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Beck, Ludwig: Die Geschichte des Eisens. Bd. 3: Das XVIII. Jahrhundert. Braunschweig, 1897.

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Die Erfindung des Gussstahls
leicht absetzen könnte. Er muss seiner Sache schon ziemlich sicher
gewesen sein, als er seinen Wohnsitz und sein Geschäft aufgab, um
in Handsworth sich ganz der Stahlbereitung zu widmen. Aus diesem
Grunde wird es gerechtfertigt erscheinen, anzunehmen, dass, als
Huntsman seinen Umzug bewerkstelligte, der Gussstahl wenigstens
im kleinen bereits erfunden war, man darf also wohl das Jahr 1740
als das Jahr der Erfindung des Gussstahls bezeichnen. In Handsworth
machte er aber erst die entscheidenden Versuche im grossen und
ging vom Experiment zur Fabrikation über. Er betrieb das eine wie
das andere ganz im geheimen, wozu die abgelegene Lage seiner
Fabrik, einige englische Meilen südlich von Handsworth, günstig war.
Die Schwierigkeiten, die er zu überwinden hatte, waren enorm. Für
die Schmelzung des Stahls waren Hitzegrade erforderlich, wie sie
bis dahin bei keinem metallurgischen Prozess in Anwendung gekom-
men waren. Der dazu geeignete Ofen, das beste Brennmaterial, die
feuerbeständigen Tiegel, der Schmelzfluss, die Eingussformen, -- alles
das musste erst gesucht, gefunden und ausprobiert werden, ehe eine
Fabrikation möglich war. Es dauerte Jahre lang, ehe Huntsman
ein Produkt erhielt, das ihn befriedigte und das er auf den Markt
bringen konnte. Lange nach seinem Tode fand man die Zeugnisse
seiner mühevollen, fehlgeschlagenen Versuche in vielen Centnern Stahl,
die man an verschiedenen Plätzen in der Nähe der Fabrik ausgrub.
Dort hatte er diese Schmerzenskinder vergraben, damit sie sein Ge-
heimnis nicht verraten sollten. Aus ihnen konnte man erkennen,
wie er unablässig seine Idee verfolgte, Stahl in geschlossenen Tiegeln
mit einem Flussmittel bei höchster Hitze zu schmelzen. Und als er
endlich am Ziele glücklich angelangt schien, erwuchsen ihm neue
Schwierigkeiten durch Vorurteil und Neid der englischen Stahlwaren-
fabrikanten und durch Verrat anderer, die sein Geheimnis stehlen
wollten. Bei der Tiegelgussstahlfabrikation handelt es sich nicht um
eine Stahlerzeugung, sondern nur um eine Stahlreinigung und Um-
wandlung in ein gleichförmiges, geschlossenes Produkt. Schweiss- oder
Cementstahl wird durch Umschmelzen im Tiegel in Gussstahl verwandelt.
Die Gleichförmigkeit des Metalls (homogenious metal) war der Zweck
der Operation, und er wurde erreicht durch die einfachen Hilfsmittel,
welche Huntsman anwendete: Tiegel vom besten, feuerfesten
Material, wofür er wahrscheinlich Stourbridge-Thon verwendete,
feste, in geschlossenen, sogenannten Bienenkorböfen, hergestellte
Koks und einen Windofen mit hoher Esse. Es sind dieselben Mittel,
welche noch heute in Anwendung sind.


Die Erfindung des Guſsstahls
leicht absetzen könnte. Er muſs seiner Sache schon ziemlich sicher
gewesen sein, als er seinen Wohnsitz und sein Geschäft aufgab, um
in Handsworth sich ganz der Stahlbereitung zu widmen. Aus diesem
Grunde wird es gerechtfertigt erscheinen, anzunehmen, daſs, als
Huntsman seinen Umzug bewerkstelligte, der Guſsstahl wenigstens
im kleinen bereits erfunden war, man darf also wohl das Jahr 1740
als das Jahr der Erfindung des Guſsstahls bezeichnen. In Handsworth
machte er aber erst die entscheidenden Versuche im groſsen und
ging vom Experiment zur Fabrikation über. Er betrieb das eine wie
das andere ganz im geheimen, wozu die abgelegene Lage seiner
Fabrik, einige englische Meilen südlich von Handsworth, günstig war.
Die Schwierigkeiten, die er zu überwinden hatte, waren enorm. Für
die Schmelzung des Stahls waren Hitzegrade erforderlich, wie sie
bis dahin bei keinem metallurgischen Prozeſs in Anwendung gekom-
men waren. Der dazu geeignete Ofen, das beste Brennmaterial, die
feuerbeständigen Tiegel, der Schmelzfluſs, die Einguſsformen, — alles
das muſste erst gesucht, gefunden und ausprobiert werden, ehe eine
Fabrikation möglich war. Es dauerte Jahre lang, ehe Huntsman
ein Produkt erhielt, das ihn befriedigte und das er auf den Markt
bringen konnte. Lange nach seinem Tode fand man die Zeugnisse
seiner mühevollen, fehlgeschlagenen Versuche in vielen Centnern Stahl,
die man an verschiedenen Plätzen in der Nähe der Fabrik ausgrub.
Dort hatte er diese Schmerzenskinder vergraben, damit sie sein Ge-
heimnis nicht verraten sollten. Aus ihnen konnte man erkennen,
wie er unablässig seine Idee verfolgte, Stahl in geschlossenen Tiegeln
mit einem Fluſsmittel bei höchster Hitze zu schmelzen. Und als er
endlich am Ziele glücklich angelangt schien, erwuchsen ihm neue
Schwierigkeiten durch Vorurteil und Neid der englischen Stahlwaren-
fabrikanten und durch Verrat anderer, die sein Geheimnis stehlen
wollten. Bei der Tiegelguſsstahlfabrikation handelt es sich nicht um
eine Stahlerzeugung, sondern nur um eine Stahlreinigung und Um-
wandlung in ein gleichförmiges, geschlossenes Produkt. Schweiſs- oder
Cementstahl wird durch Umschmelzen im Tiegel in Guſsstahl verwandelt.
Die Gleichförmigkeit des Metalls (homogenious metal) war der Zweck
der Operation, und er wurde erreicht durch die einfachen Hilfsmittel,
welche Huntsman anwendete: Tiegel vom besten, feuerfesten
Material, wofür er wahrscheinlich Stourbridge-Thon verwendete,
feste, in geschlossenen, sogenannten Bienenkorböfen, hergestellte
Koks und einen Windofen mit hoher Esse. Es sind dieselben Mittel,
welche noch heute in Anwendung sind.


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[274/0288] Die Erfindung des Guſsstahls leicht absetzen könnte. Er muſs seiner Sache schon ziemlich sicher gewesen sein, als er seinen Wohnsitz und sein Geschäft aufgab, um in Handsworth sich ganz der Stahlbereitung zu widmen. Aus diesem Grunde wird es gerechtfertigt erscheinen, anzunehmen, daſs, als Huntsman seinen Umzug bewerkstelligte, der Guſsstahl wenigstens im kleinen bereits erfunden war, man darf also wohl das Jahr 1740 als das Jahr der Erfindung des Guſsstahls bezeichnen. In Handsworth machte er aber erst die entscheidenden Versuche im groſsen und ging vom Experiment zur Fabrikation über. Er betrieb das eine wie das andere ganz im geheimen, wozu die abgelegene Lage seiner Fabrik, einige englische Meilen südlich von Handsworth, günstig war. Die Schwierigkeiten, die er zu überwinden hatte, waren enorm. Für die Schmelzung des Stahls waren Hitzegrade erforderlich, wie sie bis dahin bei keinem metallurgischen Prozeſs in Anwendung gekom- men waren. Der dazu geeignete Ofen, das beste Brennmaterial, die feuerbeständigen Tiegel, der Schmelzfluſs, die Einguſsformen, — alles das muſste erst gesucht, gefunden und ausprobiert werden, ehe eine Fabrikation möglich war. Es dauerte Jahre lang, ehe Huntsman ein Produkt erhielt, das ihn befriedigte und das er auf den Markt bringen konnte. Lange nach seinem Tode fand man die Zeugnisse seiner mühevollen, fehlgeschlagenen Versuche in vielen Centnern Stahl, die man an verschiedenen Plätzen in der Nähe der Fabrik ausgrub. Dort hatte er diese Schmerzenskinder vergraben, damit sie sein Ge- heimnis nicht verraten sollten. Aus ihnen konnte man erkennen, wie er unablässig seine Idee verfolgte, Stahl in geschlossenen Tiegeln mit einem Fluſsmittel bei höchster Hitze zu schmelzen. Und als er endlich am Ziele glücklich angelangt schien, erwuchsen ihm neue Schwierigkeiten durch Vorurteil und Neid der englischen Stahlwaren- fabrikanten und durch Verrat anderer, die sein Geheimnis stehlen wollten. Bei der Tiegelguſsstahlfabrikation handelt es sich nicht um eine Stahlerzeugung, sondern nur um eine Stahlreinigung und Um- wandlung in ein gleichförmiges, geschlossenes Produkt. Schweiſs- oder Cementstahl wird durch Umschmelzen im Tiegel in Guſsstahl verwandelt. Die Gleichförmigkeit des Metalls (homogenious metal) war der Zweck der Operation, und er wurde erreicht durch die einfachen Hilfsmittel, welche Huntsman anwendete: Tiegel vom besten, feuerfesten Material, wofür er wahrscheinlich Stourbridge-Thon verwendete, feste, in geschlossenen, sogenannten Bienenkorböfen, hergestellte Koks und einen Windofen mit hoher Esse. Es sind dieselben Mittel, welche noch heute in Anwendung sind.

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Zitationshilfe: Beck, Ludwig: Die Geschichte des Eisens. Bd. 3: Das XVIII. Jahrhundert. Braunschweig, 1897, S. 274. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/beck_eisen03_1897/288>, abgerufen am 23.11.2024.