Handel nicht ganz an Frankreich verlieren wollten, gezwungen, Guss- stahl zu verarbeiten. Damit hatte Huntsman sein Ziel erreicht; sein Absatz und seine Fabrikation nahmen grossen Aufschwung. Aber nun begann ein neuer Kampf für ihn. Der Neid der Stahl- fabrikanten missgönnte ihm seinen Erfolg und suchte ihm seinen Vorteil zu entreissen. Da Huntsman durch kein Patent geschützt war, so war seine Erfindung vogelfrei, wenn es nur jemand gelang, hinter sein Geheimnis, das er so ängstlich behütete, zu kommen. Es fehlte nicht an gewissenlosen Menschen, welche dies auf unehr- liche Weise versuchten. Aber Huntsman war auf seiner Hut. Alle seine Arbeiter hatten sich ihm zu unverbrüchlichem Schweigen ver- pflichtet, kein Fremder durfte die Fabrik betreten, und die Schmel- zungen, beziehungsweise das Ausgiessen fand in einem abgeschlossenen Gebäude in der Nacht statt. Natürlich gingen mancherlei Mut- massungen über den Stahlschmelzprozess um. Die verbreitetste Mei- nung ging dahin, dass es ein besonderes Flussmittel sein müsse, welches das Schmelzen des Stahls befördere, und in Arbeiterkreisen erzählte man sich, dass zerbrochene Glasflaschen dazu verwendet würden. Viele Bestechungsversuche wurden gemacht, doch ohne Erfolg. Vermutlich hielt Huntsman seine Leute in dem Glauben, dass das Flussmittel, das er wahrscheinlich selbst zusetzte, die Seele des Geheimnisses wäre. Dies lässt sich deshalb annehmen, weil die- jenigen Fabrikanten, welche durch Spionieren und Bestechen hinter das Geheimnis gekommen zu sein glaubten, bei ihren Versuchen Stahl zu schmelzen, ebenfalls aus dem Flussmittel ein grosses Ge- heimnis machten und dasselbe eigenhändig vor dem Verschliessen der Tiegel aufgaben. Endlich gelang es einem der Konkurrenten, namens Walker, einem Eisengiesser, welcher seine Fabrik zu Greenside bei Sheffield hatte, auf verräterische Weise sich in den Besitz des Geheimnisses zu setzen 1).
An einem kalten Winterabend, als der Schnee in dichten Flocken niederfiel, und die Fabrik ihren roten Lichtschein über die Nachbar- schaft warf, kam ein Mensch elend und zerrissen an das Thor und flehte um die Erlaubnis sich wärmen zu dürfen und um ein Obdach. Die menschenfreundlichen Arbeiter konnten seinen Bitten nicht wider- stehen und gewährten ihm ein Lager in einem warmen Winkel des Gebäudes. Schärfere Augen würden wohl wenig Schlaf in der er-
1) S. The useful metals and their alloys p. 348 und Smiles, a. a. O. p. 108; auch Percy, Iron and Steel, p. 829.
Die Erfindung des Guſsstahls.
Handel nicht ganz an Frankreich verlieren wollten, gezwungen, Guſs- stahl zu verarbeiten. Damit hatte Huntsman sein Ziel erreicht; sein Absatz und seine Fabrikation nahmen groſsen Aufschwung. Aber nun begann ein neuer Kampf für ihn. Der Neid der Stahl- fabrikanten miſsgönnte ihm seinen Erfolg und suchte ihm seinen Vorteil zu entreiſsen. Da Huntsman durch kein Patent geschützt war, so war seine Erfindung vogelfrei, wenn es nur jemand gelang, hinter sein Geheimnis, das er so ängstlich behütete, zu kommen. Es fehlte nicht an gewissenlosen Menschen, welche dies auf unehr- liche Weise versuchten. Aber Huntsman war auf seiner Hut. Alle seine Arbeiter hatten sich ihm zu unverbrüchlichem Schweigen ver- pflichtet, kein Fremder durfte die Fabrik betreten, und die Schmel- zungen, beziehungsweise das Ausgieſsen fand in einem abgeschlossenen Gebäude in der Nacht statt. Natürlich gingen mancherlei Mut- maſsungen über den Stahlschmelzprozeſs um. Die verbreitetste Mei- nung ging dahin, daſs es ein besonderes Fluſsmittel sein müsse, welches das Schmelzen des Stahls befördere, und in Arbeiterkreisen erzählte man sich, daſs zerbrochene Glasflaschen dazu verwendet würden. Viele Bestechungsversuche wurden gemacht, doch ohne Erfolg. Vermutlich hielt Huntsman seine Leute in dem Glauben, daſs das Fluſsmittel, das er wahrscheinlich selbst zusetzte, die Seele des Geheimnisses wäre. Dies läſst sich deshalb annehmen, weil die- jenigen Fabrikanten, welche durch Spionieren und Bestechen hinter das Geheimnis gekommen zu sein glaubten, bei ihren Versuchen Stahl zu schmelzen, ebenfalls aus dem Fluſsmittel ein groſses Ge- heimnis machten und dasselbe eigenhändig vor dem Verschlieſsen der Tiegel aufgaben. Endlich gelang es einem der Konkurrenten, namens Walker, einem Eisengieſser, welcher seine Fabrik zu Greenside bei Sheffield hatte, auf verräterische Weise sich in den Besitz des Geheimnisses zu setzen 1).
An einem kalten Winterabend, als der Schnee in dichten Flocken niederfiel, und die Fabrik ihren roten Lichtschein über die Nachbar- schaft warf, kam ein Mensch elend und zerrissen an das Thor und flehte um die Erlaubnis sich wärmen zu dürfen und um ein Obdach. Die menschenfreundlichen Arbeiter konnten seinen Bitten nicht wider- stehen und gewährten ihm ein Lager in einem warmen Winkel des Gebäudes. Schärfere Augen würden wohl wenig Schlaf in der er-
1) S. The useful metals and their alloys p. 348 und Smiles, a. a. O. p. 108; auch Percy, Iron and Steel, p. 829.
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Die Erfindung des Guſsstahls.
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stahl zu verarbeiten. Damit hatte Huntsman sein Ziel erreicht;
sein Absatz und seine Fabrikation nahmen groſsen Aufschwung.
Aber nun begann ein neuer Kampf für ihn. Der Neid der Stahl-
fabrikanten miſsgönnte ihm seinen Erfolg und suchte ihm seinen
Vorteil zu entreiſsen. Da Huntsman durch kein Patent geschützt
war, so war seine Erfindung vogelfrei, wenn es nur jemand gelang,
hinter sein Geheimnis, das er so ängstlich behütete, zu kommen.
Es fehlte nicht an gewissenlosen Menschen, welche dies auf unehr-
liche Weise versuchten. Aber Huntsman war auf seiner Hut. Alle
seine Arbeiter hatten sich ihm zu unverbrüchlichem Schweigen ver-
pflichtet, kein Fremder durfte die Fabrik betreten, und die Schmel-
zungen, beziehungsweise das Ausgieſsen fand in einem abgeschlossenen
Gebäude in der Nacht statt. Natürlich gingen mancherlei Mut-
maſsungen über den Stahlschmelzprozeſs um. Die verbreitetste Mei-
nung ging dahin, daſs es ein besonderes Fluſsmittel sein müsse,
welches das Schmelzen des Stahls befördere, und in Arbeiterkreisen
erzählte man sich, daſs zerbrochene Glasflaschen dazu verwendet
würden. Viele Bestechungsversuche wurden gemacht, doch ohne Erfolg.
Vermutlich hielt Huntsman seine Leute in dem Glauben, daſs
das Fluſsmittel, das er wahrscheinlich selbst zusetzte, die Seele
des Geheimnisses wäre. Dies läſst sich deshalb annehmen, weil die-
jenigen Fabrikanten, welche durch Spionieren und Bestechen hinter
das Geheimnis gekommen zu sein glaubten, bei ihren Versuchen
Stahl zu schmelzen, ebenfalls aus dem Fluſsmittel ein groſses Ge-
heimnis machten und dasselbe eigenhändig vor dem Verschlieſsen der
Tiegel aufgaben. Endlich gelang es einem der Konkurrenten, namens
Walker, einem Eisengieſser, welcher seine Fabrik zu Greenside bei
Sheffield hatte, auf verräterische Weise sich in den Besitz des
Geheimnisses zu setzen 1).
An einem kalten Winterabend, als der Schnee in dichten Flocken
niederfiel, und die Fabrik ihren roten Lichtschein über die Nachbar-
schaft warf, kam ein Mensch elend und zerrissen an das Thor und
flehte um die Erlaubnis sich wärmen zu dürfen und um ein Obdach.
Die menschenfreundlichen Arbeiter konnten seinen Bitten nicht wider-
stehen und gewährten ihm ein Lager in einem warmen Winkel des
Gebäudes. Schärfere Augen würden wohl wenig Schlaf in der er-
1) S. The useful metals and their alloys p. 348 und Smiles, a. a. O. p. 108;
auch Percy, Iron and Steel, p. 829.
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Beck, Ludwig: Die Geschichte des Eisens. Bd. 3: Das XVIII. Jahrhundert. Braunschweig, 1897, S. 276. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/beck_eisen03_1897/290>, abgerufen am 23.11.2024.
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