Sehr wohl wäre es gethan, wann man, wie bey dem Volk Israel Moses und die Pro- pheten alle Sabbath vorgelesen wurden, also das alte und neue Testament allem Christen- Volke vorläse. Man erwege 1 Thess. 5, 27. 1 Tim. 4, 13. Off. 1, 3. Auf solche Weise bliebe nichts zurücke. 2 Tim. 3, 16. 17. Was nicht in öffentlichen Versammlungen geschicht, kan in Haushaltungen oder von jedem ins besonde- re geschehen. Und so hat man in dem Vor- trag des Worts billig aus dem ganzen Inhalt der heiligen Schrift jedes mal dasjenige her- auszulesen, und in Lauterkeit, Völligkeit und Ordnung abzufassen, wovon die meiste Er- bauung zu hoffen ist. Nach der unaussprech- lich-manchfaltigen Bewandtniß der Seelen kan von denen unzahlbaren Blicken und Stralen des Göttlichen Lichts, wie gesagt, bald dieser bald jener in einem lehrreichen und weislich ein- gerichteten und abgewechselten Vortrag einen heilsamen Zug thun. Es können auch deren mehrere zusammen treffen, daß der Mensch selbs nicht weiß, welcher von denselben das meiste bey ihm gethan habe. In der Lehr-Art hält man eine Ordnung: aber die Gnade ist an solche Ordnung nicht gebunden. Es kan ein Schrecken vor der Erfahrung der Gnade her- gehen: es kan auch auf die Erfahrung der Gna- de eine zarte Scheue folgen: wiederum kan die himmlische Majestät bey ihren langbewährten
Dienern
Vom Blut und Wunden.
§ 89.
Sehr wohl waͤre es gethan, wann man, wie bey dem Volk Iſrael Moſes und die Pro- pheten alle Sabbath vorgeleſen wurden, alſo das alte und neue Teſtament allem Chriſten- Volke vorlaͤſe. Man erwege 1 Theſſ. 5, 27. 1 Tim. 4, 13. Off. 1, 3. Auf ſolche Weiſe bliebe nichts zuruͤcke. 2 Tim. 3, 16. 17. Was nicht in oͤffentlichen Verſammlungen geſchicht, kan in Haushaltungen oder von jedem ins beſonde- re geſchehen. Und ſo hat man in dem Vor- trag des Worts billig aus dem ganzen Inhalt der heiligen Schrift jedes mal dasjenige her- auszuleſen, und in Lauterkeit, Voͤlligkeit und Ordnung abzufaſſen, wovon die meiſte Er- bauung zu hoffen iſt. Nach der unausſprech- lich-manchfaltigen Bewandtniß der Seelen kan von denen unzahlbaren Blicken und Stralen des Goͤttlichen Lichts, wie geſagt, bald dieſer bald jener in einem lehrreichen und weislich ein- gerichteten und abgewechſelten Vortrag einen heilſamen Zug thun. Es koͤnnen auch deren mehrere zuſammen treffen, daß der Menſch ſelbs nicht weiß, welcher von denſelben das meiſte bey ihm gethan habe. In der Lehr-Art haͤlt man eine Ordnung: aber die Gnade iſt an ſolche Ordnung nicht gebunden. Es kan ein Schrecken vor der Erfahrung der Gnade her- gehen: es kan auch auf die Erfahrung der Gna- de eine zarte Scheue folgen: wiederum kan die himmliſche Majeſtaͤt bey ihren langbewaͤhrten
Dienern
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Vom Blut und Wunden.
§ 89.
Sehr wohl waͤre es gethan, wann man,
wie bey dem Volk Iſrael Moſes und die Pro-
pheten alle Sabbath vorgeleſen wurden, alſo
das alte und neue Teſtament allem Chriſten-
Volke vorlaͤſe. Man erwege 1 Theſſ. 5, 27.
1 Tim. 4, 13. Off. 1, 3. Auf ſolche Weiſe bliebe
nichts zuruͤcke. 2 Tim. 3, 16. 17. Was nicht
in oͤffentlichen Verſammlungen geſchicht, kan
in Haushaltungen oder von jedem ins beſonde-
re geſchehen. Und ſo hat man in dem Vor-
trag des Worts billig aus dem ganzen Inhalt
der heiligen Schrift jedes mal dasjenige her-
auszuleſen, und in Lauterkeit, Voͤlligkeit und
Ordnung abzufaſſen, wovon die meiſte Er-
bauung zu hoffen iſt. Nach der unausſprech-
lich-manchfaltigen Bewandtniß der Seelen kan
von denen unzahlbaren Blicken und Stralen
des Goͤttlichen Lichts, wie geſagt, bald dieſer
bald jener in einem lehrreichen und weislich ein-
gerichteten und abgewechſelten Vortrag einen
heilſamen Zug thun. Es koͤnnen auch deren
mehrere zuſammen treffen, daß der Menſch
ſelbs nicht weiß, welcher von denſelben das
meiſte bey ihm gethan habe. In der Lehr-Art
haͤlt man eine Ordnung: aber die Gnade iſt an
ſolche Ordnung nicht gebunden. Es kan ein
Schrecken vor der Erfahrung der Gnade her-
gehen: es kan auch auf die Erfahrung der Gna-
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Bengel, Johann Albrecht: Abriß der so genannten Brüdergemeine. Bd. 1. Stuttgart, 1751, S. 93. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bengel_abriss01_1751/113>, abgerufen am 16.07.2024.
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