Die Fortschritte des Bessemerprozesses 1861 bis 1870.
In Belgien war das Verfahren mit gutem Erfolg zu Seraing ein- geführt worden.
In Deutschland waren neue Anlagen entstanden zu Bochum in Westfalen und zu Gemünd an der Eifel (zwei Konverter); in Vor- bereitung waren solche in Oberhausen, Oberbilk bei Düsseldorf und zu Königshütte in Oberschlesien.
In Österreich wurde in diesem Jahre die zweite Bessemeranlage erbaut und zwar in der Heft in Kärnten von der Kompagnie Rauscher. Diese Anlage bietet dadurch ein besonderes Interesse dar, als man gleichzeitig einen stehenden, schwedischen Ofen und eine bewegliche englische Birne aufstellte. Da die Eisenindustrie der österreichischen Alpenländer mit der schwedischen vieles Verwandte hatte, besonders da beide auf dem Holzkohlenbetrieb begründet waren, so herrschte ein günstiges Vorurteil für das schwedische Verfahren. Der schwedische Ofen wurde dann auch zuerst fertiggestellt und in demselben am 4. Juni 1864 unter Tunners Leitung die erste Charge geblasen. Es wurden 25 Centner graues Roheisen direkt vom Hochofen genommen und vom Moment des Eingiessens bis zum Abstich in 18 Minuten zu einem sehr guten und flüssigen Stahl verblasen. Als Gebläse diente ein Schiebergebläse von Leyser & Stiehler in Wien, deren Kon- struktion sich bereits in Sheffield bei John Brown bewährt hatte. Die Fabrikanten hatten 4000 Kubikfuss Wind pro Minute von 18 Pfund Pressung pro Quadratzoll garantiert. Die angewendete Pressung blieb in der Heft meist unter 101/2 Pfund auf den Quadratzoll. Die mit dem Produkt sogleich vorgenommenen Schmiede- und Schweissproben entsprachen vollkommen. Direktor Frey von Prävali machte auf diesem Werk eingehende Proben mit diesem ersten, nach schwedischer Methode in Österreich erblasenen Bessemerstahl und sprach sich sehr günstig über denselben aus. "Alle Sorten des Bessemerstahls", sagte er, "die harten wie die weichen, besitzen bei gleichem Härtegrad nicht die Sprödigkeit von Stahl von anderer Erzeugungsart und sind dabei ebenso bieg- und dehnbar wie Eisen; sie besitzen also die Eigen- schaften des Stahls, ohne die des Eisens zu entbehren. Das specifische Gewicht ist sehr gross, was auf grosse Reinheit hinweist; die Zer- reissungsproben ergaben sehr günstige Resultate." Der Bessemerstahl zeigte fast die doppelte Zerreissungsfähigkeit wie bestes Schmiede- eisen. Der Preis stellte sich 60 Prozent unter dem von gewöhn- lichem Gussstahl. Da die Hütte in der Heft kein Walzwerk besass, so übernahm das Eisenwerk Store die rohen Gussblöcke, die es unter Hämmern und Walzen zu fertigem Eisen, wie Blech, Stäbe,
Die Fortschritte des Bessemerprozesses 1861 bis 1870.
In Belgien war das Verfahren mit gutem Erfolg zu Seraing ein- geführt worden.
In Deutschland waren neue Anlagen entstanden zu Bochum in Westfalen und zu Gemünd an der Eifel (zwei Konverter); in Vor- bereitung waren solche in Oberhausen, Oberbilk bei Düsseldorf und zu Königshütte in Oberschlesien.
In Österreich wurde in diesem Jahre die zweite Bessemeranlage erbaut und zwar in der Heft in Kärnten von der Kompagnie Rauscher. Diese Anlage bietet dadurch ein besonderes Interesse dar, als man gleichzeitig einen stehenden, schwedischen Ofen und eine bewegliche englische Birne aufstellte. Da die Eisenindustrie der österreichischen Alpenländer mit der schwedischen vieles Verwandte hatte, besonders da beide auf dem Holzkohlenbetrieb begründet waren, so herrschte ein günstiges Vorurteil für das schwedische Verfahren. Der schwedische Ofen wurde dann auch zuerst fertiggestellt und in demselben am 4. Juni 1864 unter Tunners Leitung die erste Charge geblasen. Es wurden 25 Centner graues Roheisen direkt vom Hochofen genommen und vom Moment des Eingieſsens bis zum Abstich in 18 Minuten zu einem sehr guten und flüssigen Stahl verblasen. Als Gebläse diente ein Schiebergebläse von Leyser & Stiehler in Wien, deren Kon- struktion sich bereits in Sheffield bei John Brown bewährt hatte. Die Fabrikanten hatten 4000 Kubikfuſs Wind pro Minute von 18 Pfund Pressung pro Quadratzoll garantiert. Die angewendete Pressung blieb in der Heft meist unter 10½ Pfund auf den Quadratzoll. Die mit dem Produkt sogleich vorgenommenen Schmiede- und Schweiſsproben entsprachen vollkommen. Direktor Frey von Prävali machte auf diesem Werk eingehende Proben mit diesem ersten, nach schwedischer Methode in Österreich erblasenen Bessemerstahl und sprach sich sehr günstig über denselben aus. „Alle Sorten des Bessemerstahls“, sagte er, „die harten wie die weichen, besitzen bei gleichem Härtegrad nicht die Sprödigkeit von Stahl von anderer Erzeugungsart und sind dabei ebenso bieg- und dehnbar wie Eisen; sie besitzen also die Eigen- schaften des Stahls, ohne die des Eisens zu entbehren. Das specifische Gewicht ist sehr groſs, was auf groſse Reinheit hinweist; die Zer- reiſsungsproben ergaben sehr günstige Resultate.“ Der Bessemerstahl zeigte fast die doppelte Zerreiſsungsfähigkeit wie bestes Schmiede- eisen. Der Preis stellte sich 60 Prozent unter dem von gewöhn- lichem Guſsstahl. Da die Hütte in der Heft kein Walzwerk besaſs, so übernahm das Eisenwerk Storé die rohen Guſsblöcke, die es unter Hämmern und Walzen zu fertigem Eisen, wie Blech, Stäbe,
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Die Fortschritte des Bessemerprozesses 1861 bis 1870.
In Belgien war das Verfahren mit gutem Erfolg zu Seraing ein-
geführt worden.
In Deutschland waren neue Anlagen entstanden zu Bochum in
Westfalen und zu Gemünd an der Eifel (zwei Konverter); in Vor-
bereitung waren solche in Oberhausen, Oberbilk bei Düsseldorf und
zu Königshütte in Oberschlesien.
In Österreich wurde in diesem Jahre die zweite Bessemeranlage
erbaut und zwar in der Heft in Kärnten von der Kompagnie Rauscher.
Diese Anlage bietet dadurch ein besonderes Interesse dar, als man
gleichzeitig einen stehenden, schwedischen Ofen und eine bewegliche
englische Birne aufstellte. Da die Eisenindustrie der österreichischen
Alpenländer mit der schwedischen vieles Verwandte hatte, besonders
da beide auf dem Holzkohlenbetrieb begründet waren, so herrschte
ein günstiges Vorurteil für das schwedische Verfahren. Der schwedische
Ofen wurde dann auch zuerst fertiggestellt und in demselben am
4. Juni 1864 unter Tunners Leitung die erste Charge geblasen. Es
wurden 25 Centner graues Roheisen direkt vom Hochofen genommen
und vom Moment des Eingieſsens bis zum Abstich in 18 Minuten zu
einem sehr guten und flüssigen Stahl verblasen. Als Gebläse diente
ein Schiebergebläse von Leyser & Stiehler in Wien, deren Kon-
struktion sich bereits in Sheffield bei John Brown bewährt hatte.
Die Fabrikanten hatten 4000 Kubikfuſs Wind pro Minute von 18 Pfund
Pressung pro Quadratzoll garantiert. Die angewendete Pressung blieb
in der Heft meist unter 10½ Pfund auf den Quadratzoll. Die mit
dem Produkt sogleich vorgenommenen Schmiede- und Schweiſsproben
entsprachen vollkommen. Direktor Frey von Prävali machte auf
diesem Werk eingehende Proben mit diesem ersten, nach schwedischer
Methode in Österreich erblasenen Bessemerstahl und sprach sich sehr
günstig über denselben aus. „Alle Sorten des Bessemerstahls“, sagte
er, „die harten wie die weichen, besitzen bei gleichem Härtegrad nicht
die Sprödigkeit von Stahl von anderer Erzeugungsart und sind dabei
ebenso bieg- und dehnbar wie Eisen; sie besitzen also die Eigen-
schaften des Stahls, ohne die des Eisens zu entbehren. Das specifische
Gewicht ist sehr groſs, was auf groſse Reinheit hinweist; die Zer-
reiſsungsproben ergaben sehr günstige Resultate.“ Der Bessemerstahl
zeigte fast die doppelte Zerreiſsungsfähigkeit wie bestes Schmiede-
eisen. Der Preis stellte sich 60 Prozent unter dem von gewöhn-
lichem Guſsstahl. Da die Hütte in der Heft kein Walzwerk besaſs,
so übernahm das Eisenwerk Storé die rohen Guſsblöcke, die es
unter Hämmern und Walzen zu fertigem Eisen, wie Blech, Stäbe,
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Beck, Ludwig: Die Geschichte des Eisens. Bd. 5: Das XIX. Jahrhundert von 1860 bis zum Schluss. Braunschweig, 1903, S. 137. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/beck_eisen05_1903/153>, abgerufen am 22.11.2024.
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