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Becker, Bernhard: Wie Arbeiterwohnungen gut und gesund einzurichten und zu erhalten seien. Basel, 1860.

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Fuß haben. So geräumig sind aber nur die Wohnungen der
Reichsten. Die meisten Menschen müssen sich mit einem viel
kleinern Raum begnügen und können sich auch begnügen, wenn
für gehörige Erneuerung der Luft gesorgt ist. Jm Ganzen
aber wohnen die meisten Menschen viel zu enge. Wenn nach
den Forderungen der Gesundheit und eines schönen häuslichen
Lebens Wohnungen hergestellt werden sollten, müßte diese Frage
ganz anders an die Hand genommen werden; da dürfte nicht
wie jetzt nur getröpfelt werden; da müßte zu manchem Dorf
gerade noch so ein Dorf, zu mancher Stadt gerade noch so eine
Stadt hinzugebaut werden, bis man sagen könnte: jetzt wohnen
wir vernünftig. Und wenn es nur so forttröpfelt wie jetzt,
sind wir bei der gewiß auch in diesem Maaße forttröpfelnden
Bevölkerungsvermehrung nach hundert Jahren wieder nicht besser
dran als heute. Es geht auch da gerade, wie der Abgeordnete
Dr. Schade in der preußischen Kammer in diesen Tagen wegen
der Lehrerbesoldung ausgerechnet hat. Wie der Zuwachs der
Besoldung, wenn er nur auf dem langsamen, viele Jahre in
Anspruch nehmenden Wege und nicht durch einen großen Griff
erreicht wird, dann wieder durch die unterdessen im Preise auch
höher gestiegenen Lebensbedürfnisse ausgeglichen wird, so wird
die größere Bevölkerung die allmälig und nur tröpfelnd ver-
mehrten Wohnungen gerade wieder so angefüllt haben wie jetzt.
Da sollte ein großartiger Schritt gethan werden; wir sollten
massenweise, dorfweise, halbstädteweise aus diesen engen stinken-
den Wohnungen ausziehen können. Die Wohnungsfrage ist
viel wichtiger als die orientalische und manche andere Frage, die
die halbe Welt in Brand steckt. Da gehen stumm, ruhmlos
Tausende und Millionen Menschen zu Grunde oder kommen nie
zu einem rechten Dasein. Die Wohnungsfrage ist für die
Menschheit eine Capitalfrage.

Bei der Räumlichkeit fehlt man insbesondere bei den Schlaf-
zimmern, Gängen, Treppen, Abtritten. Für die Schlafzimmer
nimmt man meistens die schlechtesten Räume. Man denkt, zum
Schlafen sei's gut genug; da sieht uns ja Niemand. Wenn wir
nur eine schöne Stube haben, wenn Jemand kommt, und gegen
die Straße eine hübsche Wand. Nein, zum Schlafen ist's nicht

Fuß haben. So geräumig ſind aber nur die Wohnungen der
Reichſten. Die meiſten Menſchen müſſen ſich mit einem viel
kleinern Raum begnügen und können ſich auch begnügen, wenn
für gehörige Erneuerung der Luft geſorgt iſt. Jm Ganzen
aber wohnen die meiſten Menſchen viel zu enge. Wenn nach
den Forderungen der Geſundheit und eines ſchönen häuslichen
Lebens Wohnungen hergeſtellt werden ſollten, müßte dieſe Frage
ganz anders an die Hand genommen werden; da dürfte nicht
wie jetzt nur getröpfelt werden; da müßte zu manchem Dorf
gerade noch ſo ein Dorf, zu mancher Stadt gerade noch ſo eine
Stadt hinzugebaut werden, bis man ſagen könnte: jetzt wohnen
wir vernünftig. Und wenn es nur ſo forttröpfelt wie jetzt,
ſind wir bei der gewiß auch in dieſem Maaße forttröpfelnden
Bevölkerungsvermehrung nach hundert Jahren wieder nicht beſſer
dran als heute. Es geht auch da gerade, wie der Abgeordnete
Dr. Schade in der preußiſchen Kammer in dieſen Tagen wegen
der Lehrerbeſoldung ausgerechnet hat. Wie der Zuwachs der
Beſoldung, wenn er nur auf dem langſamen, viele Jahre in
Anſpruch nehmenden Wege und nicht durch einen großen Griff
erreicht wird, dann wieder durch die unterdeſſen im Preiſe auch
höher geſtiegenen Lebensbedürfniſſe ausgeglichen wird, ſo wird
die größere Bevölkerung die allmälig und nur tröpfelnd ver-
mehrten Wohnungen gerade wieder ſo angefüllt haben wie jetzt.
Da ſollte ein großartiger Schritt gethan werden; wir ſollten
maſſenweiſe, dorfweiſe, halbſtädteweiſe aus dieſen engen ſtinken-
den Wohnungen ausziehen können. Die Wohnungsfrage iſt
viel wichtiger als die orientaliſche und manche andere Frage, die
die halbe Welt in Brand ſteckt. Da gehen ſtumm, ruhmlos
Tauſende und Millionen Menſchen zu Grunde oder kommen nie
zu einem rechten Daſein. Die Wohnungsfrage iſt für die
Menſchheit eine Capitalfrage.

Bei der Räumlichkeit fehlt man insbeſondere bei den Schlaf-
zimmern, Gängen, Treppen, Abtritten. Für die Schlafzimmer
nimmt man meiſtens die ſchlechteſten Räume. Man denkt, zum
Schlafen ſei's gut genug; da ſieht uns ja Niemand. Wenn wir
nur eine ſchöne Stube haben, wenn Jemand kommt, und gegen
die Straße eine hübſche Wand. Nein, zum Schlafen iſt's nicht

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[41/0041] Fuß haben. So geräumig ſind aber nur die Wohnungen der Reichſten. Die meiſten Menſchen müſſen ſich mit einem viel kleinern Raum begnügen und können ſich auch begnügen, wenn für gehörige Erneuerung der Luft geſorgt iſt. Jm Ganzen aber wohnen die meiſten Menſchen viel zu enge. Wenn nach den Forderungen der Geſundheit und eines ſchönen häuslichen Lebens Wohnungen hergeſtellt werden ſollten, müßte dieſe Frage ganz anders an die Hand genommen werden; da dürfte nicht wie jetzt nur getröpfelt werden; da müßte zu manchem Dorf gerade noch ſo ein Dorf, zu mancher Stadt gerade noch ſo eine Stadt hinzugebaut werden, bis man ſagen könnte: jetzt wohnen wir vernünftig. Und wenn es nur ſo forttröpfelt wie jetzt, ſind wir bei der gewiß auch in dieſem Maaße forttröpfelnden Bevölkerungsvermehrung nach hundert Jahren wieder nicht beſſer dran als heute. Es geht auch da gerade, wie der Abgeordnete Dr. Schade in der preußiſchen Kammer in dieſen Tagen wegen der Lehrerbeſoldung ausgerechnet hat. Wie der Zuwachs der Beſoldung, wenn er nur auf dem langſamen, viele Jahre in Anſpruch nehmenden Wege und nicht durch einen großen Griff erreicht wird, dann wieder durch die unterdeſſen im Preiſe auch höher geſtiegenen Lebensbedürfniſſe ausgeglichen wird, ſo wird die größere Bevölkerung die allmälig und nur tröpfelnd ver- mehrten Wohnungen gerade wieder ſo angefüllt haben wie jetzt. Da ſollte ein großartiger Schritt gethan werden; wir ſollten maſſenweiſe, dorfweiſe, halbſtädteweiſe aus dieſen engen ſtinken- den Wohnungen ausziehen können. Die Wohnungsfrage iſt viel wichtiger als die orientaliſche und manche andere Frage, die die halbe Welt in Brand ſteckt. Da gehen ſtumm, ruhmlos Tauſende und Millionen Menſchen zu Grunde oder kommen nie zu einem rechten Daſein. Die Wohnungsfrage iſt für die Menſchheit eine Capitalfrage. Bei der Räumlichkeit fehlt man insbeſondere bei den Schlaf- zimmern, Gängen, Treppen, Abtritten. Für die Schlafzimmer nimmt man meiſtens die ſchlechteſten Räume. Man denkt, zum Schlafen ſei's gut genug; da ſieht uns ja Niemand. Wenn wir nur eine ſchöne Stube haben, wenn Jemand kommt, und gegen die Straße eine hübſche Wand. Nein, zum Schlafen iſt's nicht

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Zitationshilfe: Becker, Bernhard: Wie Arbeiterwohnungen gut und gesund einzurichten und zu erhalten seien. Basel, 1860, S. 41. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/becker_arbeiter_1860/41>, abgerufen am 22.11.2024.