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[Berg, Albert]: Die preussische Expedition nach Ost-Asien. Bd. 1. Berlin, 1864.

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Der Hof von Miako. Der Siogun.

Verlässt der Mikado sein Schloss, was nur unter dem Vor-
wande eines Tempelbesuches geschehen darf, so wird er in reich ver-
zierter Sänfte auf den Schultern getragen, oder in einem mit Ochsen
bespannten Staatswagen gefahren; der Auszug geschieht dann mit
vielem Gepränge. Sein gesammter Hofstaat soll sich von Spröss-
lingen seines eigenen Geschlechtes herleiten und mit ihm gleichsam
eine Familie bilden, deren Glieder sich über alle anderen Erden-
bewohner erhaben dünken 110). Die geringsten Beamten dieses
Hofes fordern selbst von den Lehnsfürsten ehrerbietige Begegnung
und haben den Vortritt vor ihnen. Der Siogun empfängt die Ge-
sandtschaften des Mikado unter Prostationen und lässt sich erst
nachher von ihnen die gleiche Ehre erweisen. Er selbst kommt
nur selten und bei aussergewöhnlichen Gelegenheiten nach Miako,
lässt den Mikado aber häufig durch Gesandtschaften begrüssen. Er
bezahlt die Kosten der erbkaiserlichen Hofhaltung, aber die Be-
soldung der niederen Beamten soll so gering sein, dass viele sich
durch Korbflechten und andere Handarbeiten ernähren müssen. --
Der Mikado ist der Ausfluss aller Ehren und Würden; die Geschenke,
welche besonders bei aussergewöhnlichen Rangverleihungen gegeben
werden müssen, sind so bedeutend, dass die Siogun's sich oft dieses
Mittels bedienen, um allzureiche Fürsten einzuschränken.

Während der Blüthezeit ihrer Macht haben also die Siogun's
ganz unumschränkt geherrscht und wahrscheinlich auch die wichtig-
sten Staatsangelegenheiten ohne Zuziehung des Mikado entschieden.
So ist das Verhältniss in allen älteren Werken über Japan darge-
stellt. Höchstens eine formelle Mittheilung der Beschlüsse mag
üblich gewesen sein. Neuere Schriftsteller behaupten, wahrscheinlich
mit Unrecht, die Sanction des Mikado sei zu jedem Gesetze, zu
jeder folgereichen Entscheidung erforderlich. Dass er de jure,

zweiundsechszigste Mikado wurde wieder Ten-o genannt, weil er der alten Sinto-
Religion anhing; auch der einundachtzigste führte diesen Titel, weil er als Kind vor
der Einweihung in die buddistischen Lehren starb.
110) Caron sagt von ihnen: "-- und finden sich mehr als hundert Personen unter
ihnen, die für edler als der Kaiser selbst gehalten werden, und deshalb mit viel
höheren und herrlichern Tituln begabt sind." -- Nach den Angaben der neuesten
Schriftsteller soll der Siogun die vierte Rangstufe im japanischen Staatskalender ein-
nehmen. -- Nach Kämpfer und anderen Autoren vermieden die Daimio's bei ihren
Hofreisen geflissentlich Miako, weil sie bei der Begegnung mit den Kuge -- den
Hofleuten des Mikado -- aus der Sänfte steigen und sich bei der geringsten Ver-
letzung der hergebrachten Formen oft arge Demüthigungen gefallen lassen müssten.
Der Hof von Miako. Der Siogun.

Verlässt der Mikado sein Schloss, was nur unter dem Vor-
wande eines Tempelbesuches geschehen darf, so wird er in reich ver-
zierter Sänfte auf den Schultern getragen, oder in einem mit Ochsen
bespannten Staatswagen gefahren; der Auszug geschieht dann mit
vielem Gepränge. Sein gesammter Hofstaat soll sich von Spröss-
lingen seines eigenen Geschlechtes herleiten und mit ihm gleichsam
eine Familie bilden, deren Glieder sich über alle anderen Erden-
bewohner erhaben dünken 110). Die geringsten Beamten dieses
Hofes fordern selbst von den Lehnsfürsten ehrerbietige Begegnung
und haben den Vortritt vor ihnen. Der Siogun empfängt die Ge-
sandtschaften des Mikado unter Prostationen und lässt sich erst
nachher von ihnen die gleiche Ehre erweisen. Er selbst kommt
nur selten und bei aussergewöhnlichen Gelegenheiten nach Miako,
lässt den Mikado aber häufig durch Gesandtschaften begrüssen. Er
bezahlt die Kosten der erbkaiserlichen Hofhaltung, aber die Be-
soldung der niederen Beamten soll so gering sein, dass viele sich
durch Korbflechten und andere Handarbeiten ernähren müssen. —
Der Mikado ist der Ausfluss aller Ehren und Würden; die Geschenke,
welche besonders bei aussergewöhnlichen Rangverleihungen gegeben
werden müssen, sind so bedeutend, dass die Siogun’s sich oft dieses
Mittels bedienen, um allzureiche Fürsten einzuschränken.

Während der Blüthezeit ihrer Macht haben also die Siogun’s
ganz unumschränkt geherrscht und wahrscheinlich auch die wichtig-
sten Staatsangelegenheiten ohne Zuziehung des Mikado entschieden.
So ist das Verhältniss in allen älteren Werken über Japan darge-
stellt. Höchstens eine formelle Mittheilung der Beschlüsse mag
üblich gewesen sein. Neuere Schriftsteller behaupten, wahrscheinlich
mit Unrecht, die Sanction des Mikado sei zu jedem Gesetze, zu
jeder folgereichen Entscheidung erforderlich. Dass er de jure,

zweiundsechszigste Mikado wurde wieder Ten-o genannt, weil er der alten Sinto-
Religion anhing; auch der einundachtzigste führte diesen Titel, weil er als Kind vor
der Einweihung in die buddistischen Lehren starb.
110) Caron sagt von ihnen: »— und finden sich mehr als hundert Personen unter
ihnen, die für edler als der Kaiser selbst gehalten werden, und deshalb mit viel
höheren und herrlichern Tituln begabt sind.« — Nach den Angaben der neuesten
Schriftsteller soll der Siogun die vierte Rangstufe im japanischen Staatskalender ein-
nehmen. — Nach Kämpfer und anderen Autoren vermieden die Daïmio’s bei ihren
Hofreisen geflissentlich Miako, weil sie bei der Begegnung mit den Kuge — den
Hofleuten des Mikado — aus der Sänfte steigen und sich bei der geringsten Ver-
letzung der hergebrachten Formen oft arge Demüthigungen gefallen lassen müssten.
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[111/0141] Der Hof von Miako. Der Siogun. Verlässt der Mikado sein Schloss, was nur unter dem Vor- wande eines Tempelbesuches geschehen darf, so wird er in reich ver- zierter Sänfte auf den Schultern getragen, oder in einem mit Ochsen bespannten Staatswagen gefahren; der Auszug geschieht dann mit vielem Gepränge. Sein gesammter Hofstaat soll sich von Spröss- lingen seines eigenen Geschlechtes herleiten und mit ihm gleichsam eine Familie bilden, deren Glieder sich über alle anderen Erden- bewohner erhaben dünken 110). Die geringsten Beamten dieses Hofes fordern selbst von den Lehnsfürsten ehrerbietige Begegnung und haben den Vortritt vor ihnen. Der Siogun empfängt die Ge- sandtschaften des Mikado unter Prostationen und lässt sich erst nachher von ihnen die gleiche Ehre erweisen. Er selbst kommt nur selten und bei aussergewöhnlichen Gelegenheiten nach Miako, lässt den Mikado aber häufig durch Gesandtschaften begrüssen. Er bezahlt die Kosten der erbkaiserlichen Hofhaltung, aber die Be- soldung der niederen Beamten soll so gering sein, dass viele sich durch Korbflechten und andere Handarbeiten ernähren müssen. — Der Mikado ist der Ausfluss aller Ehren und Würden; die Geschenke, welche besonders bei aussergewöhnlichen Rangverleihungen gegeben werden müssen, sind so bedeutend, dass die Siogun’s sich oft dieses Mittels bedienen, um allzureiche Fürsten einzuschränken. Während der Blüthezeit ihrer Macht haben also die Siogun’s ganz unumschränkt geherrscht und wahrscheinlich auch die wichtig- sten Staatsangelegenheiten ohne Zuziehung des Mikado entschieden. So ist das Verhältniss in allen älteren Werken über Japan darge- stellt. Höchstens eine formelle Mittheilung der Beschlüsse mag üblich gewesen sein. Neuere Schriftsteller behaupten, wahrscheinlich mit Unrecht, die Sanction des Mikado sei zu jedem Gesetze, zu jeder folgereichen Entscheidung erforderlich. Dass er de jure, 109) 110) Caron sagt von ihnen: »— und finden sich mehr als hundert Personen unter ihnen, die für edler als der Kaiser selbst gehalten werden, und deshalb mit viel höheren und herrlichern Tituln begabt sind.« — Nach den Angaben der neuesten Schriftsteller soll der Siogun die vierte Rangstufe im japanischen Staatskalender ein- nehmen. — Nach Kämpfer und anderen Autoren vermieden die Daïmio’s bei ihren Hofreisen geflissentlich Miako, weil sie bei der Begegnung mit den Kuge — den Hofleuten des Mikado — aus der Sänfte steigen und sich bei der geringsten Ver- letzung der hergebrachten Formen oft arge Demüthigungen gefallen lassen müssten. 109) zweiundsechszigste Mikado wurde wieder Ten-o genannt, weil er der alten Sinto- Religion anhing; auch der einundachtzigste führte diesen Titel, weil er als Kind vor der Einweihung in die buddistischen Lehren starb.

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Zitationshilfe: [Berg, Albert]: Die preussische Expedition nach Ost-Asien. Bd. 1. Berlin, 1864, S. 111. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/berg_ostasien01_1864/141>, abgerufen am 24.11.2024.