diese und überliess das ganze ausgedehnte Besitztum seinem Bruder John zur Anlage einer Eisenhütte mit Maschinen-Bauanstalt, welche so grossartig geplant war, dass sie den grössten Werken in England und Frankreich gleichkommen sollte. Wohl war es ein Unternehmen, welches über die Kräfte eines Einzelnen hinauszugehen schien; die Geldmittel dafür konnte Cockerill allein unmöglich beschaffen, aber es war die Eigenart des Mannes, dass seine erfinderische und organisatorische Kraft wuchs mit der Grösse und Schwierigkeit der Aufgabe. Durch kein Bedenken liess er sich beirren und führte das begonnene Werk glänzend zu Ende. Auch hier war es wieder die Regierung und König Wilhelm, welche ihm forthalfen. Um die Un- gerechtigkeiten des freihändlerischen Zollsystems, welches die ein- heimische Eisenindustrie bedrückte, auszugleichen und die Unzufrieden- heit der belgischen Fabrikanten zu beschwichtigen und um die heimische Industrie durch direkte Unterstützung zu heben, wurde am 12. Juli 1821 ein staatlicher Industriefonds gegründet. Es sollten aus den Einkünften der Zölle jährlich 1300000 Gulden Subventionsgelder zur Aufmunterung der Industrie vorweg genommen werden. So be- denklich diese Massregel war, da sie der Gunst und der Willkür Thür und Thor öffnete, so hat sie doch für Belgien grossen Nutzen ge- stiftet, ganz besonders durch die Unterstützung John Cockerills, der mit Hülfe der Zuschüsse aus diesem Fonds sein grosses Unter- nehmen zu Seraing ausführen konnte. Dass dabei König Wilhelm die Absicht hatte, durch diese reichlichen Zuwendungen sich zugleich die Liebe und Anhänglichkeit der ihm abgeneigten Belgier zu er- werben, schmälert nicht die geschichtliche Bedeutung dieser Unter- stützung der belgischen Industrie. Eine sehr anerkennenswerte Be- dingung, welche der König an das grosse Darlehen geknüpft hatte war die, dass die Eisenindustriellen des Landes, besonders die von Lüttich und Namur, berechtigt sein sollten, das Werk zu besuchen, um daselbst zu lernen.
1820 hatte John Cockerill bereits die ersten Puddelöfen in Belgien in Betrieb gesetzt. Zur Förderung dieses Unternehmens und zur Unterstützung für die weitere Einführung des englischen Flamm- ofenbetriebes erhielt er von der Regierung 1 Million Franken vor- gestreckt.
1823 wurde der erste Hochofen zu Seraing angeblasen. Derselbe war 48 Fuss hoch, 12 Fuss im Kohlensack, aber nur 3 Fuss in der Gicht weit. Letzteres war ein grosser Fehler. Die starke Verengung des nicht hohen Schachtes hatte einen sehr unregelmässigen Ofengang
Belgien bis 1830.
diese und überlieſs das ganze ausgedehnte Besitztum seinem Bruder John zur Anlage einer Eisenhütte mit Maschinen-Bauanstalt, welche so groſsartig geplant war, daſs sie den gröſsten Werken in England und Frankreich gleichkommen sollte. Wohl war es ein Unternehmen, welches über die Kräfte eines Einzelnen hinauszugehen schien; die Geldmittel dafür konnte Cockerill allein unmöglich beschaffen, aber es war die Eigenart des Mannes, daſs seine erfinderische und organisatorische Kraft wuchs mit der Gröſse und Schwierigkeit der Aufgabe. Durch kein Bedenken lieſs er sich beirren und führte das begonnene Werk glänzend zu Ende. Auch hier war es wieder die Regierung und König Wilhelm, welche ihm forthalfen. Um die Un- gerechtigkeiten des freihändlerischen Zollsystems, welches die ein- heimische Eisenindustrie bedrückte, auszugleichen und die Unzufrieden- heit der belgischen Fabrikanten zu beschwichtigen und um die heimische Industrie durch direkte Unterstützung zu heben, wurde am 12. Juli 1821 ein staatlicher Industriefonds gegründet. Es sollten aus den Einkünften der Zölle jährlich 1300000 Gulden Subventionsgelder zur Aufmunterung der Industrie vorweg genommen werden. So be- denklich diese Maſsregel war, da sie der Gunst und der Willkür Thür und Thor öffnete, so hat sie doch für Belgien groſsen Nutzen ge- stiftet, ganz besonders durch die Unterstützung John Cockerills, der mit Hülfe der Zuschüsse aus diesem Fonds sein groſses Unter- nehmen zu Seraing ausführen konnte. Daſs dabei König Wilhelm die Absicht hatte, durch diese reichlichen Zuwendungen sich zugleich die Liebe und Anhänglichkeit der ihm abgeneigten Belgier zu er- werben, schmälert nicht die geschichtliche Bedeutung dieser Unter- stützung der belgischen Industrie. Eine sehr anerkennenswerte Be- dingung, welche der König an das groſse Darlehen geknüpft hatte war die, daſs die Eisenindustriellen des Landes, besonders die von Lüttich und Namur, berechtigt sein sollten, das Werk zu besuchen, um daselbst zu lernen.
1820 hatte John Cockerill bereits die ersten Puddelöfen in Belgien in Betrieb gesetzt. Zur Förderung dieses Unternehmens und zur Unterstützung für die weitere Einführung des englischen Flamm- ofenbetriebes erhielt er von der Regierung 1 Million Franken vor- gestreckt.
1823 wurde der erste Hochofen zu Seraing angeblasen. Derselbe war 48 Fuſs hoch, 12 Fuſs im Kohlensack, aber nur 3 Fuſs in der Gicht weit. Letzteres war ein groſser Fehler. Die starke Verengung des nicht hohen Schachtes hatte einen sehr unregelmäſsigen Ofengang
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Belgien bis 1830.
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John zur Anlage einer Eisenhütte mit Maschinen-Bauanstalt, welche
so groſsartig geplant war, daſs sie den gröſsten Werken in England
und Frankreich gleichkommen sollte. Wohl war es ein Unternehmen,
welches über die Kräfte eines Einzelnen hinauszugehen schien; die
Geldmittel dafür konnte Cockerill allein unmöglich beschaffen,
aber es war die Eigenart des Mannes, daſs seine erfinderische und
organisatorische Kraft wuchs mit der Gröſse und Schwierigkeit der
Aufgabe. Durch kein Bedenken lieſs er sich beirren und führte das
begonnene Werk glänzend zu Ende. Auch hier war es wieder die
Regierung und König Wilhelm, welche ihm forthalfen. Um die Un-
gerechtigkeiten des freihändlerischen Zollsystems, welches die ein-
heimische Eisenindustrie bedrückte, auszugleichen und die Unzufrieden-
heit der belgischen Fabrikanten zu beschwichtigen und um die
heimische Industrie durch direkte Unterstützung zu heben, wurde am
12. Juli 1821 ein staatlicher Industriefonds gegründet. Es sollten aus
den Einkünften der Zölle jährlich 1300000 Gulden Subventionsgelder
zur Aufmunterung der Industrie vorweg genommen werden. So be-
denklich diese Maſsregel war, da sie der Gunst und der Willkür Thür
und Thor öffnete, so hat sie doch für Belgien groſsen Nutzen ge-
stiftet, ganz besonders durch die Unterstützung John Cockerills,
der mit Hülfe der Zuschüsse aus diesem Fonds sein groſses Unter-
nehmen zu Seraing ausführen konnte. Daſs dabei König Wilhelm
die Absicht hatte, durch diese reichlichen Zuwendungen sich zugleich
die Liebe und Anhänglichkeit der ihm abgeneigten Belgier zu er-
werben, schmälert nicht die geschichtliche Bedeutung dieser Unter-
stützung der belgischen Industrie. Eine sehr anerkennenswerte Be-
dingung, welche der König an das groſse Darlehen geknüpft hatte
war die, daſs die Eisenindustriellen des Landes, besonders die von
Lüttich und Namur, berechtigt sein sollten, das Werk zu besuchen,
um daselbst zu lernen.
1820 hatte John Cockerill bereits die ersten Puddelöfen in
Belgien in Betrieb gesetzt. Zur Förderung dieses Unternehmens und
zur Unterstützung für die weitere Einführung des englischen Flamm-
ofenbetriebes erhielt er von der Regierung 1 Million Franken vor-
gestreckt.
1823 wurde der erste Hochofen zu Seraing angeblasen. Derselbe
war 48 Fuſs hoch, 12 Fuſs im Kohlensack, aber nur 3 Fuſs in der
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Beck, Ludwig: Die Geschichte des Eisens. Bd. 4: Das XIX. Jahrhundert von 1801 bis 1860. Braunschweig, 1899, S. 340. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/beck_eisen04_1899/356>, abgerufen am 25.11.2024.
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