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Beck, Ludwig: Die Geschichte des Eisens. Bd. 2: Das XVI. und XVII. Jahrhundert. Braunschweig, 1895.

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Die Waffenschmiedekunst im 16. Jahrhundert.
sammengelötet. Über die Entwickelung der Hauben- und Helm-
formen bis zum Ausgange des 15. Jahrhunderts haben wir im ersten
Bande (S. 866 bis 870) berichtet. Um diese Zeit wurde der Visierhelm
allgemein gebräuchlich, und zwar wurde sowohl die Schale (Schaller,
salade) mit Visier versehen, als die Kesselhaube. Die erstere Art
erhielt ihre schönste Entwickelung in dem Burgunderhelm. Bei
diesem war die Schale durch einen Kamm (crete) verstärkt und mit
Schirm, Wangenklappen und Nackenschutz versehen.

Der Hauptunterschied zwischen Burgunderhelm (bourgignot) und
gewöhnlichem Helm (armet) bestand darin, dass bei dem letzteren
die vorderen und rückwärtigen Halsreifen einfach den oberen Rand
des Kragens überragen, während bei dem Burgunderhelm der untere

[Abbildung] Fig. 111.
Rand nach innen hohlziegelartig ge-
kehlt ist und dass diese Kehlung bei
aufgestürztem Helm über den gewul-
steten Rand des Kragens greift, so
dass Helm und Kragen zu einem
Stücke verbunden erscheinen, wäh-
rend die Beweglichkeit vollständig
erhalten bleibt. "Er ging im Kragen
um (vergl. Fig. 100)." Durch die
Verbindung mit Halsberge und Bart-
haube wurden sie den eigentlichen
Visierhelmen ganz ähnlich. Diese
Helme wurden oft reich verziert; so
trug schon Philipp der Gute im Jahre 1443 einen solchen, der reich
mit Edelsteinen besetzt war. Einer der schönsten erhaltenen Bur-
gunderhelme mit prachtvoller Treibarbeit, die Geschichte des Äneas
darstellend, ist der in der kaiserlichen Waffensammlung zu Wien
befindliche, Fig. 111 abgebildete.

Der eigentliche Visierhelm, welchen die Deutschen im Gegensatz
zu dem grossen Topf- und Stechhelm den kleinen Helm oder Helmlin
(französisch armet, englisch helmet) nannten, entwickelte sich aus der
Kesselhaube (bacinet -- bassinet).

Er besteht aus dem festen Teile, welcher den Schädel schützt,
der Glocke (Helmdom, französisch tymbre, englisch bell) und den
beweglichen Teilen, die zum Schutze des Gesichtes dienen, und welche
die Franzosen unter der Bezeichnung le mezail zusammenfassen. Sie be-
stehen aus dem Kinnstück (ventail), welches die untere Hälfte des Ge-
sichtes umschloss und seitwärts aufgeschlagen wurde, wenn man das

Die Waffenschmiedekunst im 16. Jahrhundert.
sammengelötet. Über die Entwickelung der Hauben- und Helm-
formen bis zum Ausgange des 15. Jahrhunderts haben wir im ersten
Bande (S. 866 bis 870) berichtet. Um diese Zeit wurde der Visierhelm
allgemein gebräuchlich, und zwar wurde sowohl die Schale (Schaller,
salade) mit Visier versehen, als die Kesselhaube. Die erstere Art
erhielt ihre schönste Entwickelung in dem Burgunderhelm. Bei
diesem war die Schale durch einen Kamm (crête) verstärkt und mit
Schirm, Wangenklappen und Nackenschutz versehen.

Der Hauptunterschied zwischen Burgunderhelm (bourgignot) und
gewöhnlichem Helm (armet) bestand darin, daſs bei dem letzteren
die vorderen und rückwärtigen Halsreifen einfach den oberen Rand
des Kragens überragen, während bei dem Burgunderhelm der untere

[Abbildung] Fig. 111.
Rand nach innen hohlziegelartig ge-
kehlt ist und daſs diese Kehlung bei
aufgestürztem Helm über den gewul-
steten Rand des Kragens greift, so
daſs Helm und Kragen zu einem
Stücke verbunden erscheinen, wäh-
rend die Beweglichkeit vollständig
erhalten bleibt. „Er ging im Kragen
um (vergl. Fig. 100).“ Durch die
Verbindung mit Halsberge und Bart-
haube wurden sie den eigentlichen
Visierhelmen ganz ähnlich. Diese
Helme wurden oft reich verziert; so
trug schon Philipp der Gute im Jahre 1443 einen solchen, der reich
mit Edelsteinen besetzt war. Einer der schönsten erhaltenen Bur-
gunderhelme mit prachtvoller Treibarbeit, die Geschichte des Äneas
darstellend, ist der in der kaiserlichen Waffensammlung zu Wien
befindliche, Fig. 111 abgebildete.

Der eigentliche Visierhelm, welchen die Deutschen im Gegensatz
zu dem groſsen Topf- und Stechhelm den kleinen Helm oder Helmlin
(französisch armet, englisch helmet) nannten, entwickelte sich aus der
Kesselhaube (bacinet — bassinet).

Er besteht aus dem festen Teile, welcher den Schädel schützt,
der Glocke (Helmdom, französisch tymbre, englisch bell) und den
beweglichen Teilen, die zum Schutze des Gesichtes dienen, und welche
die Franzosen unter der Bezeichnung le mézail zusammenfassen. Sie be-
stehen aus dem Kinnstück (ventail), welches die untere Hälfte des Ge-
sichtes umschloſs und seitwärts aufgeschlagen wurde, wenn man das

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[389/0409] Die Waffenschmiedekunst im 16. Jahrhundert. sammengelötet. Über die Entwickelung der Hauben- und Helm- formen bis zum Ausgange des 15. Jahrhunderts haben wir im ersten Bande (S. 866 bis 870) berichtet. Um diese Zeit wurde der Visierhelm allgemein gebräuchlich, und zwar wurde sowohl die Schale (Schaller, salade) mit Visier versehen, als die Kesselhaube. Die erstere Art erhielt ihre schönste Entwickelung in dem Burgunderhelm. Bei diesem war die Schale durch einen Kamm (crête) verstärkt und mit Schirm, Wangenklappen und Nackenschutz versehen. Der Hauptunterschied zwischen Burgunderhelm (bourgignot) und gewöhnlichem Helm (armet) bestand darin, daſs bei dem letzteren die vorderen und rückwärtigen Halsreifen einfach den oberen Rand des Kragens überragen, während bei dem Burgunderhelm der untere [Abbildung Fig. 111.] Rand nach innen hohlziegelartig ge- kehlt ist und daſs diese Kehlung bei aufgestürztem Helm über den gewul- steten Rand des Kragens greift, so daſs Helm und Kragen zu einem Stücke verbunden erscheinen, wäh- rend die Beweglichkeit vollständig erhalten bleibt. „Er ging im Kragen um (vergl. Fig. 100).“ Durch die Verbindung mit Halsberge und Bart- haube wurden sie den eigentlichen Visierhelmen ganz ähnlich. Diese Helme wurden oft reich verziert; so trug schon Philipp der Gute im Jahre 1443 einen solchen, der reich mit Edelsteinen besetzt war. Einer der schönsten erhaltenen Bur- gunderhelme mit prachtvoller Treibarbeit, die Geschichte des Äneas darstellend, ist der in der kaiserlichen Waffensammlung zu Wien befindliche, Fig. 111 abgebildete. Der eigentliche Visierhelm, welchen die Deutschen im Gegensatz zu dem groſsen Topf- und Stechhelm den kleinen Helm oder Helmlin (französisch armet, englisch helmet) nannten, entwickelte sich aus der Kesselhaube (bacinet — bassinet). Er besteht aus dem festen Teile, welcher den Schädel schützt, der Glocke (Helmdom, französisch tymbre, englisch bell) und den beweglichen Teilen, die zum Schutze des Gesichtes dienen, und welche die Franzosen unter der Bezeichnung le mézail zusammenfassen. Sie be- stehen aus dem Kinnstück (ventail), welches die untere Hälfte des Ge- sichtes umschloſs und seitwärts aufgeschlagen wurde, wenn man das

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Zitationshilfe: Beck, Ludwig: Die Geschichte des Eisens. Bd. 2: Das XVI. und XVII. Jahrhundert. Braunschweig, 1895, S. 389. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/beck_eisen02_1895/409>, abgerufen am 25.11.2024.