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Beck, Ludwig: Die Geschichte des Eisens. Bd. 2: Das XVI. und XVII. Jahrhundert. Braunschweig, 1895.

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Einleitung.

Das Eisen, welches aus dem Ofen kommt, nennt man noch nicht
reines Eisen. Bald wird es durch einen andern Arbeiter der aber-
maligen Einwirkung des Feuers unterworfen und in einem Ofen ein
zweites Mal gereinigt, und er macht es genugsam weich, damit es
die Gestalt von Kugeln (Luppen) annimmt. Alsdann erscheinen ge-
schickte Arbeiter, es zu glätten und auszustrecken. Sie haben einen
ungeheuren Eisenhammer, durch die Gewalt des Wassers getrieben.
Sie erhitzen das Eisen noch einmal, indem sie es mit starken Zangen
ergreifen und in die Mitte des Feuers halten, um es, wenn es auf
Weissglut erhitzt ist, in die Gefässe, zu diesem Zwecke vorgerichtet,
zu tauchen. Darin ahmen sie den Chalybern nach, bei welchen der
Fluss Bibueras fliesst, dessen Wasser die Natur des Eisens weich
macht, geschmeidiger und geeigneter zur Herstellung von Waffen.
Hat das Feuer durchgewirkt, bearbeitet man es mit kräftigen Hammer-
schlägen. Die ganze Umgegend, Luft, Berge und Wälder hallen
davon wieder bis in ihre innersten Tiefen. Dann kann man die
Eisenstücke in überraschender Weise sich ausdehnen und die Form
langer, dünner Schnüre annehmen sehen; man könnte es für Wachs
halten. Wenn das Eisen gut geschmiedet und ausgeschlagen ist, war
es die Pflicht meines Vaters, es zum Wochenschlusse sorgfältig zu
wiegen. Alsdann sieht man rasch den Köhler, den Platzarbeiter, den
Schmelzer, die Schmiede heraneilen; sie versammeln sich freudig zur
Empfangnahme des festgesetzten Lohnes und freudig verlassen sie
meinen Vater. Mein Vater, um nicht Gefahr zu laufen, irgend einem
den rechtmässigen Lohn zu schmälern, führt ein Buch über den Ver-
dienst jeglichen Arbeiters; er will weder jemand betrügen, noch von
ihm betrogen sein. Solcherart weis er genau, was einem jeglichen
zukommt. Die Arbeiter, wenn sie das Geld in der Tasche haben,
kommen nun zusammen, um die Mühsale, die sie erlitten, in der Freude
eines Mahles zu vergessen. Wein und Fröhlichkeit beleben sie. Dieser
trinkt seinem Nachbar zu, welcher gierig an einem Knochen nagt; jener
ist zur Erde gesunken, vom Schlafe übermannt, und ermüdet von dem
schlechten Wein, den er getrunken. Das Haus erschallt von ihrem
Geschrei; eine unerhörte Verwirrung greift Platz; sie schwatzen die
verschiedenartigsten Dinge durcheinander. Man möchte glauben, La-
pithen vor sich zu sehen, wenn man sieht, wie die Becher durchs
Zimmer fliegen, Schlägereien entstehen, wobei Tische umgeworfen
werden und oft Blut fliesst. Solchen Aufregungen pflegt sich die länd-
liche Bevölkerung zu überlassen, wenn der Wein sie irre führt. Die
Folge dieser Ausschweifung aber ist, dass ein einziger Tag die Früchte

Einleitung.

Das Eisen, welches aus dem Ofen kommt, nennt man noch nicht
reines Eisen. Bald wird es durch einen andern Arbeiter der aber-
maligen Einwirkung des Feuers unterworfen und in einem Ofen ein
zweites Mal gereinigt, und er macht es genugsam weich, damit es
die Gestalt von Kugeln (Luppen) annimmt. Alsdann erscheinen ge-
schickte Arbeiter, es zu glätten und auszustrecken. Sie haben einen
ungeheuren Eisenhammer, durch die Gewalt des Wassers getrieben.
Sie erhitzen das Eisen noch einmal, indem sie es mit starken Zangen
ergreifen und in die Mitte des Feuers halten, um es, wenn es auf
Weiſsglut erhitzt ist, in die Gefäſse, zu diesem Zwecke vorgerichtet,
zu tauchen. Darin ahmen sie den Chalybern nach, bei welchen der
Fluſs Bibueras flieſst, dessen Wasser die Natur des Eisens weich
macht, geschmeidiger und geeigneter zur Herstellung von Waffen.
Hat das Feuer durchgewirkt, bearbeitet man es mit kräftigen Hammer-
schlägen. Die ganze Umgegend, Luft, Berge und Wälder hallen
davon wieder bis in ihre innersten Tiefen. Dann kann man die
Eisenstücke in überraschender Weise sich ausdehnen und die Form
langer, dünner Schnüre annehmen sehen; man könnte es für Wachs
halten. Wenn das Eisen gut geschmiedet und ausgeschlagen ist, war
es die Pflicht meines Vaters, es zum Wochenschlusse sorgfältig zu
wiegen. Alsdann sieht man rasch den Köhler, den Platzarbeiter, den
Schmelzer, die Schmiede heraneilen; sie versammeln sich freudig zur
Empfangnahme des festgesetzten Lohnes und freudig verlassen sie
meinen Vater. Mein Vater, um nicht Gefahr zu laufen, irgend einem
den rechtmäſsigen Lohn zu schmälern, führt ein Buch über den Ver-
dienst jeglichen Arbeiters; er will weder jemand betrügen, noch von
ihm betrogen sein. Solcherart weis er genau, was einem jeglichen
zukommt. Die Arbeiter, wenn sie das Geld in der Tasche haben,
kommen nun zusammen, um die Mühsale, die sie erlitten, in der Freude
eines Mahles zu vergessen. Wein und Fröhlichkeit beleben sie. Dieser
trinkt seinem Nachbar zu, welcher gierig an einem Knochen nagt; jener
ist zur Erde gesunken, vom Schlafe übermannt, und ermüdet von dem
schlechten Wein, den er getrunken. Das Haus erschallt von ihrem
Geschrei; eine unerhörte Verwirrung greift Platz; sie schwatzen die
verschiedenartigsten Dinge durcheinander. Man möchte glauben, La-
pithen vor sich zu sehen, wenn man sieht, wie die Becher durchs
Zimmer fliegen, Schlägereien entstehen, wobei Tische umgeworfen
werden und oft Blut flieſst. Solchen Aufregungen pflegt sich die länd-
liche Bevölkerung zu überlassen, wenn der Wein sie irre führt. Die
Folge dieser Ausschweifung aber ist, daſs ein einziger Tag die Früchte

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[20/0040] Einleitung. Das Eisen, welches aus dem Ofen kommt, nennt man noch nicht reines Eisen. Bald wird es durch einen andern Arbeiter der aber- maligen Einwirkung des Feuers unterworfen und in einem Ofen ein zweites Mal gereinigt, und er macht es genugsam weich, damit es die Gestalt von Kugeln (Luppen) annimmt. Alsdann erscheinen ge- schickte Arbeiter, es zu glätten und auszustrecken. Sie haben einen ungeheuren Eisenhammer, durch die Gewalt des Wassers getrieben. Sie erhitzen das Eisen noch einmal, indem sie es mit starken Zangen ergreifen und in die Mitte des Feuers halten, um es, wenn es auf Weiſsglut erhitzt ist, in die Gefäſse, zu diesem Zwecke vorgerichtet, zu tauchen. Darin ahmen sie den Chalybern nach, bei welchen der Fluſs Bibueras flieſst, dessen Wasser die Natur des Eisens weich macht, geschmeidiger und geeigneter zur Herstellung von Waffen. Hat das Feuer durchgewirkt, bearbeitet man es mit kräftigen Hammer- schlägen. Die ganze Umgegend, Luft, Berge und Wälder hallen davon wieder bis in ihre innersten Tiefen. Dann kann man die Eisenstücke in überraschender Weise sich ausdehnen und die Form langer, dünner Schnüre annehmen sehen; man könnte es für Wachs halten. Wenn das Eisen gut geschmiedet und ausgeschlagen ist, war es die Pflicht meines Vaters, es zum Wochenschlusse sorgfältig zu wiegen. Alsdann sieht man rasch den Köhler, den Platzarbeiter, den Schmelzer, die Schmiede heraneilen; sie versammeln sich freudig zur Empfangnahme des festgesetzten Lohnes und freudig verlassen sie meinen Vater. Mein Vater, um nicht Gefahr zu laufen, irgend einem den rechtmäſsigen Lohn zu schmälern, führt ein Buch über den Ver- dienst jeglichen Arbeiters; er will weder jemand betrügen, noch von ihm betrogen sein. Solcherart weis er genau, was einem jeglichen zukommt. Die Arbeiter, wenn sie das Geld in der Tasche haben, kommen nun zusammen, um die Mühsale, die sie erlitten, in der Freude eines Mahles zu vergessen. Wein und Fröhlichkeit beleben sie. Dieser trinkt seinem Nachbar zu, welcher gierig an einem Knochen nagt; jener ist zur Erde gesunken, vom Schlafe übermannt, und ermüdet von dem schlechten Wein, den er getrunken. Das Haus erschallt von ihrem Geschrei; eine unerhörte Verwirrung greift Platz; sie schwatzen die verschiedenartigsten Dinge durcheinander. Man möchte glauben, La- pithen vor sich zu sehen, wenn man sieht, wie die Becher durchs Zimmer fliegen, Schlägereien entstehen, wobei Tische umgeworfen werden und oft Blut flieſst. Solchen Aufregungen pflegt sich die länd- liche Bevölkerung zu überlassen, wenn der Wein sie irre führt. Die Folge dieser Ausschweifung aber ist, daſs ein einziger Tag die Früchte

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Zitationshilfe: Beck, Ludwig: Die Geschichte des Eisens. Bd. 2: Das XVI. und XVII. Jahrhundert. Braunschweig, 1895, S. 20. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/beck_eisen02_1895/40>, abgerufen am 24.11.2024.