Piercot, seine sämtliche Habe, mit Ausnahme der Werke zu Seraing und Lüttich, zur Deckung seiner Schulden allmählich zu veräussern. Dieser rasche, grossartige Entschluss bewahrte die belgische Industrie vor einer furchtbaren Katastrophe. Er selbst begab sich nach Russ- land, wohin ihn glänzende Anerbietungen riefen, um dort neue gross- artige Gründungen auszuführen, aber er erkrankte und starb erst 50 Jahre alt am 10. Juni 1840 zu Warschau. Seine Leiche wurde nach Belgien gebracht und zu Seraing beigesetzt. Er hinterliess keine Nachkommen. Sein Name aber lebt fort und wird allezeit einer der ruhmvollsten in der Geschichte der Industrie bleiben. Für Belgien war er ein Wohlthäter, dem die Industrie des Landes ihren Auf- schwung verdankt.
Seraing wurde 1842 als eine anonyme Gesellschaft (Soc. anon. John Cockerill) mit dem für jene Zeit enormen Kapital von 12500000 Frcs. gegründet. Die Hälfte der Anteile gehörten dem Staate. Cockerills Schwager Pastor (Pasteur) wurde Generaldirektor und leitete das Werk 37 Jahre (bis zum 30. Juni 1866) hindurch mit grosser Umsicht. Seraing vergrösserte sich immer mehr. Ende der 50er Jahre bestand die Eisenhütte aus der Hochofenanlage mit 6 Hoch- öfen, aus zwei grossen Walzhütten und aus einer Maschinenfabrik, welche jede Woche eine fertige Lokomotive zu liefern imstande war. Was Seraing so sehr vor allen anderen grossen Etablissements aus- zeichnete, war, dass hier Erz und Kohle aus Schächten innerhalb der Umzäunung des Werkes aus der Erde gefördert, in Hochöfen ge- schmolzen, das geschmolzene Eisen in Puddelöfen gefrischt, in Walz- werken zu jeder Form verarbeitet wurde und die Werkstätten als vollendete Maschine verliess. Der Plan der alten Walzhütte, welche 16 Puddelöfen, 8 gewöhnliche und 2 Schrottschweissöfen, Wärmöfen u. s. w. umfasste, ist in dem Handbuche der Stabeisenfabrikation von Le Blanc und Walter (Tab. VII) abgebildet. Das Werk produzierte damals 11 bis 12 Millionen Kilogramm Eisen. Den grössten Ruhm hat aber das grosse Werk von John Cockerill zu Seraing auf dem Gebiete des Maschinenbaues, auf dem es seit seiner Gründung glänzende Leistungen aufzuweisen hat und eine leitende Stellung behauptete, erworben. Es war das erste Werk auf dem Kontinent, welches den Dampfmaschinen- bau als gewerblichen Betrieb aufnahm (1818). In der Periode von 1823 bis 1830 lieferte es die ersten Hochofengebläsemaschinen und ein Dampfboot für den Rhein. 1835 lieferte es die erste Lokomotive und die ersten Eisenbahnschienen des Kontinents; 1848 die ersten belgischen Passagierdampfer für die Linie Ostende-Dover.
Belgien 1831 bis 1850.
Piercot, seine sämtliche Habe, mit Ausnahme der Werke zu Seraing und Lüttich, zur Deckung seiner Schulden allmählich zu veräuſsern. Dieser rasche, groſsartige Entschluſs bewahrte die belgische Industrie vor einer furchtbaren Katastrophe. Er selbst begab sich nach Ruſs- land, wohin ihn glänzende Anerbietungen riefen, um dort neue groſs- artige Gründungen auszuführen, aber er erkrankte und starb erst 50 Jahre alt am 10. Juni 1840 zu Warschau. Seine Leiche wurde nach Belgien gebracht und zu Seraing beigesetzt. Er hinterlieſs keine Nachkommen. Sein Name aber lebt fort und wird allezeit einer der ruhmvollsten in der Geschichte der Industrie bleiben. Für Belgien war er ein Wohlthäter, dem die Industrie des Landes ihren Auf- schwung verdankt.
Seraing wurde 1842 als eine anonyme Gesellschaft (Soc. anon. John Cockerill) mit dem für jene Zeit enormen Kapital von 12500000 Frcs. gegründet. Die Hälfte der Anteile gehörten dem Staate. Cockerills Schwager Pastor (Pasteur) wurde Generaldirektor und leitete das Werk 37 Jahre (bis zum 30. Juni 1866) hindurch mit groſser Umsicht. Seraing vergröſserte sich immer mehr. Ende der 50er Jahre bestand die Eisenhütte aus der Hochofenanlage mit 6 Hoch- öfen, aus zwei groſsen Walzhütten und aus einer Maschinenfabrik, welche jede Woche eine fertige Lokomotive zu liefern imstande war. Was Seraing so sehr vor allen anderen groſsen Etablissements aus- zeichnete, war, daſs hier Erz und Kohle aus Schächten innerhalb der Umzäunung des Werkes aus der Erde gefördert, in Hochöfen ge- schmolzen, das geschmolzene Eisen in Puddelöfen gefrischt, in Walz- werken zu jeder Form verarbeitet wurde und die Werkstätten als vollendete Maschine verlieſs. Der Plan der alten Walzhütte, welche 16 Puddelöfen, 8 gewöhnliche und 2 Schrottschweiſsöfen, Wärmöfen u. s. w. umfaſste, ist in dem Handbuche der Stabeisenfabrikation von Le Blanc und Walter (Tab. VII) abgebildet. Das Werk produzierte damals 11 bis 12 Millionen Kilogramm Eisen. Den gröſsten Ruhm hat aber das groſse Werk von John Cockerill zu Seraing auf dem Gebiete des Maschinenbaues, auf dem es seit seiner Gründung glänzende Leistungen aufzuweisen hat und eine leitende Stellung behauptete, erworben. Es war das erste Werk auf dem Kontinent, welches den Dampfmaschinen- bau als gewerblichen Betrieb aufnahm (1818). In der Periode von 1823 bis 1830 lieferte es die ersten Hochofengebläsemaschinen und ein Dampfboot für den Rhein. 1835 lieferte es die erste Lokomotive und die ersten Eisenbahnschienen des Kontinents; 1848 die ersten belgischen Passagierdampfer für die Linie Ostende-Dover.
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Belgien 1831 bis 1850.
Piercot, seine sämtliche Habe, mit Ausnahme der Werke zu Seraing
und Lüttich, zur Deckung seiner Schulden allmählich zu veräuſsern.
Dieser rasche, groſsartige Entschluſs bewahrte die belgische Industrie
vor einer furchtbaren Katastrophe. Er selbst begab sich nach Ruſs-
land, wohin ihn glänzende Anerbietungen riefen, um dort neue groſs-
artige Gründungen auszuführen, aber er erkrankte und starb erst
50 Jahre alt am 10. Juni 1840 zu Warschau. Seine Leiche wurde
nach Belgien gebracht und zu Seraing beigesetzt. Er hinterlieſs keine
Nachkommen. Sein Name aber lebt fort und wird allezeit einer der
ruhmvollsten in der Geschichte der Industrie bleiben. Für Belgien
war er ein Wohlthäter, dem die Industrie des Landes ihren Auf-
schwung verdankt.
Seraing wurde 1842 als eine anonyme Gesellschaft (Soc. anon.
John Cockerill) mit dem für jene Zeit enormen Kapital von
12500000 Frcs. gegründet. Die Hälfte der Anteile gehörten dem Staate.
Cockerills Schwager Pastor (Pasteur) wurde Generaldirektor und
leitete das Werk 37 Jahre (bis zum 30. Juni 1866) hindurch mit
groſser Umsicht. Seraing vergröſserte sich immer mehr. Ende der
50er Jahre bestand die Eisenhütte aus der Hochofenanlage mit 6 Hoch-
öfen, aus zwei groſsen Walzhütten und aus einer Maschinenfabrik,
welche jede Woche eine fertige Lokomotive zu liefern imstande war.
Was Seraing so sehr vor allen anderen groſsen Etablissements aus-
zeichnete, war, daſs hier Erz und Kohle aus Schächten innerhalb der
Umzäunung des Werkes aus der Erde gefördert, in Hochöfen ge-
schmolzen, das geschmolzene Eisen in Puddelöfen gefrischt, in Walz-
werken zu jeder Form verarbeitet wurde und die Werkstätten als
vollendete Maschine verlieſs. Der Plan der alten Walzhütte, welche
16 Puddelöfen, 8 gewöhnliche und 2 Schrottschweiſsöfen, Wärmöfen u. s. w.
umfaſste, ist in dem Handbuche der Stabeisenfabrikation von Le Blanc
und Walter (Tab. VII) abgebildet. Das Werk produzierte damals 11
bis 12 Millionen Kilogramm Eisen. Den gröſsten Ruhm hat aber das
groſse Werk von John Cockerill zu Seraing auf dem Gebiete des
Maschinenbaues, auf dem es seit seiner Gründung glänzende Leistungen
aufzuweisen hat und eine leitende Stellung behauptete, erworben.
Es war das erste Werk auf dem Kontinent, welches den Dampfmaschinen-
bau als gewerblichen Betrieb aufnahm (1818). In der Periode von
1823 bis 1830 lieferte es die ersten Hochofengebläsemaschinen und
ein Dampfboot für den Rhein. 1835 lieferte es die erste Lokomotive
und die ersten Eisenbahnschienen des Kontinents; 1848 die ersten
belgischen Passagierdampfer für die Linie Ostende-Dover.
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Beck, Ludwig: Die Geschichte des Eisens. Bd. 4: Das XIX. Jahrhundert von 1801 bis 1860. Braunschweig, 1899, S. 682. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/beck_eisen04_1899/698>, abgerufen am 22.11.2024.
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