Das Zündloch ist verhältnismässig eng und gegen die Achse der Seele geneigt. Das Gewicht des Laufes beträgt 16400 kg und das Gewicht der Steinkugeln wird ungefähr 340 kg betragen haben.
Die Länge der Seele, die gleich dem Fünffachen des Durchmessers ist, und der Inhalt der Kammer, von der 3/5 ziemlich genau dem Gewicht von 38 kg Pulver von 0,9 Dichtigkeit entsprechen, was 1/9 des Kugelgewichts entsprechen würde, beweisen, dass die Konstruktion in dem Masse dem in der Mitte des 15. Jahrhunderts üblichen Gebrauch entsprach, man kann schon deshalb kaum das Geschütz auf die von Froissart bei der Belagerung von Audenarde im Jahre 1382 erwähnte "Dulle Griete" zurückführen.
Wichtiger aber als die Steigerung der Leistung der Schmiede- kunst durch die wachsenden Ansprüche der Artillerie war für die Ge- schichte der Eisenindustrie die Benutzung des Eisengusses für Ge- schosse und Geschütze.
Es ist deshalb von grösstem Interesse, die ersten Anfänge dieser neuen Technik zu verfolgen. Wahrscheinlich wurde der Eisenguss zuerst für Kugeln verwendet. Den technischen Beweis für diese Be- hauptung werden wir später erbringen, wenn wir von der Erfindung des Eisengusses speziell handeln werden. Hier ist es zunächst nur unser Zweck, den Zeitpunkt ausfindig zu machen, in dem der Eisenguss zuerst auftritt. Mit Eisenbolzen schoss man schon vor Einführung der Pulver- geschütze, aber diese waren geschmiedet. Im Jahre 1342 schossen die Mauren bei der Belagerung von Algesiras mit eisernen Kugeln so gross wie Äpfel, auch diese waren aus Schmiedeeisen gefertigt. Von Johann von Aarau, dem berühmten Büchsenmeister von Augsburg, wird um das Jahr 1372 berichtet, dass er Eisenkugeln einführte. Johann von Aarau war ein geschickter Giesser, trotzdem ist es zum mindesten zweifel- haft, dass die erwähnten Eisenkugeln gegossen waren, indem man noch lange Zeit nachher die Eisenmunition für die Donnerbüchsen etc. aus Schmiedeeisen herstellte.
Die Mitteilung, dass Johann von Aarau zuerst eiserne Kugeln an- gewendet hat, gewinnt allerdings ein höheres Interesse, wenn die Nachricht glaubhaft ist, dass Ulrich Beham in Memmingen im Jahre 1388 Kugeln von Blei und Eisen goss 1).
Von grosser Wichtigkeit sind die Untersuchungen aus jener Periode, von den bis jetzt veröffentlichten besonders die der Stadt Lille. Die alten Steinkugeln, die carreaux (garos) hiessen, wurden bei
1) Gassarius, Annalen 1519, vergl. auch Würdinger I, S. 104.
Feuerwaffen.
Das Zündloch ist verhältnismäſsig eng und gegen die Achse der Seele geneigt. Das Gewicht des Laufes beträgt 16400 kg und das Gewicht der Steinkugeln wird ungefähr 340 kg betragen haben.
Die Länge der Seele, die gleich dem Fünffachen des Durchmessers ist, und der Inhalt der Kammer, von der ⅗ ziemlich genau dem Gewicht von 38 kg Pulver von 0,9 Dichtigkeit entsprechen, was 1/9 des Kugelgewichts entsprechen würde, beweisen, daſs die Konstruktion in dem Maſse dem in der Mitte des 15. Jahrhunderts üblichen Gebrauch entsprach, man kann schon deshalb kaum das Geschütz auf die von Froissart bei der Belagerung von Audenarde im Jahre 1382 erwähnte „Dulle Griète“ zurückführen.
Wichtiger aber als die Steigerung der Leistung der Schmiede- kunst durch die wachsenden Ansprüche der Artillerie war für die Ge- schichte der Eisenindustrie die Benutzung des Eisengusses für Ge- schosse und Geschütze.
Es ist deshalb von gröſstem Interesse, die ersten Anfänge dieser neuen Technik zu verfolgen. Wahrscheinlich wurde der Eisenguſs zuerst für Kugeln verwendet. Den technischen Beweis für diese Be- hauptung werden wir später erbringen, wenn wir von der Erfindung des Eisengusses speziell handeln werden. Hier ist es zunächst nur unser Zweck, den Zeitpunkt ausfindig zu machen, in dem der Eisenguſs zuerst auftritt. Mit Eisenbolzen schoſs man schon vor Einführung der Pulver- geschütze, aber diese waren geschmiedet. Im Jahre 1342 schossen die Mauren bei der Belagerung von Algesiras mit eisernen Kugeln so groſs wie Äpfel, auch diese waren aus Schmiedeeisen gefertigt. Von Johann von Aarau, dem berühmten Büchsenmeister von Augsburg, wird um das Jahr 1372 berichtet, daſs er Eisenkugeln einführte. Johann von Aarau war ein geschickter Gieſser, trotzdem ist es zum mindesten zweifel- haft, daſs die erwähnten Eisenkugeln gegossen waren, indem man noch lange Zeit nachher die Eisenmunition für die Donnerbüchsen etc. aus Schmiedeeisen herstellte.
Die Mitteilung, daſs Johann von Aarau zuerst eiserne Kugeln an- gewendet hat, gewinnt allerdings ein höheres Interesse, wenn die Nachricht glaubhaft ist, daſs Ulrich Beham in Memmingen im Jahre 1388 Kugeln von Blei und Eisen goſs 1).
Von groſser Wichtigkeit sind die Untersuchungen aus jener Periode, von den bis jetzt veröffentlichten besonders die der Stadt Lille. Die alten Steinkugeln, die carreaux (garos) hieſsen, wurden bei
1) Gassarius, Annalen 1519, vergl. auch Würdinger I, S. 104.
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Feuerwaffen.
Das Zündloch ist verhältnismäſsig eng und gegen die Achse der
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Gewicht der Steinkugeln wird ungefähr 340 kg betragen haben.
Die Länge der Seele, die gleich dem Fünffachen des Durchmessers
ist, und der Inhalt der Kammer, von der ⅗ ziemlich genau dem
Gewicht von 38 kg Pulver von 0,9 Dichtigkeit entsprechen, was 1/9 des
Kugelgewichts entsprechen würde, beweisen, daſs die Konstruktion in
dem Maſse dem in der Mitte des 15. Jahrhunderts üblichen Gebrauch
entsprach, man kann schon deshalb kaum das Geschütz auf die von
Froissart bei der Belagerung von Audenarde im Jahre 1382 erwähnte
„Dulle Griète“ zurückführen.
Wichtiger aber als die Steigerung der Leistung der Schmiede-
kunst durch die wachsenden Ansprüche der Artillerie war für die Ge-
schichte der Eisenindustrie die Benutzung des Eisengusses für Ge-
schosse und Geschütze.
Es ist deshalb von gröſstem Interesse, die ersten Anfänge dieser
neuen Technik zu verfolgen. Wahrscheinlich wurde der Eisenguſs
zuerst für Kugeln verwendet. Den technischen Beweis für diese Be-
hauptung werden wir später erbringen, wenn wir von der Erfindung
des Eisengusses speziell handeln werden. Hier ist es zunächst nur unser
Zweck, den Zeitpunkt ausfindig zu machen, in dem der Eisenguſs zuerst
auftritt. Mit Eisenbolzen schoſs man schon vor Einführung der Pulver-
geschütze, aber diese waren geschmiedet. Im Jahre 1342 schossen die
Mauren bei der Belagerung von Algesiras mit eisernen Kugeln so groſs
wie Äpfel, auch diese waren aus Schmiedeeisen gefertigt. Von Johann
von Aarau, dem berühmten Büchsenmeister von Augsburg, wird um das
Jahr 1372 berichtet, daſs er Eisenkugeln einführte. Johann von Aarau
war ein geschickter Gieſser, trotzdem ist es zum mindesten zweifel-
haft, daſs die erwähnten Eisenkugeln gegossen waren, indem man
noch lange Zeit nachher die Eisenmunition für die Donnerbüchsen etc.
aus Schmiedeeisen herstellte.
Die Mitteilung, daſs Johann von Aarau zuerst eiserne Kugeln an-
gewendet hat, gewinnt allerdings ein höheres Interesse, wenn die
Nachricht glaubhaft ist, daſs Ulrich Beham in Memmingen im Jahre
1388 Kugeln von Blei und Eisen goſs 1).
Von groſser Wichtigkeit sind die Untersuchungen aus jener
Periode, von den bis jetzt veröffentlichten besonders die der Stadt
Lille. Die alten Steinkugeln, die carreaux (garos) hieſsen, wurden bei
1) Gassarius, Annalen 1519, vergl. auch Würdinger I, S. 104.
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Beck, Ludwig: Die Geschichte des Eisens. Bd. 1: Von der ältesten Zeit bis um das Jahr 1500 n. Chr. Braunschweig, 1884, S. 909. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/beck_eisen01_1884/931>, abgerufen am 24.11.2024.
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