm- und kronenartige Kopfbedeckungen aus stark vergoldetem Metall, von schöner Zeichnung und Arbeit; sie schienen zu kostbar, um für die Bühne gemacht zu sein, und hatten wahrscheinlich einst der Wirklichkeit gedient. Die Schauspieler machten hier mit grossem Ernst Toilette; mehrere standen vor kleinen Spiegeln und trans- formirten sich in grimmige Krieger, d. h. sie malten sich das ganze Gesicht weiss und zogen dann regelmässige braune und rothe Striche queerüber von Ohr zu Ohr, wobei ihnen die Reisenden zu ihrer grossen Satisfaction mit einigen kühnen Pinselstrichen halfen. Ein Mandarin mit langem Bart und würdiger Miene musste sich hergeben, um die verschiedenen Kopfbedeckungen aufzuprobiren, und liess es sich mit grosser Liebenswürdigkeit gefallen. Frauen betreten die Bühne nicht; um ihre kleinen Füsse nachzuahmen, schnallen sich die Schauspieler Stelzen an. Die Darstellungsweise ist durchaus conventionell, affectirt, künstlich und übertrieben, Vortrag und Gebehrden gradezu fratzen- haft. Hergebrachte Bewegungen, hergebrachte Töne bezeichnen bestimmte Affecte und Stimmungen; nur die Komiker nähern sich zuweilen einer natürlichen Darstellungsweise. Der Text wird theils gesungen — im Dialog mit strophenweiser Abwechselung, — theils recitirt, aber auch dabei kommen alle Register der Stimme vom höchsten Falset bis zum tiefsten Gurgelbass, alle Töne und Miss- töne, deren das menschliche Organ fähig ist, in Anwendung. Die Declamationen werden oft von den Instrumenten begleitet, Kraft- stellen durch wüthendes Pauken auf dem Gong hervorgehoben. Die Musik zeichnet sich durch den gänzlichsten Mangel an Tact, Melodie und Harmonie aus und scheint nur den Worten angepasste

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Zitationshilfe: [Berg, Albert]: Die preussische Expedition nach Ost-Asien. Bd. 1. Berlin, 1864, S. 207. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/berg_ostasien01_1864/237>, abgerufen am 25.11.2024.