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Beck, Ludwig: Die Geschichte des Eisens. Bd. 5: Das XIX. Jahrhundert von 1860 bis zum Schluss. Braunschweig, 1903.

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Vorbereitungsarbeiten für den Hochofenbetrieb.

Die Erweiterung der runden Hochofengestelle hatte trotz höherer
Windpressung und Vermehrung der Formen enge Grenzen, da der
Schmelzpunkt (Focus), welcher sich vor jeder einzelnen Form bildete,
wie Tunner nachgewiesen hatte, sich nicht weit in das Innere des
Ofens erstreckte. Tunner hatte einen Abstand von 11/2 Fuss als
Maximum angegeben. Es lag deshalb nahe, durch Abänderung des
kreisförmigen Querschnitts des Hochofengestells und Verwandlung
desselben in eine längliche Gestalt bessere Verteilung und Ausnutzung
der Wärme zu erzielen. Dieses Streben einerseits und das von
Truran angeregte Streben nach Erweiterung der Hochofengichten
führte den russischen General Wladimir Raschette Anfang der
sechziger Jahre zu der eigentümlichen Konstruktion, welche unter
dem Namen Raschetteofen eine Zeit lang das allgemeine Interesse der
Hochofentechniker auf sich lenkte. Diese Öfen hatten einen länglich
rechtwinkligen Querschnitt und erweiterten sich bis zur Gicht, sahen
also mehr den Röstöfen als den Hochöfen gleich.

Raschette war Direktor der grossen Kupfer- und Eisenhütten-
werke des Fürsten Demidoff zu Nischne-Tagilsk. Er hatte seinen
neuen Ofen ursprünglich für den Kupferschmelzprozess konstruiert.
Nachdem derselbe sich hierfür sehr gut bewährt hatte, wendete er ihn
auch zum Eisenschmelzen an, angeblich ebenfalls mit bestem Erfolg.
Er erwarb Patente für seine Konstruktion in Russland, Frankreich,
England, Belgien, Österreich, Schweden u. s. w. und stellte ein Modell
seines Ofens 1862 in der Weltausstellung in London aus. Dasselbe
wurde von der Jury mit der Preismedaille ausgezeichnet und erregte
die Neugier der Fachmänner. P. Tunner sprach sich günstig über
die Konstruktion aus, insofern sie auf richtigen theoretischen Prinzipien
beruhe, namentlich eine bessere Windverteilung als die seitherigen
Hochöfen zeige. Schinz war von der Vorzüglichkeit des neuen Ofens
überzeugt, schrieb (ebenfalls 1862) seine grosse Wirkung ausser der
Windverteilung der geringen Wärmeabgabe der Ofenwände nach aussen
infolge der vielen Kanäle im Rauhmauerwerk zu. Er erklärte ihn
für einen Universalofen. W. Köhler sprach sich in demselben
Jahre sehr überzeugt über die Vorzüge des Raschetteofens aus.

Raschette und sein Assistent und Vertreter für Deutschland,
Carl Aubel, bezeichneten den neuen Ofen als "Patent-Normal- und
Universal-Schachtofen" und liessen es an Reklame für denselben nicht
fehlen.

Die Konstruktion des Raschetteofens ist aus den Fig. 40 bis 43
(a. f. S.) leicht zu verstehen. Der hier gezeichnete Ofen hat 16 Formen,

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Vorbereitungsarbeiten für den Hochofenbetrieb.

Die Erweiterung der runden Hochofengestelle hatte trotz höherer
Windpressung und Vermehrung der Formen enge Grenzen, da der
Schmelzpunkt (Focus), welcher sich vor jeder einzelnen Form bildete,
wie Tunner nachgewiesen hatte, sich nicht weit in das Innere des
Ofens erstreckte. Tunner hatte einen Abstand von 1½ Fuſs als
Maximum angegeben. Es lag deshalb nahe, durch Abänderung des
kreisförmigen Querschnitts des Hochofengestells und Verwandlung
desselben in eine längliche Gestalt bessere Verteilung und Ausnutzung
der Wärme zu erzielen. Dieses Streben einerseits und das von
Truran angeregte Streben nach Erweiterung der Hochofengichten
führte den russischen General Wladimir Raschette Anfang der
sechziger Jahre zu der eigentümlichen Konstruktion, welche unter
dem Namen Raschetteofen eine Zeit lang das allgemeine Interesse der
Hochofentechniker auf sich lenkte. Diese Öfen hatten einen länglich
rechtwinkligen Querschnitt und erweiterten sich bis zur Gicht, sahen
also mehr den Röstöfen als den Hochöfen gleich.

Raschette war Direktor der groſsen Kupfer- und Eisenhütten-
werke des Fürsten Demidoff zu Nischne-Tagilsk. Er hatte seinen
neuen Ofen ursprünglich für den Kupferschmelzprozeſs konstruiert.
Nachdem derselbe sich hierfür sehr gut bewährt hatte, wendete er ihn
auch zum Eisenschmelzen an, angeblich ebenfalls mit bestem Erfolg.
Er erwarb Patente für seine Konstruktion in Ruſsland, Frankreich,
England, Belgien, Österreich, Schweden u. s. w. und stellte ein Modell
seines Ofens 1862 in der Weltausstellung in London aus. Dasselbe
wurde von der Jury mit der Preismedaille ausgezeichnet und erregte
die Neugier der Fachmänner. P. Tunner sprach sich günstig über
die Konstruktion aus, insofern sie auf richtigen theoretischen Prinzipien
beruhe, namentlich eine bessere Windverteilung als die seitherigen
Hochöfen zeige. Schinz war von der Vorzüglichkeit des neuen Ofens
überzeugt, schrieb (ebenfalls 1862) seine groſse Wirkung auſser der
Windverteilung der geringen Wärmeabgabe der Ofenwände nach auſsen
infolge der vielen Kanäle im Rauhmauerwerk zu. Er erklärte ihn
für einen Universalofen. W. Köhler sprach sich in demselben
Jahre sehr überzeugt über die Vorzüge des Raschetteofens aus.

Raschette und sein Assistent und Vertreter für Deutschland,
Carl Aubel, bezeichneten den neuen Ofen als „Patent-Normal- und
Universal-Schachtofen“ und lieſsen es an Reklame für denselben nicht
fehlen.

Die Konstruktion des Raschetteofens ist aus den Fig. 40 bis 43
(a. f. S.) leicht zu verstehen. Der hier gezeichnete Ofen hat 16 Formen,

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[51/0067] Vorbereitungsarbeiten für den Hochofenbetrieb. Die Erweiterung der runden Hochofengestelle hatte trotz höherer Windpressung und Vermehrung der Formen enge Grenzen, da der Schmelzpunkt (Focus), welcher sich vor jeder einzelnen Form bildete, wie Tunner nachgewiesen hatte, sich nicht weit in das Innere des Ofens erstreckte. Tunner hatte einen Abstand von 1½ Fuſs als Maximum angegeben. Es lag deshalb nahe, durch Abänderung des kreisförmigen Querschnitts des Hochofengestells und Verwandlung desselben in eine längliche Gestalt bessere Verteilung und Ausnutzung der Wärme zu erzielen. Dieses Streben einerseits und das von Truran angeregte Streben nach Erweiterung der Hochofengichten führte den russischen General Wladimir Raschette Anfang der sechziger Jahre zu der eigentümlichen Konstruktion, welche unter dem Namen Raschetteofen eine Zeit lang das allgemeine Interesse der Hochofentechniker auf sich lenkte. Diese Öfen hatten einen länglich rechtwinkligen Querschnitt und erweiterten sich bis zur Gicht, sahen also mehr den Röstöfen als den Hochöfen gleich. Raschette war Direktor der groſsen Kupfer- und Eisenhütten- werke des Fürsten Demidoff zu Nischne-Tagilsk. Er hatte seinen neuen Ofen ursprünglich für den Kupferschmelzprozeſs konstruiert. Nachdem derselbe sich hierfür sehr gut bewährt hatte, wendete er ihn auch zum Eisenschmelzen an, angeblich ebenfalls mit bestem Erfolg. Er erwarb Patente für seine Konstruktion in Ruſsland, Frankreich, England, Belgien, Österreich, Schweden u. s. w. und stellte ein Modell seines Ofens 1862 in der Weltausstellung in London aus. Dasselbe wurde von der Jury mit der Preismedaille ausgezeichnet und erregte die Neugier der Fachmänner. P. Tunner sprach sich günstig über die Konstruktion aus, insofern sie auf richtigen theoretischen Prinzipien beruhe, namentlich eine bessere Windverteilung als die seitherigen Hochöfen zeige. Schinz war von der Vorzüglichkeit des neuen Ofens überzeugt, schrieb (ebenfalls 1862) seine groſse Wirkung auſser der Windverteilung der geringen Wärmeabgabe der Ofenwände nach auſsen infolge der vielen Kanäle im Rauhmauerwerk zu. Er erklärte ihn für einen Universalofen. W. Köhler sprach sich in demselben Jahre sehr überzeugt über die Vorzüge des Raschetteofens aus. Raschette und sein Assistent und Vertreter für Deutschland, Carl Aubel, bezeichneten den neuen Ofen als „Patent-Normal- und Universal-Schachtofen“ und lieſsen es an Reklame für denselben nicht fehlen. Die Konstruktion des Raschetteofens ist aus den Fig. 40 bis 43 (a. f. S.) leicht zu verstehen. Der hier gezeichnete Ofen hat 16 Formen, 4*

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Zitationshilfe: Beck, Ludwig: Die Geschichte des Eisens. Bd. 5: Das XIX. Jahrhundert von 1860 bis zum Schluss. Braunschweig, 1903, S. 51. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/beck_eisen05_1903/67>, abgerufen am 23.11.2024.