[Berg, Albert]: Die preussische Expedition nach Ost-Asien. Bd. 1. Berlin, 1864.Das Gorodzio. Die Bunyo's. über alle gewöhnlichen Sachen, die laufenden Geschäfte, währendalle aussergewöhnlichen dem Siogun vorgelegt werden müssen. Bei diesem sollen die fünf Minister Vortrag haben, aber keine Angelegen- heit zwei Mal vorbringen dürfen. In neuester Zeit ist offenbar die Macht des Siogun durch diesen Reichsrath sehr beeinträchtigt worden; schon dem russischen Capitän Golownin, der in seiner langen Ge- fangenschaft (1810--1812) viel zuverlässige Nachrichten gesammelt hat, wurde von japanischen Beamten erzählt, dass der Siogun keine Entscheidung ohne Zustimmung des Gorodzio treffen könne, eben- sowenig aber auch dieses ohne den Siogun. Neuere Schriftsteller wollen, dass im Falle einer Meinungsverschiedenheit der Siogun der Beistimmung seiner drei Titularbrüder bedürfe, um seine Ansicht gegen den Reichsrath durchzusetzen, und dass er sogar abdanken müsse, wenn ihn diese nicht einstimmig unterstützten, -- dass aber im entgegengesetzten Falle der Urheber des fraglichen Vorschlages im Gorodzio, ja zuweilen die ganze Versammlung sich entleiben müsse. Letzteres ist gewiss falsch. Nach Golownin's Nachrichten durfte der Siogun die Mitglieder des Gorodzio nach Gutdünken berufen und entfernen und übte dadurch grosse Macht über dessen Beschlüsse. Dieser oberste Reichsrath scheint zum Theil aus Lehns- fürsten, zum Theil aus Mitgliedern des kaiserlichen Hofadels zu bestehen; ob in ihrer Anzahl ein bestimmtes Verhältniss obwaltet, ist ungewiss. Das Gorodzio ist wahrscheinlich identisch mit dem sogenannten Rathe der "Fürstlichen alten Männer". Es giebt ausser- dem noch eine zweite Versammlung der "Jungen alten Männer", die aus funfzehn Mitgliedern zu bestehen und über wichtige Criminal- sachen zu entscheiden scheint 123). An der Spitze der verschiedenen Zweige der Verwaltung 123) Vielleicht ist dieses das sogenannte Kokusi, von welchem ein englischer Schriftsteller der neuesten Zeit redet, nach dessen Angabe diese Versammlung aus achtzehn oder vierundzwanzig Mitgliedern, zum Theil aus dem höchsten Lehnsadel bestehen, den Mikado in Yeddo vertreten und die Regierung des Siogun beauf- sichtigen soll. Diese Nachricht stimmt so wenig zu allem Anderen, das bis jetzt über die japanische Staatsverfassung bekannt geworden ist, dass man ihr unmöglich Glauben beimessen kann. 124) Bunyo oder O-Bunyo. Das O vor einem Worte erhöht den Rang, Kinder
setzen es vor das Wort Vater, Mutter; -- wenn man mit einem Einwohner von Yeddo spricht, pflegt man aus Höflichkeit O-Yeddo zu sagen u. s. w. Das Gorodžio. Die Bunyo’s. über alle gewöhnlichen Sachen, die laufenden Geschäfte, währendalle aussergewöhnlichen dem Siogun vorgelegt werden müssen. Bei diesem sollen die fünf Minister Vortrag haben, aber keine Angelegen- heit zwei Mal vorbringen dürfen. In neuester Zeit ist offenbar die Macht des Siogun durch diesen Reichsrath sehr beeinträchtigt worden; schon dem russischen Capitän Golownin, der in seiner langen Ge- fangenschaft (1810—1812) viel zuverlässige Nachrichten gesammelt hat, wurde von japanischen Beamten erzählt, dass der Siogun keine Entscheidung ohne Zustimmung des Gorodžio treffen könne, eben- sowenig aber auch dieses ohne den Siogun. Neuere Schriftsteller wollen, dass im Falle einer Meinungsverschiedenheit der Siogun der Beistimmung seiner drei Titularbrüder bedürfe, um seine Ansicht gegen den Reichsrath durchzusetzen, und dass er sogar abdanken müsse, wenn ihn diese nicht einstimmig unterstützten, — dass aber im entgegengesetzten Falle der Urheber des fraglichen Vorschlages im Gorodžio, ja zuweilen die ganze Versammlung sich entleiben müsse. Letzteres ist gewiss falsch. Nach Golownin’s Nachrichten durfte der Siogun die Mitglieder des Gorodžio nach Gutdünken berufen und entfernen und übte dadurch grosse Macht über dessen Beschlüsse. Dieser oberste Reichsrath scheint zum Theil aus Lehns- fürsten, zum Theil aus Mitgliedern des kaiserlichen Hofadels zu bestehen; ob in ihrer Anzahl ein bestimmtes Verhältniss obwaltet, ist ungewiss. Das Gorodžio ist wahrscheinlich identisch mit dem sogenannten Rathe der »Fürstlichen alten Männer«. Es giebt ausser- dem noch eine zweite Versammlung der »Jungen alten Männer«, die aus funfzehn Mitgliedern zu bestehen und über wichtige Criminal- sachen zu entscheiden scheint 123). An der Spitze der verschiedenen Zweige der Verwaltung 123) Vielleicht ist dieses das sogenannte Kokuši, von welchem ein englischer Schriftsteller der neuesten Zeit redet, nach dessen Angabe diese Versammlung aus achtzehn oder vierundzwanzig Mitgliedern, zum Theil aus dem höchsten Lehnsadel bestehen, den Mikado in Yeddo vertreten und die Regierung des Siogun beauf- sichtigen soll. Diese Nachricht stimmt so wenig zu allem Anderen, das bis jetzt über die japanische Staatsverfassung bekannt geworden ist, dass man ihr unmöglich Glauben beimessen kann. 124) Bunyo oder O-Bunyo. Das O vor einem Worte erhöht den Rang, Kinder
setzen es vor das Wort Vater, Mutter; — wenn man mit einem Einwohner von Yeddo spricht, pflegt man aus Höflichkeit O-Yeddo zu sagen u. s. w. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0152" n="122"/><fw place="top" type="header">Das <hi rendition="#k">Gorodžio</hi>. Die <hi rendition="#k">Bunyo</hi>’s.</fw><lb/> über alle gewöhnlichen Sachen, die laufenden Geschäfte, während<lb/> alle aussergewöhnlichen dem <hi rendition="#k">Siogun</hi> vorgelegt werden müssen. Bei<lb/> diesem sollen die fünf Minister Vortrag haben, aber keine Angelegen-<lb/> heit zwei Mal vorbringen dürfen. In neuester Zeit ist offenbar die<lb/> Macht des <hi rendition="#k">Siogun</hi> durch diesen Reichsrath sehr beeinträchtigt worden;<lb/> schon dem russischen Capitän <persName ref="http://d-nb.info/gnd/119529750">Golownin</persName>, der in seiner langen Ge-<lb/> fangenschaft (1810—1812) viel zuverlässige Nachrichten gesammelt<lb/> hat, wurde von japanischen Beamten erzählt, dass der <hi rendition="#k">Siogun</hi> keine<lb/> Entscheidung ohne Zustimmung des <hi rendition="#k">Gorodžio</hi> treffen könne, eben-<lb/> sowenig aber auch dieses ohne den <hi rendition="#k">Siogun</hi>. Neuere Schriftsteller<lb/> wollen, dass im Falle einer Meinungsverschiedenheit der <hi rendition="#k">Siogun</hi> der<lb/> Beistimmung seiner drei Titularbrüder bedürfe, um seine Ansicht<lb/> gegen den Reichsrath durchzusetzen, und dass er sogar abdanken<lb/> müsse, wenn ihn diese nicht einstimmig unterstützten, — dass aber<lb/> im entgegengesetzten Falle der Urheber des fraglichen Vorschlages<lb/> im <hi rendition="#k">Gorodžio</hi>, ja zuweilen die ganze Versammlung sich entleiben<lb/> müsse. Letzteres ist gewiss falsch. Nach <persName ref="http://d-nb.info/gnd/119529750">Golownin’s</persName> Nachrichten<lb/> durfte der <hi rendition="#k">Siogun</hi> die Mitglieder des <hi rendition="#k">Gorodžio</hi> nach Gutdünken<lb/> berufen und entfernen und übte dadurch grosse Macht über dessen<lb/> Beschlüsse. Dieser oberste Reichsrath scheint zum Theil aus Lehns-<lb/> fürsten, zum Theil aus Mitgliedern des kaiserlichen Hofadels zu<lb/> bestehen; ob in ihrer Anzahl ein bestimmtes Verhältniss obwaltet,<lb/> ist ungewiss. Das <hi rendition="#k">Gorodžio</hi> ist wahrscheinlich identisch mit dem<lb/> sogenannten Rathe der »Fürstlichen alten Männer«. Es giebt ausser-<lb/> dem noch eine zweite Versammlung der »Jungen alten Männer«,<lb/> die aus funfzehn Mitgliedern zu bestehen und über wichtige Criminal-<lb/> sachen zu entscheiden scheint <note place="foot" n="123)">Vielleicht ist dieses das sogenannte <hi rendition="#k">Kokuši</hi>, von welchem ein englischer<lb/> Schriftsteller der neuesten Zeit redet, nach dessen Angabe diese Versammlung aus<lb/> achtzehn oder vierundzwanzig Mitgliedern, zum Theil aus dem höchsten Lehnsadel<lb/> bestehen, den <hi rendition="#k">Mikado</hi> in <hi rendition="#k"><placeName>Yeddo</placeName></hi> vertreten und die Regierung des <hi rendition="#k">Siogun</hi> beauf-<lb/> sichtigen soll. Diese Nachricht stimmt so wenig zu allem Anderen, das bis jetzt<lb/> über die japanische Staatsverfassung bekannt geworden ist, dass man ihr unmöglich<lb/> Glauben beimessen kann.</note>.</p><lb/> <p>An der Spitze der verschiedenen Zweige der Verwaltung<lb/> stehen die <hi rendition="#k">Bunyo</hi>’s <note place="foot" n="124)"><hi rendition="#k">Bunyo</hi> oder O-<hi rendition="#k">Bunyo</hi>. Das O vor einem Worte erhöht den Rang, Kinder<lb/> setzen es vor das Wort Vater, Mutter; — wenn man mit einem Einwohner von<lb/><hi rendition="#k"><placeName>Yeddo</placeName></hi> spricht, pflegt man aus Höflichkeit <placeName>O-<hi rendition="#k">Yeddo</hi></placeName> zu sagen u. s. w.</note>, welche meist den höchsten Familien des Hof-<lb/> adels angehören; viele führen den <hi rendition="#k">Kami</hi>-Titel — auch apanagirte<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [122/0152]
Das Gorodžio. Die Bunyo’s.
über alle gewöhnlichen Sachen, die laufenden Geschäfte, während
alle aussergewöhnlichen dem Siogun vorgelegt werden müssen. Bei
diesem sollen die fünf Minister Vortrag haben, aber keine Angelegen-
heit zwei Mal vorbringen dürfen. In neuester Zeit ist offenbar die
Macht des Siogun durch diesen Reichsrath sehr beeinträchtigt worden;
schon dem russischen Capitän Golownin, der in seiner langen Ge-
fangenschaft (1810—1812) viel zuverlässige Nachrichten gesammelt
hat, wurde von japanischen Beamten erzählt, dass der Siogun keine
Entscheidung ohne Zustimmung des Gorodžio treffen könne, eben-
sowenig aber auch dieses ohne den Siogun. Neuere Schriftsteller
wollen, dass im Falle einer Meinungsverschiedenheit der Siogun der
Beistimmung seiner drei Titularbrüder bedürfe, um seine Ansicht
gegen den Reichsrath durchzusetzen, und dass er sogar abdanken
müsse, wenn ihn diese nicht einstimmig unterstützten, — dass aber
im entgegengesetzten Falle der Urheber des fraglichen Vorschlages
im Gorodžio, ja zuweilen die ganze Versammlung sich entleiben
müsse. Letzteres ist gewiss falsch. Nach Golownin’s Nachrichten
durfte der Siogun die Mitglieder des Gorodžio nach Gutdünken
berufen und entfernen und übte dadurch grosse Macht über dessen
Beschlüsse. Dieser oberste Reichsrath scheint zum Theil aus Lehns-
fürsten, zum Theil aus Mitgliedern des kaiserlichen Hofadels zu
bestehen; ob in ihrer Anzahl ein bestimmtes Verhältniss obwaltet,
ist ungewiss. Das Gorodžio ist wahrscheinlich identisch mit dem
sogenannten Rathe der »Fürstlichen alten Männer«. Es giebt ausser-
dem noch eine zweite Versammlung der »Jungen alten Männer«,
die aus funfzehn Mitgliedern zu bestehen und über wichtige Criminal-
sachen zu entscheiden scheint 123).
An der Spitze der verschiedenen Zweige der Verwaltung
stehen die Bunyo’s 124), welche meist den höchsten Familien des Hof-
adels angehören; viele führen den Kami-Titel — auch apanagirte
123) Vielleicht ist dieses das sogenannte Kokuši, von welchem ein englischer
Schriftsteller der neuesten Zeit redet, nach dessen Angabe diese Versammlung aus
achtzehn oder vierundzwanzig Mitgliedern, zum Theil aus dem höchsten Lehnsadel
bestehen, den Mikado in Yeddo vertreten und die Regierung des Siogun beauf-
sichtigen soll. Diese Nachricht stimmt so wenig zu allem Anderen, das bis jetzt
über die japanische Staatsverfassung bekannt geworden ist, dass man ihr unmöglich
Glauben beimessen kann.
124) Bunyo oder O-Bunyo. Das O vor einem Worte erhöht den Rang, Kinder
setzen es vor das Wort Vater, Mutter; — wenn man mit einem Einwohner von
Yeddo spricht, pflegt man aus Höflichkeit O-Yeddo zu sagen u. s. w.
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