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Beck, Ludwig: Die Geschichte des Eisens. Bd. 1: Von der ältesten Zeit bis um das Jahr 1500 n. Chr. Braunschweig, 1884.

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Feuerwaffen.
15. Jahrhunderts allgemein Eingang. Epochemachend für das Ge-
schützwesen war die Belagerung von Orleans 1428 -- 29 durch die Eng-
länder. Der ganze Kampf wurde durch die Artillerie entschieden und
zwar durch die grössere Tragweite der gegossenen französischen Ge-
schütze gegenüber den plumpen, alten Bombarden der Engländer.
Die Engländer führten zahlreiches Belagerungsgeschütz und warfen
Steine von 116 Pfund und mehr gegen die Stadt. Damit zerstörten
sie wohl die vor der Stadt gelegenen Mühlen, der Stadt selbst aber
konnten sie damit nur geringen Schaden thun, um so weniger, als die
weittragenden und höher treffenden Geschütze der Franzosen ihre An-
näherung verhinderten. Je mehr die Engländer sich anstrengten, durch
noch schwereres Geschütz der Stadt Schaden zu thun, je mehr steigerten
die Franzosen ihre Bemühungen, ihre Feldschlangen noch weittragen-
der zu machen. Am 1. Dezember 1428 sollen die Engländer aus ihren
Verschanzungen (batilles anglaises) Steinkugeln im Gewicht von
192 Pfund geworfen haben. Dass dies nicht übertrieben ist, geht daraus
hervor, dass man noch 1830 in Orleans in der Rue du pat de fer
4 Steinkugeln von jener Zeit herrührend sah, die 4 Fuss 4 Zoll im
Umfang hatten und an 2 Ztr. wogen. Aber um dieselbe Zeit tötete
der geschickte und berühmte Büchsenmeister der Franzosen, Meister
Jean, den Obergeneral der feindlichen Armee, den Grafen von Salisbury,
mit einem wohlgezielten Schuss in seinem Lager. Meister Jean be-
diente sich einer, aus Bronze gegossenen Feldschlange (coulevrine), die
auf einem Karren stand und verhältnismässig leicht zu transportieren
war. Er bediente das Geschütz selbst. Übrigens hatten auch die
Belagerten schweres Geschütz. Die Stadt verfügte bei Beginn der
Belagerung über 61 Feuerschlünde, die meist von Bronze gegossen
waren, darunter war eine, von der Stadt Montargis geliehen, die
"rifflard" (Zerreisser) hiess und von einem sehr geschickten Meister
Wilhelm Duivy gearbeitet war. Diese warf Steine von 120 Pfund
Gewicht und brauchte 22 Pferde zur Bespannung. Während der
Belagerung goss ein gewisser Naudin-Bouchart eine sehr lange Feld-
schlange, die alle anderen an Tragweite übertraf und ihre Geschosse
bis auf die Insel Charlemagne warf, welche infolgedessen die Engländer
aufgeben mussten. Die Erfahrungen während der Belagerung von
Orleans gaben den Impuls zur methodischen Entwickelung des Artillerie-
wesens in Frankreich.

Die Bronzekanonen von leichterem Kaliber, die weit rascher zu
transportieren waren und dabei doch grössere Wirkung hervorbrachten
als die alten Ungeheuer, trugen am meisten zu den glänzenden Er-

Feuerwaffen.
15. Jahrhunderts allgemein Eingang. Epochemachend für das Ge-
schützwesen war die Belagerung von Orleans 1428 — 29 durch die Eng-
länder. Der ganze Kampf wurde durch die Artillerie entschieden und
zwar durch die gröſsere Tragweite der gegossenen französischen Ge-
schütze gegenüber den plumpen, alten Bombarden der Engländer.
Die Engländer führten zahlreiches Belagerungsgeschütz und warfen
Steine von 116 Pfund und mehr gegen die Stadt. Damit zerstörten
sie wohl die vor der Stadt gelegenen Mühlen, der Stadt selbst aber
konnten sie damit nur geringen Schaden thun, um so weniger, als die
weittragenden und höher treffenden Geschütze der Franzosen ihre An-
näherung verhinderten. Je mehr die Engländer sich anstrengten, durch
noch schwereres Geschütz der Stadt Schaden zu thun, je mehr steigerten
die Franzosen ihre Bemühungen, ihre Feldschlangen noch weittragen-
der zu machen. Am 1. Dezember 1428 sollen die Engländer aus ihren
Verschanzungen (batilles anglaises) Steinkugeln im Gewicht von
192 Pfund geworfen haben. Daſs dies nicht übertrieben ist, geht daraus
hervor, daſs man noch 1830 in Orleans in der Rue du pat de fer
4 Steinkugeln von jener Zeit herrührend sah, die 4 Fuſs 4 Zoll im
Umfang hatten und an 2 Ztr. wogen. Aber um dieselbe Zeit tötete
der geschickte und berühmte Büchsenmeister der Franzosen, Meister
Jean, den Obergeneral der feindlichen Armee, den Grafen von Salisbury,
mit einem wohlgezielten Schuſs in seinem Lager. Meister Jean be-
diente sich einer, aus Bronze gegossenen Feldschlange (coulevrine), die
auf einem Karren stand und verhältnismäſsig leicht zu transportieren
war. Er bediente das Geschütz selbst. Übrigens hatten auch die
Belagerten schweres Geschütz. Die Stadt verfügte bei Beginn der
Belagerung über 61 Feuerschlünde, die meist von Bronze gegossen
waren, darunter war eine, von der Stadt Montargis geliehen, die
„rifflard“ (Zerreiſser) hieſs und von einem sehr geschickten Meister
Wilhelm Duivy gearbeitet war. Diese warf Steine von 120 Pfund
Gewicht und brauchte 22 Pferde zur Bespannung. Während der
Belagerung goſs ein gewisser Naudin-Bouchart eine sehr lange Feld-
schlange, die alle anderen an Tragweite übertraf und ihre Geschosse
bis auf die Insel Charlemagne warf, welche infolgedessen die Engländer
aufgeben muſsten. Die Erfahrungen während der Belagerung von
Orleans gaben den Impuls zur methodischen Entwickelung des Artillerie-
wesens in Frankreich.

Die Bronzekanonen von leichterem Kaliber, die weit rascher zu
transportieren waren und dabei doch gröſsere Wirkung hervorbrachten
als die alten Ungeheuer, trugen am meisten zu den glänzenden Er-

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[904/0926] Feuerwaffen. 15. Jahrhunderts allgemein Eingang. Epochemachend für das Ge- schützwesen war die Belagerung von Orleans 1428 — 29 durch die Eng- länder. Der ganze Kampf wurde durch die Artillerie entschieden und zwar durch die gröſsere Tragweite der gegossenen französischen Ge- schütze gegenüber den plumpen, alten Bombarden der Engländer. Die Engländer führten zahlreiches Belagerungsgeschütz und warfen Steine von 116 Pfund und mehr gegen die Stadt. Damit zerstörten sie wohl die vor der Stadt gelegenen Mühlen, der Stadt selbst aber konnten sie damit nur geringen Schaden thun, um so weniger, als die weittragenden und höher treffenden Geschütze der Franzosen ihre An- näherung verhinderten. Je mehr die Engländer sich anstrengten, durch noch schwereres Geschütz der Stadt Schaden zu thun, je mehr steigerten die Franzosen ihre Bemühungen, ihre Feldschlangen noch weittragen- der zu machen. Am 1. Dezember 1428 sollen die Engländer aus ihren Verschanzungen (batilles anglaises) Steinkugeln im Gewicht von 192 Pfund geworfen haben. Daſs dies nicht übertrieben ist, geht daraus hervor, daſs man noch 1830 in Orleans in der Rue du pat de fer 4 Steinkugeln von jener Zeit herrührend sah, die 4 Fuſs 4 Zoll im Umfang hatten und an 2 Ztr. wogen. Aber um dieselbe Zeit tötete der geschickte und berühmte Büchsenmeister der Franzosen, Meister Jean, den Obergeneral der feindlichen Armee, den Grafen von Salisbury, mit einem wohlgezielten Schuſs in seinem Lager. Meister Jean be- diente sich einer, aus Bronze gegossenen Feldschlange (coulevrine), die auf einem Karren stand und verhältnismäſsig leicht zu transportieren war. Er bediente das Geschütz selbst. Übrigens hatten auch die Belagerten schweres Geschütz. Die Stadt verfügte bei Beginn der Belagerung über 61 Feuerschlünde, die meist von Bronze gegossen waren, darunter war eine, von der Stadt Montargis geliehen, die „rifflard“ (Zerreiſser) hieſs und von einem sehr geschickten Meister Wilhelm Duivy gearbeitet war. Diese warf Steine von 120 Pfund Gewicht und brauchte 22 Pferde zur Bespannung. Während der Belagerung goſs ein gewisser Naudin-Bouchart eine sehr lange Feld- schlange, die alle anderen an Tragweite übertraf und ihre Geschosse bis auf die Insel Charlemagne warf, welche infolgedessen die Engländer aufgeben muſsten. Die Erfahrungen während der Belagerung von Orleans gaben den Impuls zur methodischen Entwickelung des Artillerie- wesens in Frankreich. Die Bronzekanonen von leichterem Kaliber, die weit rascher zu transportieren waren und dabei doch gröſsere Wirkung hervorbrachten als die alten Ungeheuer, trugen am meisten zu den glänzenden Er-

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Zitationshilfe: Beck, Ludwig: Die Geschichte des Eisens. Bd. 1: Von der ältesten Zeit bis um das Jahr 1500 n. Chr. Braunschweig, 1884, S. 904. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/beck_eisen01_1884/926>, abgerufen am 24.11.2024.