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Beck, Ludwig: Die Geschichte des Eisens. Bd. 5: Das XIX. Jahrhundert von 1860 bis zum Schluss. Braunschweig, 1903.

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Flammofenstahlschmelzen.
1. Juni eröffnete aber der verdienstvolle Stahlfabrikant Verdie zu
Firminy ein grosses Martin-Stahlwerk mit Öfen von 3000 bis 3500 kg
Einsatz. Ein Regenerator bediente 2 Schmelzöfen und 3 Glüh-
öfen zum Vorwärmen des Eisens 1). Erst wurde ein Glühofen mit
900 kg Roheisen beschickt. Die glühenden Gänze wurden in grossen
Schaufeln mit Hülfe von Krahnen in den Schmelzofen gebracht und
hier unter Zusatz von Hochofenschlacken und Quarzsand einge-
schmolzen. Dann steigerte man die Temperatur und trug die bis zur
Weissglut erhitzten Stabeisen- und Stahlstücke in Sätzen bis zu 200 kg
ein. Auf die 900 kg Roheisen wurden ca. 2400 kg Stabeisen und
Stahl gesetzt. Die ganze Operation dauerte 8 Stunden, wozu noch
2 Stunden für die Reparatur des Herdes, der gereinigt und, soweit
nötig, mit frischem Quarzsand ausgeschlagen wurde, kamen. Gegen
Ende des Schmelzens wurde die Masse teigartig, worauf nach einem
Posten von 200 kg Schmiedeeisen 800 kg Roheisen nachgesetzt wurden.
Nach dem Einschmelzen nahm man Probe und stach nach der achten
Stunde ab. Die zwei Flammöfen lieferten je 3500 kg Gussstahl in einer
Schmelze und in 24 Stunden wurde zweimal abgestochen. Dies entsprach
einer Jahresproduktion von 2100 Tonnen. Der zu Firminy erzeugte
Stahl lieferte vorzügliche Eisenbahnschienen. Der Betrieb war teurer als
beim Bessemerverfahren, die Anlage dagegen viel billiger und zwar
im Verhältnis von 45 zu 136, ausserdem brauchte man kein Spiegel-
eisen. Diese letzte Angabe bestätigte sich indes nicht. Bereits am
25. Juli 1867 nahmen die Gebrüder Martin ein neues Patent, in dem
die Verwendung von Spiegeleisen zur Nachkohlung, um eine bestimmte
Qualität Stahl zu erzeugen, besonders hervorgehoben ist. Dieses
Patent und das von C. W. Siemens vom 21. August 1867 in England
genommene bilden die Grundlage des eigentlichen Siemens-Martin-
prozesses. Dieser erwies sich da als nicht ökonomisch, wo man
das Schmiedeeisen oder den Stahl, den man dem Roheisenbade zu-
setzte, erst durch Puddeln oder ein anderes Frischverfahren herstellen
musste, er bewährte sich dagegen als vorteilhaft da, wo man ihn mit
einer Fabrikation verband, die diese Produkte als Abfälle erzeugte,
wie dies namentlich bei den Bessemerwerken der Fall war.

Wie jede neue Erfindung durch Reklame und Überschätzung
übertriebene Hoffnungen erweckt, so war dies auch bei dem Siemens-
Martin-Prozess der Fall. Viele glaubten, man könne mit diesem Ver-
fahren aus dem geringsten Material guten Stahl machen und damit

1) Siehe Dinglers Journal 188, S. 46.
Beck, Geschichte des Eisens. 12

Flammofenstahlschmelzen.
1. Juni eröffnete aber der verdienstvolle Stahlfabrikant Verdié zu
Firminy ein groſses Martin-Stahlwerk mit Öfen von 3000 bis 3500 kg
Einsatz. Ein Regenerator bediente 2 Schmelzöfen und 3 Glüh-
öfen zum Vorwärmen des Eisens 1). Erst wurde ein Glühofen mit
900 kg Roheisen beschickt. Die glühenden Gänze wurden in groſsen
Schaufeln mit Hülfe von Krahnen in den Schmelzofen gebracht und
hier unter Zusatz von Hochofenschlacken und Quarzsand einge-
schmolzen. Dann steigerte man die Temperatur und trug die bis zur
Weiſsglut erhitzten Stabeisen- und Stahlstücke in Sätzen bis zu 200 kg
ein. Auf die 900 kg Roheisen wurden ca. 2400 kg Stabeisen und
Stahl gesetzt. Die ganze Operation dauerte 8 Stunden, wozu noch
2 Stunden für die Reparatur des Herdes, der gereinigt und, soweit
nötig, mit frischem Quarzsand ausgeschlagen wurde, kamen. Gegen
Ende des Schmelzens wurde die Masse teigartig, worauf nach einem
Posten von 200 kg Schmiedeeisen 800 kg Roheisen nachgesetzt wurden.
Nach dem Einschmelzen nahm man Probe und stach nach der achten
Stunde ab. Die zwei Flammöfen lieferten je 3500 kg Guſsstahl in einer
Schmelze und in 24 Stunden wurde zweimal abgestochen. Dies entsprach
einer Jahresproduktion von 2100 Tonnen. Der zu Firminy erzeugte
Stahl lieferte vorzügliche Eisenbahnschienen. Der Betrieb war teurer als
beim Bessemerverfahren, die Anlage dagegen viel billiger und zwar
im Verhältnis von 45 zu 136, auſserdem brauchte man kein Spiegel-
eisen. Diese letzte Angabe bestätigte sich indes nicht. Bereits am
25. Juli 1867 nahmen die Gebrüder Martin ein neues Patent, in dem
die Verwendung von Spiegeleisen zur Nachkohlung, um eine bestimmte
Qualität Stahl zu erzeugen, besonders hervorgehoben ist. Dieses
Patent und das von C. W. Siemens vom 21. August 1867 in England
genommene bilden die Grundlage des eigentlichen Siemens-Martin-
prozesses. Dieser erwies sich da als nicht ökonomisch, wo man
das Schmiedeeisen oder den Stahl, den man dem Roheisenbade zu-
setzte, erst durch Puddeln oder ein anderes Frischverfahren herstellen
muſste, er bewährte sich dagegen als vorteilhaft da, wo man ihn mit
einer Fabrikation verband, die diese Produkte als Abfälle erzeugte,
wie dies namentlich bei den Bessemerwerken der Fall war.

Wie jede neue Erfindung durch Reklame und Überschätzung
übertriebene Hoffnungen erweckt, so war dies auch bei dem Siemens-
Martin-Prozeſs der Fall. Viele glaubten, man könne mit diesem Ver-
fahren aus dem geringsten Material guten Stahl machen und damit

1) Siehe Dinglers Journal 188, S. 46.
Beck, Geschichte des Eisens. 12
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[177/0193] Flammofenstahlschmelzen. 1. Juni eröffnete aber der verdienstvolle Stahlfabrikant Verdié zu Firminy ein groſses Martin-Stahlwerk mit Öfen von 3000 bis 3500 kg Einsatz. Ein Regenerator bediente 2 Schmelzöfen und 3 Glüh- öfen zum Vorwärmen des Eisens 1). Erst wurde ein Glühofen mit 900 kg Roheisen beschickt. Die glühenden Gänze wurden in groſsen Schaufeln mit Hülfe von Krahnen in den Schmelzofen gebracht und hier unter Zusatz von Hochofenschlacken und Quarzsand einge- schmolzen. Dann steigerte man die Temperatur und trug die bis zur Weiſsglut erhitzten Stabeisen- und Stahlstücke in Sätzen bis zu 200 kg ein. Auf die 900 kg Roheisen wurden ca. 2400 kg Stabeisen und Stahl gesetzt. Die ganze Operation dauerte 8 Stunden, wozu noch 2 Stunden für die Reparatur des Herdes, der gereinigt und, soweit nötig, mit frischem Quarzsand ausgeschlagen wurde, kamen. Gegen Ende des Schmelzens wurde die Masse teigartig, worauf nach einem Posten von 200 kg Schmiedeeisen 800 kg Roheisen nachgesetzt wurden. Nach dem Einschmelzen nahm man Probe und stach nach der achten Stunde ab. Die zwei Flammöfen lieferten je 3500 kg Guſsstahl in einer Schmelze und in 24 Stunden wurde zweimal abgestochen. Dies entsprach einer Jahresproduktion von 2100 Tonnen. Der zu Firminy erzeugte Stahl lieferte vorzügliche Eisenbahnschienen. Der Betrieb war teurer als beim Bessemerverfahren, die Anlage dagegen viel billiger und zwar im Verhältnis von 45 zu 136, auſserdem brauchte man kein Spiegel- eisen. Diese letzte Angabe bestätigte sich indes nicht. Bereits am 25. Juli 1867 nahmen die Gebrüder Martin ein neues Patent, in dem die Verwendung von Spiegeleisen zur Nachkohlung, um eine bestimmte Qualität Stahl zu erzeugen, besonders hervorgehoben ist. Dieses Patent und das von C. W. Siemens vom 21. August 1867 in England genommene bilden die Grundlage des eigentlichen Siemens-Martin- prozesses. Dieser erwies sich da als nicht ökonomisch, wo man das Schmiedeeisen oder den Stahl, den man dem Roheisenbade zu- setzte, erst durch Puddeln oder ein anderes Frischverfahren herstellen muſste, er bewährte sich dagegen als vorteilhaft da, wo man ihn mit einer Fabrikation verband, die diese Produkte als Abfälle erzeugte, wie dies namentlich bei den Bessemerwerken der Fall war. Wie jede neue Erfindung durch Reklame und Überschätzung übertriebene Hoffnungen erweckt, so war dies auch bei dem Siemens- Martin-Prozeſs der Fall. Viele glaubten, man könne mit diesem Ver- fahren aus dem geringsten Material guten Stahl machen und damit 1) Siehe Dinglers Journal 188, S. 46. Beck, Geschichte des Eisens. 12

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Zitationshilfe: Beck, Ludwig: Die Geschichte des Eisens. Bd. 5: Das XIX. Jahrhundert von 1860 bis zum Schluss. Braunschweig, 1903, S. 177. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/beck_eisen05_1903/193>, abgerufen am 25.11.2024.