Den Kohlenverbrauch im Hochofen suchte J. Lowthian Bell theoretisch festzustellen, indem er die Summe der Wärmeeinheiten, welche die einzelnen Vorgänge im Hochofen erfordern, ermittelte und diese durch die Wärmeeinheiten, welche das Einheitsgewicht des Brennstoffes entwickelte, dividierte. P. Tunner, der L. Bells Schrift übersetzt hat, giebt in seinem Bericht über die Eisenindustrie Russ- lands folgendes Beispiel: Es wird eine Gattierung von 30 Prozent Eisengehalt und 60 Prozent Kalkzuschlag angenommen. Der Wind- bedarf pro Tonne Roheisen beträgt:
Kalorien-Ctr.
1. Reduktion des Eisenoxydes 30058
2. Schmelzung von 20 Ctr. Eisen 6600
3. Schmelzung von 60 Ctr. Schlacke 31000
4. Zersetzung des Wassers, der Luft ca. 5500
5. Austreibung der Kohlensäure aus dem Kalkstein 26270
6. Erwärmung des Kühlwassers der Formen ca. 5000
7. Wärmeabgabe an den äusseren Seiten des Ofens ca. 11000
8. Zerlegung der Kohlensäure erzeugt bei der Reduktion 7950
9. Abgang durch die Gichtgase ca. 57000
10. Zerlegung der Kohlensäure aus dem Kalkstein 107000
Zusammen 287378 K.-C.
Da nach englischen Erfahrungen 1 Ctr. Koks im Hochofen 3135 bis 3713 Kaloriencentner entwickelt, so würden 100 Ctr. Roheisen obiger Gattierung 410 Ctr. Koks erfordern.
Betrachten wir den Hochofenbetrieb in Bezug auf seine Produkte, so ging in England jeder Hochofen ausschliesslich auf eine bestimmte Eisensorte, ja ganze Distrikte lieferten nur eine bestimmte Roheisen- sorte. Auf dem Kontinent war dies weit weniger der Fall und nament- lich in Deutschland verlangte man von einem Ofen wo möglich jede beliebige Roheisensorte, die von den Abnehmern bestellt wurde. Dies lag daran, dass in Deutschland die Hütten ihre Eisenerze meistens kiefen und ihnen eine grosse Auswahl verschiedener Erze zur Ver- fügung stand. In England waren ausgedehnte Eisenerzlager mit den Kohlenflözen verbunden oder in nächster Nähe vorhanden. In Deutschland war das nicht der Fall. Infolgedessen arbeiteten die englischen Hochöfen ökonomischer, aber auch einseitiger, schablonen- mässiger. Die schwierigeren Verhältnisse in Deutschland stellten viel grössere Anforderungen an die Intelligenz der Betriebsleiter. Während dies in England meist nur Werkführer (managers) von empirischem Wissen waren, hatten die deutschen Betriebsbeamten eine wissen-
Vorbereitungsarbeiten für den Hochofenbetrieb.
Den Kohlenverbrauch im Hochofen suchte J. Lowthian Bell theoretisch festzustellen, indem er die Summe der Wärmeeinheiten, welche die einzelnen Vorgänge im Hochofen erfordern, ermittelte und diese durch die Wärmeeinheiten, welche das Einheitsgewicht des Brennstoffes entwickelte, dividierte. P. Tunner, der L. Bells Schrift übersetzt hat, giebt in seinem Bericht über die Eisenindustrie Ruſs- lands folgendes Beispiel: Es wird eine Gattierung von 30 Prozent Eisengehalt und 60 Prozent Kalkzuschlag angenommen. Der Wind- bedarf pro Tonne Roheisen beträgt:
Kalorien-Ctr.
1. Reduktion des Eisenoxydes 30058
2. Schmelzung von 20 Ctr. Eisen 6600
3. Schmelzung von 60 Ctr. Schlacke 31000
4. Zersetzung des Wassers, der Luft ca. 5500
5. Austreibung der Kohlensäure aus dem Kalkstein 26270
6. Erwärmung des Kühlwassers der Formen ca. 5000
7. Wärmeabgabe an den äuſseren Seiten des Ofens ca. 11000
8. Zerlegung der Kohlensäure erzeugt bei der Reduktion 7950
9. Abgang durch die Gichtgase ca. 57000
10. Zerlegung der Kohlensäure aus dem Kalkstein 107000
Zusammen 287378 K.-C.
Da nach englischen Erfahrungen 1 Ctr. Koks im Hochofen 3135 bis 3713 Kaloriencentner entwickelt, so würden 100 Ctr. Roheisen obiger Gattierung 410 Ctr. Koks erfordern.
Betrachten wir den Hochofenbetrieb in Bezug auf seine Produkte, so ging in England jeder Hochofen ausschlieſslich auf eine bestimmte Eisensorte, ja ganze Distrikte lieferten nur eine bestimmte Roheisen- sorte. Auf dem Kontinent war dies weit weniger der Fall und nament- lich in Deutschland verlangte man von einem Ofen wo möglich jede beliebige Roheisensorte, die von den Abnehmern bestellt wurde. Dies lag daran, daſs in Deutschland die Hütten ihre Eisenerze meistens kiefen und ihnen eine groſse Auswahl verschiedener Erze zur Ver- fügung stand. In England waren ausgedehnte Eisenerzlager mit den Kohlenflözen verbunden oder in nächster Nähe vorhanden. In Deutschland war das nicht der Fall. Infolgedessen arbeiteten die englischen Hochöfen ökonomischer, aber auch einseitiger, schablonen- mäſsiger. Die schwierigeren Verhältnisse in Deutschland stellten viel gröſsere Anforderungen an die Intelligenz der Betriebsleiter. Während dies in England meist nur Werkführer (managers) von empirischem Wissen waren, hatten die deutschen Betriebsbeamten eine wissen-
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><pbfacs="#f0088"n="72"/><fwplace="top"type="header">Vorbereitungsarbeiten für den Hochofenbetrieb.</fw><lb/><p>Den Kohlenverbrauch im Hochofen suchte J. <hirendition="#g">Lowthian Bell</hi><lb/>
theoretisch festzustellen, indem er die Summe der Wärmeeinheiten,<lb/>
welche die einzelnen Vorgänge im Hochofen erfordern, ermittelte und<lb/>
diese durch die Wärmeeinheiten, welche das Einheitsgewicht des<lb/>
Brennstoffes entwickelte, dividierte. P. <hirendition="#g">Tunner</hi>, der L. <hirendition="#g">Bells</hi> Schrift<lb/>
übersetzt hat, giebt in seinem Bericht über die Eisenindustrie Ruſs-<lb/>
lands folgendes Beispiel: Es wird eine Gattierung von 30 Prozent<lb/>
Eisengehalt und 60 Prozent Kalkzuschlag angenommen. Der Wind-<lb/>
bedarf pro Tonne Roheisen beträgt:</p><lb/><list><item><hirendition="#et">Kalorien-Ctr.</hi></item><lb/><item>1. Reduktion des Eisenoxydes <spacedim="horizontal"/> 30058</item><lb/><item>2. Schmelzung von 20 Ctr. Eisen <spacedim="horizontal"/> 6600</item><lb/><item>3. Schmelzung von 60 Ctr. Schlacke <spacedim="horizontal"/> 31000</item><lb/><item>4. Zersetzung des Wassers, der Luft ca. <spacedim="horizontal"/> 5500</item><lb/><item>5. Austreibung der Kohlensäure aus dem Kalkstein <spacedim="horizontal"/> 26270</item><lb/><item>6. Erwärmung des Kühlwassers der Formen ca. <spacedim="horizontal"/> 5000</item><lb/><item>7. Wärmeabgabe an den äuſseren Seiten des Ofens ca. <spacedim="horizontal"/> 11000</item><lb/><item>8. Zerlegung der Kohlensäure erzeugt bei der Reduktion <spacedim="horizontal"/> 7950</item><lb/><item>9. Abgang durch die Gichtgase ca. <spacedim="horizontal"/> 57000</item><lb/><item>10. Zerlegung der Kohlensäure aus dem Kalkstein <spacedim="horizontal"/><hirendition="#u">107000</hi></item><lb/><item><hirendition="#et">Zusammen 287378 K.-C.</hi></item></list><lb/><p>Da nach englischen Erfahrungen 1 Ctr. Koks im Hochofen 3135<lb/>
bis 3713 Kaloriencentner entwickelt, so würden 100 Ctr. Roheisen<lb/>
obiger Gattierung 410 Ctr. Koks erfordern.</p><lb/><p>Betrachten wir den Hochofenbetrieb in Bezug auf seine <hirendition="#g">Produkte</hi>,<lb/>
so ging in England jeder Hochofen ausschlieſslich auf eine bestimmte<lb/>
Eisensorte, ja ganze Distrikte lieferten nur eine bestimmte Roheisen-<lb/>
sorte. Auf dem Kontinent war dies weit weniger der Fall und nament-<lb/>
lich in Deutschland verlangte man von einem Ofen wo möglich jede<lb/>
beliebige Roheisensorte, die von den Abnehmern bestellt wurde. Dies<lb/>
lag daran, daſs in Deutschland die Hütten ihre Eisenerze meistens<lb/>
kiefen und ihnen eine groſse Auswahl verschiedener Erze zur Ver-<lb/>
fügung stand. In England waren ausgedehnte Eisenerzlager mit<lb/>
den Kohlenflözen verbunden oder in nächster Nähe vorhanden. In<lb/>
Deutschland war das nicht der Fall. Infolgedessen arbeiteten die<lb/>
englischen Hochöfen ökonomischer, aber auch einseitiger, schablonen-<lb/>
mäſsiger. Die schwierigeren Verhältnisse in Deutschland stellten viel<lb/>
gröſsere Anforderungen an die Intelligenz der Betriebsleiter. Während<lb/>
dies in England meist nur Werkführer (managers) von empirischem<lb/>
Wissen waren, hatten die deutschen Betriebsbeamten eine wissen-<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[72/0088]
Vorbereitungsarbeiten für den Hochofenbetrieb.
Den Kohlenverbrauch im Hochofen suchte J. Lowthian Bell
theoretisch festzustellen, indem er die Summe der Wärmeeinheiten,
welche die einzelnen Vorgänge im Hochofen erfordern, ermittelte und
diese durch die Wärmeeinheiten, welche das Einheitsgewicht des
Brennstoffes entwickelte, dividierte. P. Tunner, der L. Bells Schrift
übersetzt hat, giebt in seinem Bericht über die Eisenindustrie Ruſs-
lands folgendes Beispiel: Es wird eine Gattierung von 30 Prozent
Eisengehalt und 60 Prozent Kalkzuschlag angenommen. Der Wind-
bedarf pro Tonne Roheisen beträgt:
Kalorien-Ctr.
1. Reduktion des Eisenoxydes 30058
2. Schmelzung von 20 Ctr. Eisen 6600
3. Schmelzung von 60 Ctr. Schlacke 31000
4. Zersetzung des Wassers, der Luft ca. 5500
5. Austreibung der Kohlensäure aus dem Kalkstein 26270
6. Erwärmung des Kühlwassers der Formen ca. 5000
7. Wärmeabgabe an den äuſseren Seiten des Ofens ca. 11000
8. Zerlegung der Kohlensäure erzeugt bei der Reduktion 7950
9. Abgang durch die Gichtgase ca. 57000
10. Zerlegung der Kohlensäure aus dem Kalkstein 107000
Zusammen 287378 K.-C.
Da nach englischen Erfahrungen 1 Ctr. Koks im Hochofen 3135
bis 3713 Kaloriencentner entwickelt, so würden 100 Ctr. Roheisen
obiger Gattierung 410 Ctr. Koks erfordern.
Betrachten wir den Hochofenbetrieb in Bezug auf seine Produkte,
so ging in England jeder Hochofen ausschlieſslich auf eine bestimmte
Eisensorte, ja ganze Distrikte lieferten nur eine bestimmte Roheisen-
sorte. Auf dem Kontinent war dies weit weniger der Fall und nament-
lich in Deutschland verlangte man von einem Ofen wo möglich jede
beliebige Roheisensorte, die von den Abnehmern bestellt wurde. Dies
lag daran, daſs in Deutschland die Hütten ihre Eisenerze meistens
kiefen und ihnen eine groſse Auswahl verschiedener Erze zur Ver-
fügung stand. In England waren ausgedehnte Eisenerzlager mit
den Kohlenflözen verbunden oder in nächster Nähe vorhanden. In
Deutschland war das nicht der Fall. Infolgedessen arbeiteten die
englischen Hochöfen ökonomischer, aber auch einseitiger, schablonen-
mäſsiger. Die schwierigeren Verhältnisse in Deutschland stellten viel
gröſsere Anforderungen an die Intelligenz der Betriebsleiter. Während
dies in England meist nur Werkführer (managers) von empirischem
Wissen waren, hatten die deutschen Betriebsbeamten eine wissen-
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Beck, Ludwig: Die Geschichte des Eisens. Bd. 5: Das XIX. Jahrhundert von 1860 bis zum Schluss. Braunschweig, 1903, S. 72. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/beck_eisen05_1903/88>, abgerufen am 23.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.