bezeichnet wurde. Die Producenten und die Händler hatten aber das entgegengesetzte Interesse und da letztere das Ohr des Publikums besassen, so bürgerte sich der Name Bessemerstahl für alle Produkte des Prozesses, ob hart oder weich, trotz des Ankämpfens dagegen, ein. Die Vertreter der Wissenschaft und Sir Henry Bessemer selbst erkannten dem Widerspruch der Gussstahlfabrikanten eine gewisse Berechtigung zu. Sie versuchten die Bezeichnung Bessemerstahl durch Bessemermetall und Homogenmetall zu ersetzen. Dieser Versuch blieb aber ohne Erfolg, da man im Handel und Verkehr an der bequemen Bezeichnung Stahl festhielt. Anfangs, solange die Er- zeugung eines stahlähnlichen Produktes das ausschliessliche Bestreben des Bessemerprozesses war, konnte man sich noch bei dieser Bezeich- nung beruhigen, nachdem man aber bei der weiteren Entwickelung des Verfahrens dazu überging, absichtlich weiches Eisen von geringerem Kohlenstoffgehalt zu erzeugen, musste die Bezeichnung auch dieses Materials als Stahl zu Verwirrungen führen. Der wissenschaftliche Begriff Stahl deckte sich nicht mehr mit der Anwendung des Aus- drucks in der Praxis. Man suchte deshalb bereits in den sechziger Jahren nach einer anderen Definition für den Begriff Stahl und nach einer anderen Einteilung der Eisen- und Stahlsorten.
Ad. Greiner, Direktor zu Seraing, machte 1869 den Vorschlag, als Stahl alles schmiedbare Eisen, welches vorher geflossen gewesen sei, als Schmiedeeisen alles, welches aus Luppen, d. h. aus einem teigartigen Zustande erhalten worden sei, zu bezeichnen. Gegen diese radikale Reform, welche allerdings dem Begriff Stahl grosse Gewalt anthat, erhoben Gruner in Frankreich, J. Percy und Dr. W. Siemens in England, H. M. Howe in Amerika, Tunner in Österreich und andere Widerspruch. Dennoch fand der Gedanke, dass der Ent- stehungszustand des Eisens die Grundlage der Einteilung bilden müsse, mehr und mehr Anklang. Dr. H. Wedding hatte in Deutschland bereits 1869 für alle aus flüssigem Zustand gebildete Eisensorten die bezeichnenden Namen "Flussstahl" und "Flusseisen" in Vorschlag gebracht, die sich bald einbürgerten. Den aus Erzen erhaltenen Stahl bezeichnete er als "Erzstahl", den Cementstahl als "Kohlen- stahl"; letztere Bezeichnung fand jedoch keinen Anklang.
Je mehr die Verwendung von "Flussstahl" zunahm, je dringender wurde das Bedürfnis für eine allgemein gültige Bezeichnung und Ein- teilung der Eisensorten. Im Jahre 1876 trat deshalb bei Gelegenheit der amerikanischen Weltausstellung in Philadelphia ein Komitee zur Regelung dieser Frage zusammen. Darin waren vertreten England
Einleitung 1870 bis 1900.
bezeichnet wurde. Die Producenten und die Händler hatten aber das entgegengesetzte Interesse und da letztere das Ohr des Publikums besaſsen, so bürgerte sich der Name Bessemerstahl für alle Produkte des Prozesses, ob hart oder weich, trotz des Ankämpfens dagegen, ein. Die Vertreter der Wissenschaft und Sir Henry Bessemer selbst erkannten dem Widerspruch der Guſsstahlfabrikanten eine gewisse Berechtigung zu. Sie versuchten die Bezeichnung Bessemerstahl durch Bessemermetall und Homogenmetall zu ersetzen. Dieser Versuch blieb aber ohne Erfolg, da man im Handel und Verkehr an der bequemen Bezeichnung Stahl festhielt. Anfangs, solange die Er- zeugung eines stahlähnlichen Produktes das ausschlieſsliche Bestreben des Bessemerprozesses war, konnte man sich noch bei dieser Bezeich- nung beruhigen, nachdem man aber bei der weiteren Entwickelung des Verfahrens dazu überging, absichtlich weiches Eisen von geringerem Kohlenstoffgehalt zu erzeugen, muſste die Bezeichnung auch dieses Materials als Stahl zu Verwirrungen führen. Der wissenschaftliche Begriff Stahl deckte sich nicht mehr mit der Anwendung des Aus- drucks in der Praxis. Man suchte deshalb bereits in den sechziger Jahren nach einer anderen Definition für den Begriff Stahl und nach einer anderen Einteilung der Eisen- und Stahlsorten.
Ad. Greiner, Direktor zu Seraing, machte 1869 den Vorschlag, als Stahl alles schmiedbare Eisen, welches vorher geflossen gewesen sei, als Schmiedeeisen alles, welches aus Luppen, d. h. aus einem teigartigen Zustande erhalten worden sei, zu bezeichnen. Gegen diese radikale Reform, welche allerdings dem Begriff Stahl groſse Gewalt anthat, erhoben Gruner in Frankreich, J. Percy und Dr. W. Siemens in England, H. M. Howe in Amerika, Tunner in Österreich und andere Widerspruch. Dennoch fand der Gedanke, daſs der Ent- stehungszustand des Eisens die Grundlage der Einteilung bilden müsse, mehr und mehr Anklang. Dr. H. Wedding hatte in Deutschland bereits 1869 für alle aus flüssigem Zustand gebildete Eisensorten die bezeichnenden Namen „Fluſsstahl“ und „Fluſseisen“ in Vorschlag gebracht, die sich bald einbürgerten. Den aus Erzen erhaltenen Stahl bezeichnete er als „Erzstahl“, den Cementstahl als „Kohlen- stahl“; letztere Bezeichnung fand jedoch keinen Anklang.
Je mehr die Verwendung von „Fluſsstahl“ zunahm, je dringender wurde das Bedürfnis für eine allgemein gültige Bezeichnung und Ein- teilung der Eisensorten. Im Jahre 1876 trat deshalb bei Gelegenheit der amerikanischen Weltausstellung in Philadelphia ein Komitee zur Regelung dieser Frage zusammen. Darin waren vertreten England
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Einleitung 1870 bis 1900.
bezeichnet wurde. Die Producenten und die Händler hatten aber das
entgegengesetzte Interesse und da letztere das Ohr des Publikums
besaſsen, so bürgerte sich der Name Bessemerstahl für alle Produkte
des Prozesses, ob hart oder weich, trotz des Ankämpfens dagegen, ein.
Die Vertreter der Wissenschaft und Sir Henry Bessemer selbst
erkannten dem Widerspruch der Guſsstahlfabrikanten eine gewisse
Berechtigung zu. Sie versuchten die Bezeichnung Bessemerstahl durch
Bessemermetall und Homogenmetall zu ersetzen. Dieser Versuch
blieb aber ohne Erfolg, da man im Handel und Verkehr an der
bequemen Bezeichnung Stahl festhielt. Anfangs, solange die Er-
zeugung eines stahlähnlichen Produktes das ausschlieſsliche Bestreben
des Bessemerprozesses war, konnte man sich noch bei dieser Bezeich-
nung beruhigen, nachdem man aber bei der weiteren Entwickelung des
Verfahrens dazu überging, absichtlich weiches Eisen von geringerem
Kohlenstoffgehalt zu erzeugen, muſste die Bezeichnung auch dieses
Materials als Stahl zu Verwirrungen führen. Der wissenschaftliche
Begriff Stahl deckte sich nicht mehr mit der Anwendung des Aus-
drucks in der Praxis. Man suchte deshalb bereits in den sechziger
Jahren nach einer anderen Definition für den Begriff Stahl und nach
einer anderen Einteilung der Eisen- und Stahlsorten.
Ad. Greiner, Direktor zu Seraing, machte 1869 den Vorschlag,
als Stahl alles schmiedbare Eisen, welches vorher geflossen gewesen
sei, als Schmiedeeisen alles, welches aus Luppen, d. h. aus einem
teigartigen Zustande erhalten worden sei, zu bezeichnen. Gegen diese
radikale Reform, welche allerdings dem Begriff Stahl groſse Gewalt
anthat, erhoben Gruner in Frankreich, J. Percy und Dr. W. Siemens
in England, H. M. Howe in Amerika, Tunner in Österreich und
andere Widerspruch. Dennoch fand der Gedanke, daſs der Ent-
stehungszustand des Eisens die Grundlage der Einteilung bilden müsse,
mehr und mehr Anklang. Dr. H. Wedding hatte in Deutschland
bereits 1869 für alle aus flüssigem Zustand gebildete Eisensorten die
bezeichnenden Namen „Fluſsstahl“ und „Fluſseisen“ in Vorschlag
gebracht, die sich bald einbürgerten. Den aus Erzen erhaltenen
Stahl bezeichnete er als „Erzstahl“, den Cementstahl als „Kohlen-
stahl“; letztere Bezeichnung fand jedoch keinen Anklang.
Je mehr die Verwendung von „Fluſsstahl“ zunahm, je dringender
wurde das Bedürfnis für eine allgemein gültige Bezeichnung und Ein-
teilung der Eisensorten. Im Jahre 1876 trat deshalb bei Gelegenheit
der amerikanischen Weltausstellung in Philadelphia ein Komitee
zur Regelung dieser Frage zusammen. Darin waren vertreten England
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Beck, Ludwig: Die Geschichte des Eisens. Bd. 5: Das XIX. Jahrhundert von 1860 bis zum Schluss. Braunschweig, 1903, S. 312. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/beck_eisen05_1903/328>, abgerufen am 26.11.2024.
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