allem den Vortritt. Die Kaufleute des St. Peterhofes sonderten sich in Landsmannschaften (Mascopien). Sie waren eingeteilt in Meister, Knappen und Jungen, die in einem riesigen Gebäude, "das Dornsen" genannt, wohnten. St. Peterhof bildete einen Stadtteil ähnlich dem Stahlhofe in London, mit eigenen Krankenhäusern, Bierbrauereien u. s. w. Auch war immer eine Anzahl deutscher Knaben unter 20 Jahren zur Erlernung der russischen Sprache da, deren Kenntnis für das Ge- schäft unerlässlich war. Beim Handel mit den Russen war die grösste Vorsicht nötig. Kein Russe durfte in St. Peterhof über Nacht bleiben. Das ganze Quartier war mit ausgedehnten Schutz- vorkehrungen umgeben. Der Kassenüberschuss wurde nach alter Sitte und "der Willkür der gemeinen Deutschen aus allen Ständen" -- so hiess das Gesetzbuch -- nach Gotland abgeführt, um in dem St. Peterskasten der Marienkirche zu Wisby (welches damals noch die Quartierstadt des Ostens war) aufbewahrt zu werden. Die vier zum Kasten gehörigen Schlüssel wurden der Obhut je eines Aldermannes von Wisby, Lübeck, Soest und Dortmund anvertraut. Zwischen Wisby, welches an der Spitze der Gotland-Kaufleute stand und Lübeck, dem Haupte des grossen Hansabundes, herrschte fortwährend Eifersucht, bis Wisbys Macht 1361 durch die Dänen vernichtet wurde. Nach Wisbys Fall wuchs die Bedeutung Rigas, und dieses, sowie die beiden andern grossen liefländischen Handelsstädte, Reval und Dorpat, suchten den Handel in Nowgorod in der Weise für sich auszubeuten, dass alle Hanseaten durch ihre Vermittelung kaufen und verkaufen sollten. Dies gab zu vielen Streitigkeiten mit Lübeck Veranlassung. Da voll- zog sich von Moskau aus eine Umwälzung innerhalb Russlands, welche dem Handel neue Bahnen wies und die reichen Kaufhöfe der Deut- schen in Gross-Nowgorod für immer verödete.
"Die Tage der Unabhängigkeit Nowgorods waren gezählt 1), seit Iwan III. Wassiljewitsch den Thron Ruriks bestiegen hatte. Diesem Fürsten, der als Gemahl einer Nichte des letzten Griechenkaisers sich den Zarentitel beilegte und den Doppeladler als Reichswappen an- nahm, verdankt Russland seine Befreiung vom Joche der Tataren, seine Einheit, sein geschriebenes Recht und -- seine Knute." Die Geschichte nennt ihn "den Grossen", aber auch "den Furchtbaren". Nowgorods Macht war ihm unerträglich. Er bekriegte den Freistaat, schlug die Nowgoroder in der Schlacht an der Schalona am 14. Juli 1471 und unterwarf es seinem starken Scepter. Aber Nowgorod erhob
1) Siehe Winckler, a. a. O., S. 51.
37*
Der Eisenhandel und die deutsche Hansa.
allem den Vortritt. Die Kaufleute des St. Peterhofes sonderten sich in Landsmannschaften (Mascopien). Sie waren eingeteilt in Meister, Knappen und Jungen, die in einem riesigen Gebäude, „das Dornsen“ genannt, wohnten. St. Peterhof bildete einen Stadtteil ähnlich dem Stahlhofe in London, mit eigenen Krankenhäusern, Bierbrauereien u. s. w. Auch war immer eine Anzahl deutscher Knaben unter 20 Jahren zur Erlernung der russischen Sprache da, deren Kenntnis für das Ge- schäft unerläſslich war. Beim Handel mit den Russen war die gröſste Vorsicht nötig. Kein Russe durfte in St. Peterhof über Nacht bleiben. Das ganze Quartier war mit ausgedehnten Schutz- vorkehrungen umgeben. Der Kassenüberschuſs wurde nach alter Sitte und „der Willkür der gemeinen Deutschen aus allen Ständen“ — so hieſs das Gesetzbuch — nach Gotland abgeführt, um in dem St. Peterskasten der Marienkirche zu Wisby (welches damals noch die Quartierstadt des Ostens war) aufbewahrt zu werden. Die vier zum Kasten gehörigen Schlüssel wurden der Obhut je eines Aldermannes von Wisby, Lübeck, Soest und Dortmund anvertraut. Zwischen Wisby, welches an der Spitze der Gotland-Kaufleute stand und Lübeck, dem Haupte des groſsen Hansabundes, herrschte fortwährend Eifersucht, bis Wisbys Macht 1361 durch die Dänen vernichtet wurde. Nach Wisbys Fall wuchs die Bedeutung Rigas, und dieses, sowie die beiden andern groſsen liefländischen Handelsstädte, Reval und Dorpat, suchten den Handel in Nowgorod in der Weise für sich auszubeuten, daſs alle Hanseaten durch ihre Vermittelung kaufen und verkaufen sollten. Dies gab zu vielen Streitigkeiten mit Lübeck Veranlassung. Da voll- zog sich von Moskau aus eine Umwälzung innerhalb Ruſslands, welche dem Handel neue Bahnen wies und die reichen Kaufhöfe der Deut- schen in Groſs-Nowgorod für immer verödete.
„Die Tage der Unabhängigkeit Nowgorods waren gezählt 1), seit Iwan III. Wassiljewitsch den Thron Ruriks bestiegen hatte. Diesem Fürsten, der als Gemahl einer Nichte des letzten Griechenkaisers sich den Zarentitel beilegte und den Doppeladler als Reichswappen an- nahm, verdankt Ruſsland seine Befreiung vom Joche der Tataren, seine Einheit, sein geschriebenes Recht und — seine Knute.“ Die Geschichte nennt ihn „den Groſsen“, aber auch „den Furchtbaren“. Nowgorods Macht war ihm unerträglich. Er bekriegte den Freistaat, schlug die Nowgoroder in der Schlacht an der Schalona am 14. Juli 1471 und unterwarf es seinem starken Scepter. Aber Nowgorod erhob
1) Siehe Winckler, a. a. O., S. 51.
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Der Eisenhandel und die deutsche Hansa.
allem den Vortritt. Die Kaufleute des St. Peterhofes sonderten sich
in Landsmannschaften (Mascopien). Sie waren eingeteilt in Meister,
Knappen und Jungen, die in einem riesigen Gebäude, „das Dornsen“
genannt, wohnten. St. Peterhof bildete einen Stadtteil ähnlich dem
Stahlhofe in London, mit eigenen Krankenhäusern, Bierbrauereien u. s. w.
Auch war immer eine Anzahl deutscher Knaben unter 20 Jahren zur
Erlernung der russischen Sprache da, deren Kenntnis für das Ge-
schäft unerläſslich war. Beim Handel mit den Russen war die
gröſste Vorsicht nötig. Kein Russe durfte in St. Peterhof über
Nacht bleiben. Das ganze Quartier war mit ausgedehnten Schutz-
vorkehrungen umgeben. Der Kassenüberschuſs wurde nach alter
Sitte und „der Willkür der gemeinen Deutschen aus allen Ständen“
— so hieſs das Gesetzbuch — nach Gotland abgeführt, um in dem
St. Peterskasten der Marienkirche zu Wisby (welches damals noch die
Quartierstadt des Ostens war) aufbewahrt zu werden. Die vier zum
Kasten gehörigen Schlüssel wurden der Obhut je eines Aldermannes
von Wisby, Lübeck, Soest und Dortmund anvertraut. Zwischen Wisby,
welches an der Spitze der Gotland-Kaufleute stand und Lübeck, dem
Haupte des groſsen Hansabundes, herrschte fortwährend Eifersucht,
bis Wisbys Macht 1361 durch die Dänen vernichtet wurde. Nach
Wisbys Fall wuchs die Bedeutung Rigas, und dieses, sowie die beiden
andern groſsen liefländischen Handelsstädte, Reval und Dorpat, suchten
den Handel in Nowgorod in der Weise für sich auszubeuten, daſs alle
Hanseaten durch ihre Vermittelung kaufen und verkaufen sollten.
Dies gab zu vielen Streitigkeiten mit Lübeck Veranlassung. Da voll-
zog sich von Moskau aus eine Umwälzung innerhalb Ruſslands, welche
dem Handel neue Bahnen wies und die reichen Kaufhöfe der Deut-
schen in Groſs-Nowgorod für immer verödete.
„Die Tage der Unabhängigkeit Nowgorods waren gezählt 1), seit
Iwan III. Wassiljewitsch den Thron Ruriks bestiegen hatte. Diesem
Fürsten, der als Gemahl einer Nichte des letzten Griechenkaisers sich
den Zarentitel beilegte und den Doppeladler als Reichswappen an-
nahm, verdankt Ruſsland seine Befreiung vom Joche der Tataren,
seine Einheit, sein geschriebenes Recht und — seine Knute.“ Die
Geschichte nennt ihn „den Groſsen“, aber auch „den Furchtbaren“.
Nowgorods Macht war ihm unerträglich. Er bekriegte den Freistaat,
schlug die Nowgoroder in der Schlacht an der Schalona am 14. Juli
1471 und unterwarf es seinem starken Scepter. Aber Nowgorod erhob
1) Siehe Winckler, a. a. O., S. 51.
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Beck, Ludwig: Die Geschichte des Eisens. Bd. 2: Das XVI. und XVII. Jahrhundert. Braunschweig, 1895, S. 579. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/beck_eisen02_1895/599>, abgerufen am 22.11.2024.
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