Huntsman war Uhrmacher, ein geschickter und sehr peinlicher Arbeiter, der grossen Wert auf gute Werkzeuge und infolgedessen auf guten Stahl legte. Auch für seine Uhrfedern bedurfte er eines ganz zuverlässigen Materials. Für den einen wie für den andern Zweck war ihm der Stahl, wie er ihn damals kaufen musste, unge- nügend. Auf diesem Nährboden entwickelte sich die Idee der Guss- stahlbereitung.
Über die persönlichen Verhältnisse des Erfinders und über die Entstehung der Erfindung wissen wir nur sehr wenig. Huntsman hat weder jemals etwas geschrieben noch hat er ein Patent für seine Erfindung genommen. Er hielt dieselbe mit der grössten Vorsicht geheim und hat deshalb auch über ihren Ursprung nichts mitgeteilt.
Benjamin Huntsman1) wurde 1704 in Lincolnshire geboren. Seine Eltern stammten aus Deutschland und hatten sich erst wenige Jahre zuvor dort niedergelassen. Da der Knabe von rascher Auf- fassung war, wurde er für ein mechanisches Gewerbe bestimmt. Er erwarb sich früh einen gewissen Ruf durch seine Geschicklichkeit, Uhren zu reparieren und liess sich daraufhin, als er das nötige Alter erlangt hatte, als Uhrmacher in Doncaster nieder. Wie es die Zunft mit sich brachte, beschäftigte er sich nebenher mit allerlei Arbeiten eines Mechanikers, reparierte Schlösser, Schornsteinkappen, Bratenwender u. s. w. Er war sehr klug, beobachtend, nachdenkend und praktisch und erwarb sich neben seinem Geschäft einen Ruf als Wundarzt. Er war ein geschickter Chirurg und war besonders ge- schätzt als Augenarzt, was er nur seiner Beobachtung, Erfahrung und Geschicklichkeit, nicht theoretischen Studien verdankte. Viele suchten bei dem weisen Quäker, denn ein solcher war er, Hilfe, der jedem gern half und keine Bezahlung dafür nahm.
Er machte sich seine Werkzeuge selbst und empfand dabei, wie bei den Uhrfedern, oft den Mangel an gutem, zuverlässigem Stahl. Der beste Werkzeugstahl war damals der deutsche Stahl. Die Cementstahlfabrikation hatte zwar in England Eingang gefunden und verschaffte sich mehr und mehr Geltung. Der Stahl, den sie lieferte, konnte aber mit gutem deutschen Stahl namentlich als Werkzeug- stahl nicht wetteifern. Der Grund dafür lag zum Teil in dem Pro- dukt selbst, zum Teil darin, dass man noch nicht verstand, den Cementstahl richtig zu gärben. Man schmiedete die Brennstahlstäbe, nachdem sie gehärtet und sortiert waren, einfach in wiederholten
1) S. Smiles, Industrial biography, p. 103.
Die Erfindung des Guſsstahls.
Huntsman war Uhrmacher, ein geschickter und sehr peinlicher Arbeiter, der groſsen Wert auf gute Werkzeuge und infolgedessen auf guten Stahl legte. Auch für seine Uhrfedern bedurfte er eines ganz zuverlässigen Materials. Für den einen wie für den andern Zweck war ihm der Stahl, wie er ihn damals kaufen muſste, unge- nügend. Auf diesem Nährboden entwickelte sich die Idee der Guſs- stahlbereitung.
Über die persönlichen Verhältnisse des Erfinders und über die Entstehung der Erfindung wissen wir nur sehr wenig. Huntsman hat weder jemals etwas geschrieben noch hat er ein Patent für seine Erfindung genommen. Er hielt dieselbe mit der gröſsten Vorsicht geheim und hat deshalb auch über ihren Ursprung nichts mitgeteilt.
Benjamin Huntsman1) wurde 1704 in Lincolnshire geboren. Seine Eltern stammten aus Deutschland und hatten sich erst wenige Jahre zuvor dort niedergelassen. Da der Knabe von rascher Auf- fassung war, wurde er für ein mechanisches Gewerbe bestimmt. Er erwarb sich früh einen gewissen Ruf durch seine Geschicklichkeit, Uhren zu reparieren und lieſs sich daraufhin, als er das nötige Alter erlangt hatte, als Uhrmacher in Doncaster nieder. Wie es die Zunft mit sich brachte, beschäftigte er sich nebenher mit allerlei Arbeiten eines Mechanikers, reparierte Schlösser, Schornsteinkappen, Bratenwender u. s. w. Er war sehr klug, beobachtend, nachdenkend und praktisch und erwarb sich neben seinem Geschäft einen Ruf als Wundarzt. Er war ein geschickter Chirurg und war besonders ge- schätzt als Augenarzt, was er nur seiner Beobachtung, Erfahrung und Geschicklichkeit, nicht theoretischen Studien verdankte. Viele suchten bei dem weisen Quäker, denn ein solcher war er, Hilfe, der jedem gern half und keine Bezahlung dafür nahm.
Er machte sich seine Werkzeuge selbst und empfand dabei, wie bei den Uhrfedern, oft den Mangel an gutem, zuverlässigem Stahl. Der beste Werkzeugstahl war damals der deutsche Stahl. Die Cementstahlfabrikation hatte zwar in England Eingang gefunden und verschaffte sich mehr und mehr Geltung. Der Stahl, den sie lieferte, konnte aber mit gutem deutschen Stahl namentlich als Werkzeug- stahl nicht wetteifern. Der Grund dafür lag zum Teil in dem Pro- dukt selbst, zum Teil darin, daſs man noch nicht verstand, den Cementstahl richtig zu gärben. Man schmiedete die Brennstahlstäbe, nachdem sie gehärtet und sortiert waren, einfach in wiederholten
1) S. Smiles, Industrial biography, p. 103.
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[272/0286]
Die Erfindung des Guſsstahls.
Huntsman war Uhrmacher, ein geschickter und sehr peinlicher
Arbeiter, der groſsen Wert auf gute Werkzeuge und infolgedessen
auf guten Stahl legte. Auch für seine Uhrfedern bedurfte er eines
ganz zuverlässigen Materials. Für den einen wie für den andern
Zweck war ihm der Stahl, wie er ihn damals kaufen muſste, unge-
nügend. Auf diesem Nährboden entwickelte sich die Idee der Guſs-
stahlbereitung.
Über die persönlichen Verhältnisse des Erfinders und über die
Entstehung der Erfindung wissen wir nur sehr wenig. Huntsman
hat weder jemals etwas geschrieben noch hat er ein Patent für seine
Erfindung genommen. Er hielt dieselbe mit der gröſsten Vorsicht
geheim und hat deshalb auch über ihren Ursprung nichts mitgeteilt.
Benjamin Huntsman 1) wurde 1704 in Lincolnshire geboren.
Seine Eltern stammten aus Deutschland und hatten sich erst wenige
Jahre zuvor dort niedergelassen. Da der Knabe von rascher Auf-
fassung war, wurde er für ein mechanisches Gewerbe bestimmt. Er
erwarb sich früh einen gewissen Ruf durch seine Geschicklichkeit,
Uhren zu reparieren und lieſs sich daraufhin, als er das nötige
Alter erlangt hatte, als Uhrmacher in Doncaster nieder. Wie es die
Zunft mit sich brachte, beschäftigte er sich nebenher mit allerlei
Arbeiten eines Mechanikers, reparierte Schlösser, Schornsteinkappen,
Bratenwender u. s. w. Er war sehr klug, beobachtend, nachdenkend
und praktisch und erwarb sich neben seinem Geschäft einen Ruf als
Wundarzt. Er war ein geschickter Chirurg und war besonders ge-
schätzt als Augenarzt, was er nur seiner Beobachtung, Erfahrung und
Geschicklichkeit, nicht theoretischen Studien verdankte. Viele suchten
bei dem weisen Quäker, denn ein solcher war er, Hilfe, der jedem
gern half und keine Bezahlung dafür nahm.
Er machte sich seine Werkzeuge selbst und empfand dabei, wie
bei den Uhrfedern, oft den Mangel an gutem, zuverlässigem Stahl.
Der beste Werkzeugstahl war damals der deutsche Stahl. Die
Cementstahlfabrikation hatte zwar in England Eingang gefunden und
verschaffte sich mehr und mehr Geltung. Der Stahl, den sie lieferte,
konnte aber mit gutem deutschen Stahl namentlich als Werkzeug-
stahl nicht wetteifern. Der Grund dafür lag zum Teil in dem Pro-
dukt selbst, zum Teil darin, daſs man noch nicht verstand, den
Cementstahl richtig zu gärben. Man schmiedete die Brennstahlstäbe,
nachdem sie gehärtet und sortiert waren, einfach in wiederholten
1) S. Smiles, Industrial biography, p. 103.
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Beck, Ludwig: Die Geschichte des Eisens. Bd. 3: Das XVIII. Jahrhundert. Braunschweig, 1897, S. 272. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/beck_eisen03_1897/286>, abgerufen am 23.11.2024.
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