Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Becker, Bernhard: Wie Arbeiterwohnungen gut und gesund einzurichten und zu erhalten seien. Basel, 1860.

Bild:
<< vorherige Seite

bald gut genug. Wo man den dritten Theil seines Lebens
ununterbrochen zubringt, da muß es gut sein. Namentlich Kin-
der, Kranke und Alte sollten weite und große Räume zum
Schlafen haben. Gänge und Treppen behandelt man häufig als
Nebensache. Natürlich; sie tragen keinen Zins, und wir leben
in einer Zeit, da alles Zins tragen sollte. Wo noch ein ver-
nünftiger Gang ist, macht man ein Zimmerchen daraus, und
setzt in's Tagblatt, es sei noch ein "sonnenreiches" Zimmer für
einen ledigen Herrn zu vermiethen. Gänge und Treppen sind
das halbe Haus! Ein Haus mit schlechten, engen, dunkeln und
steilen Treppen und Gängen und schönen Zimmern ist eine träge
Fleischmasse ohne ein tüchtiges Knochengestell, ein altes Kleid
mit neuen Lappen. Vollends aber mit dem Abtritt steht's an
manchem Ort, daß es eine Schande ist. Und ein Haus mit
einem schlechten, stinkenden, dunkeln Abtritt ist auch nur ein
halbes Haus, aber eine ganze Schweinerei. Es giebt stattliche
Gebäude, worin die Abtritte so eng sind, daß man die Thüre
hinter sich schließen muß, bevor man sich umkehren kann, wäh-
rend welcher Zeit man dann die Nase dicht über den Sessel
halten muß. Solche Gebäude sind nicht werth, daß ein Hund
das Bein gegen sie aufhebt. Es giebt sogar Häuser, ganze
Gassen von Häusern in Städten, da gar keine Abtritte sind.
Da müssen sie des Nachts den Unflath in großen hölzernen
Gefäßen auf dem Kopf etwa in einen nahen Bach tragen, als
ob sie's gestohlen hätten. Ja, ja, es ist gestohlen! gestohlen
an der Gesundheit, am Anstand, an der Sittlichkeit, am Haus-
frieden oft! Jch rede natürlich nicht gern von diesen Dingen;
aber doch will ich es sagen, und zwar ohne um allerhöchste
Permission anzuhalten, denn das Bemänteln hilft hier nicht;
das ist ein Uebelstand, der laut und öffentlich gerügt werden
muß. Die stinkenden, engen, dunkeln Abtritte, die müssen mit
aller Gewalt entfernt werden, und wenn ein Zimmer des Hauses
geopfert werden muß und eines weniger in's Tagblatt gesetzt
werden kann; die sind ein heimlicher und höchst unheimlicher
wüster Schaden. Und bei neuen Häusern müssen wir von der
verrückten, gespreizten Vornehmheit, als müßten wir auf keinen
Abtritt, als wären wir von lauter Duft und Geist, und könnten

bald gut genug. Wo man den dritten Theil ſeines Lebens
ununterbrochen zubringt, da muß es gut ſein. Namentlich Kin-
der, Kranke und Alte ſollten weite und große Räume zum
Schlafen haben. Gänge und Treppen behandelt man häufig als
Nebenſache. Natürlich; ſie tragen keinen Zins, und wir leben
in einer Zeit, da alles Zins tragen ſollte. Wo noch ein ver-
nünftiger Gang iſt, macht man ein Zimmerchen daraus, und
ſetzt in's Tagblatt, es ſei noch ein „ſonnenreiches“ Zimmer für
einen ledigen Herrn zu vermiethen. Gänge und Treppen ſind
das halbe Haus! Ein Haus mit ſchlechten, engen, dunkeln und
ſteilen Treppen und Gängen und ſchönen Zimmern iſt eine träge
Fleiſchmaſſe ohne ein tüchtiges Knochengeſtell, ein altes Kleid
mit neuen Lappen. Vollends aber mit dem Abtritt ſteht's an
manchem Ort, daß es eine Schande iſt. Und ein Haus mit
einem ſchlechten, ſtinkenden, dunkeln Abtritt iſt auch nur ein
halbes Haus, aber eine ganze Schweinerei. Es giebt ſtattliche
Gebäude, worin die Abtritte ſo eng ſind, daß man die Thüre
hinter ſich ſchließen muß, bevor man ſich umkehren kann, wäh-
rend welcher Zeit man dann die Naſe dicht über den Seſſel
halten muß. Solche Gebäude ſind nicht werth, daß ein Hund
das Bein gegen ſie aufhebt. Es giebt ſogar Häuſer, ganze
Gaſſen von Häuſern in Städten, da gar keine Abtritte ſind.
Da müſſen ſie des Nachts den Unflath in großen hölzernen
Gefäßen auf dem Kopf etwa in einen nahen Bach tragen, als
ob ſie's geſtohlen hätten. Ja, ja, es iſt geſtohlen! geſtohlen
an der Geſundheit, am Anſtand, an der Sittlichkeit, am Haus-
frieden oft! Jch rede natürlich nicht gern von dieſen Dingen;
aber doch will ich es ſagen, und zwar ohne um allerhöchſte
Permiſſion anzuhalten, denn das Bemänteln hilft hier nicht;
das iſt ein Uebelſtand, der laut und öffentlich gerügt werden
muß. Die ſtinkenden, engen, dunkeln Abtritte, die müſſen mit
aller Gewalt entfernt werden, und wenn ein Zimmer des Hauſes
geopfert werden muß und eines weniger in's Tagblatt geſetzt
werden kann; die ſind ein heimlicher und höchſt unheimlicher
wüſter Schaden. Und bei neuen Häuſern müſſen wir von der
verrückten, geſpreizten Vornehmheit, als müßten wir auf keinen
Abtritt, als wären wir von lauter Duft und Geiſt, und könnten

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0042" n="42"/>
bald gut genug. Wo man den dritten Theil &#x017F;eines Lebens<lb/>
ununterbrochen zubringt, da muß es gut &#x017F;ein. Namentlich Kin-<lb/>
der, Kranke und Alte &#x017F;ollten weite und große Räume zum<lb/>
Schlafen haben. Gänge und Treppen behandelt man häufig als<lb/>
Neben&#x017F;ache. Natürlich; &#x017F;ie tragen keinen Zins, und wir leben<lb/>
in einer Zeit, da alles Zins tragen &#x017F;ollte. Wo noch ein ver-<lb/>
nünftiger Gang i&#x017F;t, macht man ein Zimmerchen daraus, und<lb/>
&#x017F;etzt in's Tagblatt, es &#x017F;ei noch ein &#x201E;&#x017F;onnenreiches&#x201C; Zimmer für<lb/>
einen ledigen Herrn zu vermiethen. Gänge und Treppen &#x017F;ind<lb/>
das halbe Haus! Ein Haus mit &#x017F;chlechten, engen, dunkeln und<lb/>
&#x017F;teilen Treppen und Gängen und &#x017F;chönen Zimmern i&#x017F;t eine träge<lb/>
Flei&#x017F;chma&#x017F;&#x017F;e ohne ein tüchtiges Knochenge&#x017F;tell, ein altes Kleid<lb/>
mit neuen Lappen. Vollends aber mit dem Abtritt &#x017F;teht's an<lb/>
manchem Ort, daß es eine Schande i&#x017F;t. Und ein Haus mit<lb/>
einem &#x017F;chlechten, &#x017F;tinkenden, dunkeln Abtritt i&#x017F;t auch nur ein<lb/>
halbes Haus, aber eine ganze Schweinerei. Es giebt &#x017F;tattliche<lb/>
Gebäude, worin die Abtritte &#x017F;o eng &#x017F;ind, daß man die Thüre<lb/>
hinter &#x017F;ich &#x017F;chließen muß, bevor man &#x017F;ich umkehren kann, wäh-<lb/>
rend welcher Zeit man dann die Na&#x017F;e dicht über den Se&#x017F;&#x017F;el<lb/>
halten muß. Solche Gebäude &#x017F;ind nicht werth, daß ein Hund<lb/>
das Bein gegen &#x017F;ie aufhebt. Es giebt &#x017F;ogar Häu&#x017F;er, ganze<lb/>
Ga&#x017F;&#x017F;en von Häu&#x017F;ern in Städten, da gar keine Abtritte &#x017F;ind.<lb/>
Da mü&#x017F;&#x017F;en &#x017F;ie des Nachts den Unflath in großen hölzernen<lb/>
Gefäßen auf dem Kopf etwa in einen nahen Bach tragen, als<lb/>
ob &#x017F;ie's ge&#x017F;tohlen hätten. Ja, ja, es i&#x017F;t ge&#x017F;tohlen! ge&#x017F;tohlen<lb/>
an der Ge&#x017F;undheit, am An&#x017F;tand, an der Sittlichkeit, am Haus-<lb/>
frieden oft! Jch rede natürlich nicht gern von die&#x017F;en Dingen;<lb/>
aber doch will ich es &#x017F;agen, und zwar ohne um allerhöch&#x017F;te<lb/>
Permi&#x017F;&#x017F;ion anzuhalten, denn das Bemänteln hilft hier nicht;<lb/>
das i&#x017F;t ein Uebel&#x017F;tand, der laut und öffentlich gerügt werden<lb/>
muß. Die &#x017F;tinkenden, engen, dunkeln Abtritte, die mü&#x017F;&#x017F;en mit<lb/>
aller Gewalt entfernt werden, und wenn ein Zimmer des Hau&#x017F;es<lb/>
geopfert werden muß und eines weniger in's Tagblatt ge&#x017F;etzt<lb/>
werden kann; die &#x017F;ind ein heimlicher und höch&#x017F;t unheimlicher<lb/>&#x017F;ter Schaden. Und bei neuen Häu&#x017F;ern mü&#x017F;&#x017F;en wir von der<lb/>
verrückten, ge&#x017F;preizten Vornehmheit, als müßten wir auf keinen<lb/>
Abtritt, als wären wir von lauter Duft und Gei&#x017F;t, und könnten<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[42/0042] bald gut genug. Wo man den dritten Theil ſeines Lebens ununterbrochen zubringt, da muß es gut ſein. Namentlich Kin- der, Kranke und Alte ſollten weite und große Räume zum Schlafen haben. Gänge und Treppen behandelt man häufig als Nebenſache. Natürlich; ſie tragen keinen Zins, und wir leben in einer Zeit, da alles Zins tragen ſollte. Wo noch ein ver- nünftiger Gang iſt, macht man ein Zimmerchen daraus, und ſetzt in's Tagblatt, es ſei noch ein „ſonnenreiches“ Zimmer für einen ledigen Herrn zu vermiethen. Gänge und Treppen ſind das halbe Haus! Ein Haus mit ſchlechten, engen, dunkeln und ſteilen Treppen und Gängen und ſchönen Zimmern iſt eine träge Fleiſchmaſſe ohne ein tüchtiges Knochengeſtell, ein altes Kleid mit neuen Lappen. Vollends aber mit dem Abtritt ſteht's an manchem Ort, daß es eine Schande iſt. Und ein Haus mit einem ſchlechten, ſtinkenden, dunkeln Abtritt iſt auch nur ein halbes Haus, aber eine ganze Schweinerei. Es giebt ſtattliche Gebäude, worin die Abtritte ſo eng ſind, daß man die Thüre hinter ſich ſchließen muß, bevor man ſich umkehren kann, wäh- rend welcher Zeit man dann die Naſe dicht über den Seſſel halten muß. Solche Gebäude ſind nicht werth, daß ein Hund das Bein gegen ſie aufhebt. Es giebt ſogar Häuſer, ganze Gaſſen von Häuſern in Städten, da gar keine Abtritte ſind. Da müſſen ſie des Nachts den Unflath in großen hölzernen Gefäßen auf dem Kopf etwa in einen nahen Bach tragen, als ob ſie's geſtohlen hätten. Ja, ja, es iſt geſtohlen! geſtohlen an der Geſundheit, am Anſtand, an der Sittlichkeit, am Haus- frieden oft! Jch rede natürlich nicht gern von dieſen Dingen; aber doch will ich es ſagen, und zwar ohne um allerhöchſte Permiſſion anzuhalten, denn das Bemänteln hilft hier nicht; das iſt ein Uebelſtand, der laut und öffentlich gerügt werden muß. Die ſtinkenden, engen, dunkeln Abtritte, die müſſen mit aller Gewalt entfernt werden, und wenn ein Zimmer des Hauſes geopfert werden muß und eines weniger in's Tagblatt geſetzt werden kann; die ſind ein heimlicher und höchſt unheimlicher wüſter Schaden. Und bei neuen Häuſern müſſen wir von der verrückten, geſpreizten Vornehmheit, als müßten wir auf keinen Abtritt, als wären wir von lauter Duft und Geiſt, und könnten

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/becker_arbeiter_1860
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/becker_arbeiter_1860/42
Zitationshilfe: Becker, Bernhard: Wie Arbeiterwohnungen gut und gesund einzurichten und zu erhalten seien. Basel, 1860, S. 42. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/becker_arbeiter_1860/42>, abgerufen am 22.11.2024.