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Becker, Bernhard: Wie Arbeiterwohnungen gut und gesund einzurichten und zu erhalten seien. Basel, 1860.

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Raume ist. Ziegel oder Schieferplatten oder Steine oder Bretter
bedecken manchmal besser oder schlechter den Boden dieser Räume.
Strohdächer, die für allerhand Ungeziefer eine willkommene
Herberge sind, Strohdächer mit Moos und andern Pflanzen
überwachsen, durch welche der Rauch ohne Kamin durch aller-
hand Lücken überall durchpassieren muß; Strohdächer, die oft
tief über die niedern Fenster herunter hangen und Licht und
Luft der drunter kaum sichtbaren Wohnung abschneiden, haben
wir auch in der Schweiz. Auf dem Lande sind in ärmern Ort-
schaften oft Häuser, alte hölzerne oder gemauerte Häuser, in
denen 10 und 12 Haushaltungen, 50 und 60 Personen zu-
sammengepreßt unter einem Dache wohnen; drei und vier Ehe-
betten prangen oft neben einander auf einer Kammer. Ja es
kommt vor, daß alte kränkliche Eltern, kranke Personen, die
vielleicht jahrelang so zu sagen ohne Schlaf die Nächte zubringen,
ihre Betten dicht neben den Betten verheiratheter Kinder oder
Geschwister haben. Ekelhafteres kann ich mir nicht leicht etwas
denken. Land und Gesundheit, Bauernbevölkerung oder ärmere
Landbevölkerung und vernünftige Sorge für Leben und Gesund-
heit sind noch lange nicht dasselbe. Wie viel Kinder sterben
an roher oder keiner Behandlung. Wie manche Krankheit wird
durch Fahrläßigkeit bösartig und unheilbar. Wie manches Leben
geht zu Grunde, das durch zeitige Hülfe gerettet werden könnte.
Und sind wir in der Schweiz, was wir mit Dank gegen Gott
und mit etwelchem Stolz aussprechen wollen, auch noch lange
nicht in derselben schlimmen Lage, in der sich die ärmere Be-
völkerung großer Weltstädte befindet, sollen wir deßwegen die
Hände gleichgültig in den Schooß legen? sollen wir deßwegen
nicht Hand anlegen wollen, auch die kleinern Schäden wegzu-
bringen? Ein weites Gebiet mit großen Erfolgen liegt auch
uns offen. Ja die Frage: wie man am besten und gesundesten
wohne, hat auch für uns eine große Bedeutung.

Die Frage ist zunächst gestellt mit Rücksicht auf die arbei-
tenden
Classen. Jch will bei dieser Rücksicht auch bleiben;
aber ich erlaube mir, einige Bemerkungen dazu zu machen.
Die Ansicht habe ich nicht: Warum soll die Gesellschaft als
solche sich besonders mit diesem Ausschnitt der unbemittelten

Raume iſt. Ziegel oder Schieferplatten oder Steine oder Bretter
bedecken manchmal beſſer oder ſchlechter den Boden dieſer Räume.
Strohdächer, die für allerhand Ungeziefer eine willkommene
Herberge ſind, Strohdächer mit Moos und andern Pflanzen
überwachſen, durch welche der Rauch ohne Kamin durch aller-
hand Lücken überall durchpaſſieren muß; Strohdächer, die oft
tief über die niedern Fenſter herunter hangen und Licht und
Luft der drunter kaum ſichtbaren Wohnung abſchneiden, haben
wir auch in der Schweiz. Auf dem Lande ſind in ärmern Ort-
ſchaften oft Häuſer, alte hölzerne oder gemauerte Häuſer, in
denen 10 und 12 Haushaltungen, 50 und 60 Perſonen zu-
ſammengepreßt unter einem Dache wohnen; drei und vier Ehe-
betten prangen oft neben einander auf einer Kammer. Ja es
kommt vor, daß alte kränkliche Eltern, kranke Perſonen, die
vielleicht jahrelang ſo zu ſagen ohne Schlaf die Nächte zubringen,
ihre Betten dicht neben den Betten verheiratheter Kinder oder
Geſchwiſter haben. Ekelhafteres kann ich mir nicht leicht etwas
denken. Land und Geſundheit, Bauernbevölkerung oder ärmere
Landbevölkerung und vernünftige Sorge für Leben und Geſund-
heit ſind noch lange nicht daſſelbe. Wie viel Kinder ſterben
an roher oder keiner Behandlung. Wie manche Krankheit wird
durch Fahrläßigkeit bösartig und unheilbar. Wie manches Leben
geht zu Grunde, das durch zeitige Hülfe gerettet werden könnte.
Und ſind wir in der Schweiz, was wir mit Dank gegen Gott
und mit etwelchem Stolz ausſprechen wollen, auch noch lange
nicht in derſelben ſchlimmen Lage, in der ſich die ärmere Be-
völkerung großer Weltſtädte befindet, ſollen wir deßwegen die
Hände gleichgültig in den Schooß legen? ſollen wir deßwegen
nicht Hand anlegen wollen, auch die kleinern Schäden wegzu-
bringen? Ein weites Gebiet mit großen Erfolgen liegt auch
uns offen. Ja die Frage: wie man am beſten und geſundeſten
wohne, hat auch für uns eine große Bedeutung.

Die Frage iſt zunächſt geſtellt mit Rückſicht auf die arbei-
tenden
Claſſen. Jch will bei dieſer Rückſicht auch bleiben;
aber ich erlaube mir, einige Bemerkungen dazu zu machen.
Die Anſicht habe ich nicht: Warum ſoll die Geſellſchaft als
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[26/0026] Raume iſt. Ziegel oder Schieferplatten oder Steine oder Bretter bedecken manchmal beſſer oder ſchlechter den Boden dieſer Räume. Strohdächer, die für allerhand Ungeziefer eine willkommene Herberge ſind, Strohdächer mit Moos und andern Pflanzen überwachſen, durch welche der Rauch ohne Kamin durch aller- hand Lücken überall durchpaſſieren muß; Strohdächer, die oft tief über die niedern Fenſter herunter hangen und Licht und Luft der drunter kaum ſichtbaren Wohnung abſchneiden, haben wir auch in der Schweiz. Auf dem Lande ſind in ärmern Ort- ſchaften oft Häuſer, alte hölzerne oder gemauerte Häuſer, in denen 10 und 12 Haushaltungen, 50 und 60 Perſonen zu- ſammengepreßt unter einem Dache wohnen; drei und vier Ehe- betten prangen oft neben einander auf einer Kammer. Ja es kommt vor, daß alte kränkliche Eltern, kranke Perſonen, die vielleicht jahrelang ſo zu ſagen ohne Schlaf die Nächte zubringen, ihre Betten dicht neben den Betten verheiratheter Kinder oder Geſchwiſter haben. Ekelhafteres kann ich mir nicht leicht etwas denken. Land und Geſundheit, Bauernbevölkerung oder ärmere Landbevölkerung und vernünftige Sorge für Leben und Geſund- heit ſind noch lange nicht daſſelbe. Wie viel Kinder ſterben an roher oder keiner Behandlung. Wie manche Krankheit wird durch Fahrläßigkeit bösartig und unheilbar. Wie manches Leben geht zu Grunde, das durch zeitige Hülfe gerettet werden könnte. Und ſind wir in der Schweiz, was wir mit Dank gegen Gott und mit etwelchem Stolz ausſprechen wollen, auch noch lange nicht in derſelben ſchlimmen Lage, in der ſich die ärmere Be- völkerung großer Weltſtädte befindet, ſollen wir deßwegen die Hände gleichgültig in den Schooß legen? ſollen wir deßwegen nicht Hand anlegen wollen, auch die kleinern Schäden wegzu- bringen? Ein weites Gebiet mit großen Erfolgen liegt auch uns offen. Ja die Frage: wie man am beſten und geſundeſten wohne, hat auch für uns eine große Bedeutung. Die Frage iſt zunächſt geſtellt mit Rückſicht auf die arbei- tenden Claſſen. Jch will bei dieſer Rückſicht auch bleiben; aber ich erlaube mir, einige Bemerkungen dazu zu machen. Die Anſicht habe ich nicht: Warum ſoll die Geſellſchaft als ſolche ſich beſonders mit dieſem Ausſchnitt der unbemittelten

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Zitationshilfe: Becker, Bernhard: Wie Arbeiterwohnungen gut und gesund einzurichten und zu erhalten seien. Basel, 1860, S. 26. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/becker_arbeiter_1860/26>, abgerufen am 23.11.2024.