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Beck, Ludwig: Die Geschichte des Eisens. Bd. 5: Das XIX. Jahrhundert von 1860 bis zum Schluss. Braunschweig, 1903.

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wohl bedenken, wie verschieden die Grundbedingungen der Eisen-
industrie beider Gebiete waren; in Südrussland nur neue, mit allen
modernen Verbesserungen ausgestattete Werke mitten im Stein-
kohlengebiet gelegen, im Ural meist alte Holzkohlenhütten, die infolge
des schwierigen Kohlenbezugs zu kämpfen hatten, um ihren Betrieb in
vollem Umfange aufrecht zu erhalten und wovon die meisten an eine
Vergrösserung nicht denken konnten. Wenn man dies erwägt, wird
man die von den uralischen Werken erzielte Produktionssteigerung
für recht beträchtlich halten müssen. Die südrussischen Werke
beuteten die Erzschätze des Landes rücksichtslos aus, so dass die
reichen Lager von Krivoi-Rog, dem wichtigsten Erzvorkommen jenes
Gebietes, in etwa 15 Jahren [nach den neuesten Aufschlüssen in
30 Jahren 1)] erschöpft sein werden. Seit 1900 machen sich denn auch
die Folgen der Überproduktion in empfindlicher Weise geltend. Am
Ural verbietet die Erhaltung des Waldes eine solche Ausbeutung.
Dadurch werden die Erzschätze geschont und der Ural kann um
so hoffnungsvoller in die Zukunft blicken, als die sibirische Eisen-
bahn sein Absatzgebiet bedeutend erweitert. So hat sich beispiels-
weise der Bedarf des spezifisch russischen Artikels "Dacheisen" durch
die Einwanderung nach Sibirien in den letzten Jahren sehr gesteigert.
Zur Ausbeutung der sibirischen Eisenerzlager hat sich bereits eine
englische Gesellschaft gebildet. Die Bjeloretzker Gesellschaft hat im
Südural fünf, die Ural-Wolga-Gesellschaft drei Hochöfen erbaut.
Creusot hat in Verbindung mit der Pariser- und der Niederländischen
Bank eine Eisengiesserei und Lokomotivfabrik in Kasan gegründet. Die
südrussischen und die uralischen Erze sind so rein und phosphorarm, dass
sich das aus ihnen erblasene Roheisen sehr gut zum Bessemer- und
mehr noch zum Siemens-Martinprozess eignet, während für den Thomas-
prozess die Vorbedingungen fehlen und ein Bedürfnis nicht vorhanden
ist. Letzterer hat dagegen in Polen, wo man deshalb auch alte Frisch-
schlacken im Hochofen mit verschmilzt, Boden gewonnen. Die Eisen-
industrie des centralen Russland hat durch die Entdeckung und Aus-
beutung ausgedehnter Eisenerzlager in den letzten Jahren einen
neuen Aufschwung genommen. Bis 1897 wurden die Hochöfen nur
mit Holzkohlen betrieben, seitdem sind aber zwei grosse Kokshochöfen-
anlagen in Tula und Lipetzk entstanden. Beide arbeiten mit Donez-
koks. Die beiden ersten Kokshochhöfen wurden zu Tula 1897 und 1899
erbaut. Sie haben 20 m Höhe und etwa 400 cbm Inhalt. Die Hoch-

1) Stahl und Eisen 1900, S. 861.
Beck, Geschichte des Eisens. 77

Ruſsland.
wohl bedenken, wie verschieden die Grundbedingungen der Eisen-
industrie beider Gebiete waren; in Südruſsland nur neue, mit allen
modernen Verbesserungen ausgestattete Werke mitten im Stein-
kohlengebiet gelegen, im Ural meist alte Holzkohlenhütten, die infolge
des schwierigen Kohlenbezugs zu kämpfen hatten, um ihren Betrieb in
vollem Umfange aufrecht zu erhalten und wovon die meisten an eine
Vergröſserung nicht denken konnten. Wenn man dies erwägt, wird
man die von den uralischen Werken erzielte Produktionssteigerung
für recht beträchtlich halten müssen. Die südrussischen Werke
beuteten die Erzschätze des Landes rücksichtslos aus, so daſs die
reichen Lager von Krivoi-Rog, dem wichtigsten Erzvorkommen jenes
Gebietes, in etwa 15 Jahren [nach den neuesten Aufschlüssen in
30 Jahren 1)] erschöpft sein werden. Seit 1900 machen sich denn auch
die Folgen der Überproduktion in empfindlicher Weise geltend. Am
Ural verbietet die Erhaltung des Waldes eine solche Ausbeutung.
Dadurch werden die Erzschätze geschont und der Ural kann um
so hoffnungsvoller in die Zukunft blicken, als die sibirische Eisen-
bahn sein Absatzgebiet bedeutend erweitert. So hat sich beispiels-
weise der Bedarf des spezifisch russischen Artikels „Dacheisen“ durch
die Einwanderung nach Sibirien in den letzten Jahren sehr gesteigert.
Zur Ausbeutung der sibirischen Eisenerzlager hat sich bereits eine
englische Gesellschaft gebildet. Die Bjeloretzker Gesellschaft hat im
Südural fünf, die Ural-Wolga-Gesellschaft drei Hochöfen erbaut.
Creusot hat in Verbindung mit der Pariser- und der Niederländischen
Bank eine Eisengieſserei und Lokomotivfabrik in Kasan gegründet. Die
südrussischen und die uralischen Erze sind so rein und phosphorarm, daſs
sich das aus ihnen erblasene Roheisen sehr gut zum Bessemer- und
mehr noch zum Siemens-Martinprozeſs eignet, während für den Thomas-
prozeſs die Vorbedingungen fehlen und ein Bedürfnis nicht vorhanden
ist. Letzterer hat dagegen in Polen, wo man deshalb auch alte Frisch-
schlacken im Hochofen mit verschmilzt, Boden gewonnen. Die Eisen-
industrie des centralen Ruſsland hat durch die Entdeckung und Aus-
beutung ausgedehnter Eisenerzlager in den letzten Jahren einen
neuen Aufschwung genommen. Bis 1897 wurden die Hochöfen nur
mit Holzkohlen betrieben, seitdem sind aber zwei groſse Kokshochöfen-
anlagen in Tula und Lipetzk entstanden. Beide arbeiten mit Donez-
koks. Die beiden ersten Kokshochhöfen wurden zu Tula 1897 und 1899
erbaut. Sie haben 20 m Höhe und etwa 400 cbm Inhalt. Die Hoch-

1) Stahl und Eisen 1900, S. 861.
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[1217/1233] Ruſsland. wohl bedenken, wie verschieden die Grundbedingungen der Eisen- industrie beider Gebiete waren; in Südruſsland nur neue, mit allen modernen Verbesserungen ausgestattete Werke mitten im Stein- kohlengebiet gelegen, im Ural meist alte Holzkohlenhütten, die infolge des schwierigen Kohlenbezugs zu kämpfen hatten, um ihren Betrieb in vollem Umfange aufrecht zu erhalten und wovon die meisten an eine Vergröſserung nicht denken konnten. Wenn man dies erwägt, wird man die von den uralischen Werken erzielte Produktionssteigerung für recht beträchtlich halten müssen. Die südrussischen Werke beuteten die Erzschätze des Landes rücksichtslos aus, so daſs die reichen Lager von Krivoi-Rog, dem wichtigsten Erzvorkommen jenes Gebietes, in etwa 15 Jahren [nach den neuesten Aufschlüssen in 30 Jahren 1)] erschöpft sein werden. Seit 1900 machen sich denn auch die Folgen der Überproduktion in empfindlicher Weise geltend. Am Ural verbietet die Erhaltung des Waldes eine solche Ausbeutung. Dadurch werden die Erzschätze geschont und der Ural kann um so hoffnungsvoller in die Zukunft blicken, als die sibirische Eisen- bahn sein Absatzgebiet bedeutend erweitert. So hat sich beispiels- weise der Bedarf des spezifisch russischen Artikels „Dacheisen“ durch die Einwanderung nach Sibirien in den letzten Jahren sehr gesteigert. Zur Ausbeutung der sibirischen Eisenerzlager hat sich bereits eine englische Gesellschaft gebildet. Die Bjeloretzker Gesellschaft hat im Südural fünf, die Ural-Wolga-Gesellschaft drei Hochöfen erbaut. Creusot hat in Verbindung mit der Pariser- und der Niederländischen Bank eine Eisengieſserei und Lokomotivfabrik in Kasan gegründet. Die südrussischen und die uralischen Erze sind so rein und phosphorarm, daſs sich das aus ihnen erblasene Roheisen sehr gut zum Bessemer- und mehr noch zum Siemens-Martinprozeſs eignet, während für den Thomas- prozeſs die Vorbedingungen fehlen und ein Bedürfnis nicht vorhanden ist. Letzterer hat dagegen in Polen, wo man deshalb auch alte Frisch- schlacken im Hochofen mit verschmilzt, Boden gewonnen. Die Eisen- industrie des centralen Ruſsland hat durch die Entdeckung und Aus- beutung ausgedehnter Eisenerzlager in den letzten Jahren einen neuen Aufschwung genommen. Bis 1897 wurden die Hochöfen nur mit Holzkohlen betrieben, seitdem sind aber zwei groſse Kokshochöfen- anlagen in Tula und Lipetzk entstanden. Beide arbeiten mit Donez- koks. Die beiden ersten Kokshochhöfen wurden zu Tula 1897 und 1899 erbaut. Sie haben 20 m Höhe und etwa 400 cbm Inhalt. Die Hoch- 1) Stahl und Eisen 1900, S. 861. Beck, Geschichte des Eisens. 77

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Zitationshilfe: Beck, Ludwig: Die Geschichte des Eisens. Bd. 5: Das XIX. Jahrhundert von 1860 bis zum Schluss. Braunschweig, 1903, S. 1217. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/beck_eisen05_1903/1233>, abgerufen am 23.11.2024.