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Beck, Ludwig: Die Geschichte des Eisens. Bd. 5: Das XIX. Jahrhundert von 1860 bis zum Schluss. Braunschweig, 1903.

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Der saure oder Bessemerprozess bis 1880.
Sommer 1874 50 bis 60 Hitzen weisses Roheisen mit heissem Wind
von etwa 700° zu frischen, doch wurden dabei die Böden so rasch
zerstört, dass man die Versuche nicht fortsetzte.

In den Vereinigten Staaten erfuhr die Produktion der Konverter
durch die Verbesserung der Einrichtungen, besonders durch das rasche
Auswechseln der Böden und den zweckentsprechenden mechanischen
Betrieb, eine fortwährende Steigerung. 1872 erreichte man auf den
Cleveland-Eisenwerken bereits 24 Chargen zu 6 Tonnen in 24 Stunden.
1874 machte John A. Griswold am 13. Februar 50 Chargen von
5 Tonnen mit 268 Blöcken in 24 Stunden. Das Umschmelzen der
erforderlichen Roheisenmenge geschah in zwei Kupolöfen mit Sturtevant-
gebläsen.

Die amerikanischen Kupolöfen waren meist elliptisch 6,5 x 3,5 Fuss
im Lichten und 14 Fuss hoch. Sie hatten sechs Düsen von 200 Quadrat-
zoll Düsenfläche und schmolzen in neun Stunden 1000 Centner.

Auf dem österreichischen Stahlwerk zu Neuberg führten Gustav
Katzetl
und Albert Sailler 1873 ein Verfahren ein, wonach die
Rückkohlung des Stahls, das Fertigmachen, nicht in der Birne, sondern
in einem Flammofen (Martinofen) erfolgte. In diesen wurde das etwas
überblasene Metall ausgegossen, Spiegeleisen zugesetzt und dann etwa
zwei Stunden abstehen lassen. Der so erhaltene Stahl war sehr gut für
Klingen, Gewehrläufe, Draht u. s. w.

In Frankreich stellte man 1874 durch Zusatz von 42- bis 70 pro-
zentigem Ferromangan ein weiches Bessemermetall mit nur 0,15 Prozent
Kohlenstoff dar. Dieses kam unter dem Namen Metal fondu in den
Handel. Es war nicht härtbar, hatte aber eine hohe Festigkeit und
eignete sich besonders für Blech, Draht, Achsen und Maschinenteile.

In Deutschland war damals die Königin Marienhütte bei Zwickau
das einzige Werk, welches ohne Rückkohlung durch Unterbrechung
des Blasens Bessemerstahl erzeugte. Das Spektroskop und Schöpf-
proben gaben den richtigen Moment an. Beim Guss der Stahlblöcke
hatte sich das Giessen durch den aufsteigenden Strom und unter
Druck sehr bewährt. Bei ersterem hatte man schon um 1872 zu
Seraing 7 bis 8 Prozent mehr dichte Blöcke erhalten und das Giess-
verfahren von Sir Jos. Whitworth unter hydraulischem Druck war
eine der wichtigsten Verbesserungen der Stahlfabrikation. Zum Guss
mit aufsteigendem Strom konstruierte man Gruppenformen, durch
welche eine Anzahl schwächerer Blöcke gleichzeitig gegossen wurde.
Eine solche von Pink in Hörde 1874 eingeführte bestand aus einem
hohlen Schmiedeeisenkörper mit Eingussrohr, wovon am Boden die

Der saure oder Bessemerprozeſs bis 1880.
Sommer 1874 50 bis 60 Hitzen weiſses Roheisen mit heiſsem Wind
von etwa 700° zu frischen, doch wurden dabei die Böden so rasch
zerstört, daſs man die Versuche nicht fortsetzte.

In den Vereinigten Staaten erfuhr die Produktion der Konverter
durch die Verbesserung der Einrichtungen, besonders durch das rasche
Auswechseln der Böden und den zweckentsprechenden mechanischen
Betrieb, eine fortwährende Steigerung. 1872 erreichte man auf den
Cleveland-Eisenwerken bereits 24 Chargen zu 6 Tonnen in 24 Stunden.
1874 machte John A. Griswold am 13. Februar 50 Chargen von
5 Tonnen mit 268 Blöcken in 24 Stunden. Das Umschmelzen der
erforderlichen Roheisenmenge geschah in zwei Kupolöfen mit Sturtevant-
gebläsen.

Die amerikanischen Kupolöfen waren meist elliptisch 6,5 × 3,5 Fuſs
im Lichten und 14 Fuſs hoch. Sie hatten sechs Düsen von 200 Quadrat-
zoll Düsenfläche und schmolzen in neun Stunden 1000 Centner.

Auf dem österreichischen Stahlwerk zu Neuberg führten Gustav
Katzetl
und Albert Sailler 1873 ein Verfahren ein, wonach die
Rückkohlung des Stahls, das Fertigmachen, nicht in der Birne, sondern
in einem Flammofen (Martinofen) erfolgte. In diesen wurde das etwas
überblasene Metall ausgegossen, Spiegeleisen zugesetzt und dann etwa
zwei Stunden abstehen lassen. Der so erhaltene Stahl war sehr gut für
Klingen, Gewehrläufe, Draht u. s. w.

In Frankreich stellte man 1874 durch Zusatz von 42- bis 70 pro-
zentigem Ferromangan ein weiches Bessemermetall mit nur 0,15 Prozent
Kohlenstoff dar. Dieses kam unter dem Namen Métal fondu in den
Handel. Es war nicht härtbar, hatte aber eine hohe Festigkeit und
eignete sich besonders für Blech, Draht, Achsen und Maschinenteile.

In Deutschland war damals die Königin Marienhütte bei Zwickau
das einzige Werk, welches ohne Rückkohlung durch Unterbrechung
des Blasens Bessemerstahl erzeugte. Das Spektroskop und Schöpf-
proben gaben den richtigen Moment an. Beim Guſs der Stahlblöcke
hatte sich das Gieſsen durch den aufsteigenden Strom und unter
Druck sehr bewährt. Bei ersterem hatte man schon um 1872 zu
Seraing 7 bis 8 Prozent mehr dichte Blöcke erhalten und das Gieſs-
verfahren von Sir Jos. Whitworth unter hydraulischem Druck war
eine der wichtigsten Verbesserungen der Stahlfabrikation. Zum Guſs
mit aufsteigendem Strom konstruierte man Gruppenformen, durch
welche eine Anzahl schwächerer Blöcke gleichzeitig gegossen wurde.
Eine solche von Pink in Hörde 1874 eingeführte bestand aus einem
hohlen Schmiedeeisenkörper mit Einguſsrohr, wovon am Boden die

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[624/0640] Der saure oder Bessemerprozeſs bis 1880. Sommer 1874 50 bis 60 Hitzen weiſses Roheisen mit heiſsem Wind von etwa 700° zu frischen, doch wurden dabei die Böden so rasch zerstört, daſs man die Versuche nicht fortsetzte. In den Vereinigten Staaten erfuhr die Produktion der Konverter durch die Verbesserung der Einrichtungen, besonders durch das rasche Auswechseln der Böden und den zweckentsprechenden mechanischen Betrieb, eine fortwährende Steigerung. 1872 erreichte man auf den Cleveland-Eisenwerken bereits 24 Chargen zu 6 Tonnen in 24 Stunden. 1874 machte John A. Griswold am 13. Februar 50 Chargen von 5 Tonnen mit 268 Blöcken in 24 Stunden. Das Umschmelzen der erforderlichen Roheisenmenge geschah in zwei Kupolöfen mit Sturtevant- gebläsen. Die amerikanischen Kupolöfen waren meist elliptisch 6,5 × 3,5 Fuſs im Lichten und 14 Fuſs hoch. Sie hatten sechs Düsen von 200 Quadrat- zoll Düsenfläche und schmolzen in neun Stunden 1000 Centner. Auf dem österreichischen Stahlwerk zu Neuberg führten Gustav Katzetl und Albert Sailler 1873 ein Verfahren ein, wonach die Rückkohlung des Stahls, das Fertigmachen, nicht in der Birne, sondern in einem Flammofen (Martinofen) erfolgte. In diesen wurde das etwas überblasene Metall ausgegossen, Spiegeleisen zugesetzt und dann etwa zwei Stunden abstehen lassen. Der so erhaltene Stahl war sehr gut für Klingen, Gewehrläufe, Draht u. s. w. In Frankreich stellte man 1874 durch Zusatz von 42- bis 70 pro- zentigem Ferromangan ein weiches Bessemermetall mit nur 0,15 Prozent Kohlenstoff dar. Dieses kam unter dem Namen Métal fondu in den Handel. Es war nicht härtbar, hatte aber eine hohe Festigkeit und eignete sich besonders für Blech, Draht, Achsen und Maschinenteile. In Deutschland war damals die Königin Marienhütte bei Zwickau das einzige Werk, welches ohne Rückkohlung durch Unterbrechung des Blasens Bessemerstahl erzeugte. Das Spektroskop und Schöpf- proben gaben den richtigen Moment an. Beim Guſs der Stahlblöcke hatte sich das Gieſsen durch den aufsteigenden Strom und unter Druck sehr bewährt. Bei ersterem hatte man schon um 1872 zu Seraing 7 bis 8 Prozent mehr dichte Blöcke erhalten und das Gieſs- verfahren von Sir Jos. Whitworth unter hydraulischem Druck war eine der wichtigsten Verbesserungen der Stahlfabrikation. Zum Guſs mit aufsteigendem Strom konstruierte man Gruppenformen, durch welche eine Anzahl schwächerer Blöcke gleichzeitig gegossen wurde. Eine solche von Pink in Hörde 1874 eingeführte bestand aus einem hohlen Schmiedeeisenkörper mit Einguſsrohr, wovon am Boden die

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Zitationshilfe: Beck, Ludwig: Die Geschichte des Eisens. Bd. 5: Das XIX. Jahrhundert von 1860 bis zum Schluss. Braunschweig, 1903, S. 624. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/beck_eisen05_1903/640>, abgerufen am 22.11.2024.