sich durch ihre Geschicklichkeit einen grösseren Grad von Unabhängig- keit erworben hatten.
Nachdem Karl das Frankenreich zum Kultur-Mittelpunkte der germanischen Stämme gemacht hatte, regte sich überall neues Leben. So trat denn auch damals zuerst in Deutschland das Bestreben der Gewerbetreibenden hervor, sich zu gegenseitigem Schutz in Korpora- tionen zusammenzuschliessen. Am frühesten hatten dies die Kauf- leute gethan, die in den deutschen Städten vielfach Ausländer, namentlich Römer waren.
Daraus ergab sich selbstverständlich das Bedürfnis zu engerem Anschluss, dem man um so weniger entgegentreten konnte, da die fremden Kaufleute nicht in derselben persönlichen Abhängigkeit stan- den, wie die einheimischen Gewerbetreibenden. So schlossen sich die Kaufleute in der Weise der alten Phönizier in den Städten, in welchen der Handel blühte, zu Gilden zusammen. In Regensburg existierte bereits im 8. Jahrhundert ein Kaufmannsviertel und eine Lateiner- strasse. Ähnlich war es in Mastricht und den flandrischen Städten, wo schon Gewerbe und Handel blühten, als im Inneren Deutschlands noch kein anderes Recht geübt wurde, als das Hofrecht.
Wie sich die Kaufleute in Gilden zusammenschlossen, wie die Geistlichen zu Mönchsorden sich vereinigten, so erstrebten auch die Gewerbetreibenden ähnliche Verbindungen. Am frühesten griff dieses Bestreben in Italien um sich. Bereits 779 erliess Karl der Grosse eine Verordnung in den Gesetzen der Longobarden gegen die "eidlichen Verschwörungen" der gewerblichen Vereine und der Verbrüderung der Gilden (gildonae) und Genossenschaften. In dem Kapitulare von Frankfurt werden diese "Verschwörungen" mit schweren Strafen belegt. Durch diese strengen Verordnungen der Kaiser verschwanden aller- dings diese Korporationen mehrere Jahrhunderte hindurch vor der Öffentlichkeit um dann im 12. Jahrhundert um so kräftiger zu erstehen. Das Genossenschaftswesen war ein wichtiger Hebel der Kulturentwicke- lung im Mittelalter. Ein Hauptanstoss ging von der Geistlichkeit aus, die auch in anderen Beziehungen in Betreff der technischen Entwicke- lung anregend wirkte.
In der christlichen Lehre lag das Prinzip der Gleichberechtigung des Individuums. Praktisch brachte die Kirche dies dadurch zur Gel- tung, dass jeder, ob ein Freier oder ein Unfreier, Geistlicher werden konnte. Nach dieser Richtung hin war das Christentum demokratisch und revolutionär und führte nach und nach die vollständige Auflösung des erblichen Abhängigkeits- und Kastenverhältnisses herbei.
Das frühe Mittelalter.
sich durch ihre Geschicklichkeit einen gröſseren Grad von Unabhängig- keit erworben hatten.
Nachdem Karl das Frankenreich zum Kultur-Mittelpunkte der germanischen Stämme gemacht hatte, regte sich überall neues Leben. So trat denn auch damals zuerst in Deutschland das Bestreben der Gewerbetreibenden hervor, sich zu gegenseitigem Schutz in Korpora- tionen zusammenzuschlieſsen. Am frühesten hatten dies die Kauf- leute gethan, die in den deutschen Städten vielfach Ausländer, namentlich Römer waren.
Daraus ergab sich selbstverständlich das Bedürfnis zu engerem Anschluſs, dem man um so weniger entgegentreten konnte, da die fremden Kaufleute nicht in derselben persönlichen Abhängigkeit stan- den, wie die einheimischen Gewerbetreibenden. So schlossen sich die Kaufleute in der Weise der alten Phönizier in den Städten, in welchen der Handel blühte, zu Gilden zusammen. In Regensburg existierte bereits im 8. Jahrhundert ein Kaufmannsviertel und eine Lateiner- straſse. Ähnlich war es in Mastricht und den flandrischen Städten, wo schon Gewerbe und Handel blühten, als im Inneren Deutschlands noch kein anderes Recht geübt wurde, als das Hofrecht.
Wie sich die Kaufleute in Gilden zusammenschlossen, wie die Geistlichen zu Mönchsorden sich vereinigten, so erstrebten auch die Gewerbetreibenden ähnliche Verbindungen. Am frühesten griff dieses Bestreben in Italien um sich. Bereits 779 erlieſs Karl der Groſse eine Verordnung in den Gesetzen der Longobarden gegen die „eidlichen Verschwörungen“ der gewerblichen Vereine und der Verbrüderung der Gilden (gildonae) und Genossenschaften. In dem Kapitulare von Frankfurt werden diese „Verschwörungen“ mit schweren Strafen belegt. Durch diese strengen Verordnungen der Kaiser verschwanden aller- dings diese Korporationen mehrere Jahrhunderte hindurch vor der Öffentlichkeit um dann im 12. Jahrhundert um so kräftiger zu erstehen. Das Genossenschaftswesen war ein wichtiger Hebel der Kulturentwicke- lung im Mittelalter. Ein Hauptanstoſs ging von der Geistlichkeit aus, die auch in anderen Beziehungen in Betreff der technischen Entwicke- lung anregend wirkte.
In der christlichen Lehre lag das Prinzip der Gleichberechtigung des Individuums. Praktisch brachte die Kirche dies dadurch zur Gel- tung, daſs jeder, ob ein Freier oder ein Unfreier, Geistlicher werden konnte. Nach dieser Richtung hin war das Christentum demokratisch und revolutionär und führte nach und nach die vollständige Auflösung des erblichen Abhängigkeits- und Kastenverhältnisses herbei.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0764"n="742"/><fwplace="top"type="header">Das frühe Mittelalter.</fw><lb/>
sich durch ihre Geschicklichkeit einen gröſseren Grad von Unabhängig-<lb/>
keit erworben hatten.</p><lb/><p>Nachdem Karl das Frankenreich zum Kultur-Mittelpunkte der<lb/>
germanischen Stämme gemacht hatte, regte sich überall neues Leben.<lb/>
So trat denn auch damals zuerst in Deutschland das Bestreben der<lb/>
Gewerbetreibenden hervor, sich zu gegenseitigem Schutz in Korpora-<lb/>
tionen zusammenzuschlieſsen. Am frühesten hatten dies die <hirendition="#g">Kauf-<lb/>
leute</hi> gethan, die in den deutschen Städten vielfach Ausländer,<lb/>
namentlich Römer waren.</p><lb/><p>Daraus ergab sich selbstverständlich das Bedürfnis zu engerem<lb/>
Anschluſs, dem man um so weniger entgegentreten konnte, da die<lb/>
fremden Kaufleute nicht in derselben persönlichen Abhängigkeit stan-<lb/>
den, wie die einheimischen Gewerbetreibenden. So schlossen sich die<lb/>
Kaufleute in der Weise der alten Phönizier in den Städten, in welchen<lb/>
der Handel blühte, zu Gilden zusammen. In Regensburg existierte<lb/>
bereits im 8. Jahrhundert ein Kaufmannsviertel und eine Lateiner-<lb/>
straſse. Ähnlich war es in Mastricht und den flandrischen Städten, wo<lb/>
schon Gewerbe und Handel blühten, als im Inneren Deutschlands<lb/>
noch kein anderes Recht geübt wurde, als das Hofrecht.</p><lb/><p>Wie sich die Kaufleute in Gilden zusammenschlossen, wie die<lb/>
Geistlichen zu Mönchsorden sich vereinigten, so erstrebten auch die<lb/>
Gewerbetreibenden ähnliche Verbindungen. Am frühesten griff dieses<lb/>
Bestreben in Italien um sich. Bereits 779 erlieſs Karl der Groſse eine<lb/>
Verordnung in den Gesetzen der Longobarden gegen die „eidlichen<lb/>
Verschwörungen“ der gewerblichen Vereine und der Verbrüderung der<lb/>
Gilden (gildonae) und Genossenschaften. In dem Kapitulare von<lb/>
Frankfurt werden diese „Verschwörungen“ mit schweren Strafen belegt.<lb/>
Durch diese strengen Verordnungen der Kaiser verschwanden aller-<lb/>
dings diese Korporationen mehrere Jahrhunderte hindurch vor der<lb/>
Öffentlichkeit um dann im 12. Jahrhundert um so kräftiger zu erstehen.<lb/>
Das Genossenschaftswesen war ein wichtiger Hebel der Kulturentwicke-<lb/>
lung im Mittelalter. Ein Hauptanstoſs ging von der Geistlichkeit aus,<lb/>
die auch in anderen Beziehungen in Betreff der technischen Entwicke-<lb/>
lung anregend wirkte.</p><lb/><p>In der christlichen Lehre lag das Prinzip der Gleichberechtigung<lb/>
des Individuums. Praktisch brachte die Kirche dies dadurch zur Gel-<lb/>
tung, daſs jeder, ob ein Freier oder ein Unfreier, Geistlicher werden<lb/>
konnte. Nach dieser Richtung hin war das Christentum demokratisch<lb/>
und revolutionär und führte nach und nach die vollständige Auflösung<lb/>
des erblichen Abhängigkeits- und Kastenverhältnisses herbei.</p><lb/></div></div></div></body></text></TEI>
[742/0764]
Das frühe Mittelalter.
sich durch ihre Geschicklichkeit einen gröſseren Grad von Unabhängig-
keit erworben hatten.
Nachdem Karl das Frankenreich zum Kultur-Mittelpunkte der
germanischen Stämme gemacht hatte, regte sich überall neues Leben.
So trat denn auch damals zuerst in Deutschland das Bestreben der
Gewerbetreibenden hervor, sich zu gegenseitigem Schutz in Korpora-
tionen zusammenzuschlieſsen. Am frühesten hatten dies die Kauf-
leute gethan, die in den deutschen Städten vielfach Ausländer,
namentlich Römer waren.
Daraus ergab sich selbstverständlich das Bedürfnis zu engerem
Anschluſs, dem man um so weniger entgegentreten konnte, da die
fremden Kaufleute nicht in derselben persönlichen Abhängigkeit stan-
den, wie die einheimischen Gewerbetreibenden. So schlossen sich die
Kaufleute in der Weise der alten Phönizier in den Städten, in welchen
der Handel blühte, zu Gilden zusammen. In Regensburg existierte
bereits im 8. Jahrhundert ein Kaufmannsviertel und eine Lateiner-
straſse. Ähnlich war es in Mastricht und den flandrischen Städten, wo
schon Gewerbe und Handel blühten, als im Inneren Deutschlands
noch kein anderes Recht geübt wurde, als das Hofrecht.
Wie sich die Kaufleute in Gilden zusammenschlossen, wie die
Geistlichen zu Mönchsorden sich vereinigten, so erstrebten auch die
Gewerbetreibenden ähnliche Verbindungen. Am frühesten griff dieses
Bestreben in Italien um sich. Bereits 779 erlieſs Karl der Groſse eine
Verordnung in den Gesetzen der Longobarden gegen die „eidlichen
Verschwörungen“ der gewerblichen Vereine und der Verbrüderung der
Gilden (gildonae) und Genossenschaften. In dem Kapitulare von
Frankfurt werden diese „Verschwörungen“ mit schweren Strafen belegt.
Durch diese strengen Verordnungen der Kaiser verschwanden aller-
dings diese Korporationen mehrere Jahrhunderte hindurch vor der
Öffentlichkeit um dann im 12. Jahrhundert um so kräftiger zu erstehen.
Das Genossenschaftswesen war ein wichtiger Hebel der Kulturentwicke-
lung im Mittelalter. Ein Hauptanstoſs ging von der Geistlichkeit aus,
die auch in anderen Beziehungen in Betreff der technischen Entwicke-
lung anregend wirkte.
In der christlichen Lehre lag das Prinzip der Gleichberechtigung
des Individuums. Praktisch brachte die Kirche dies dadurch zur Gel-
tung, daſs jeder, ob ein Freier oder ein Unfreier, Geistlicher werden
konnte. Nach dieser Richtung hin war das Christentum demokratisch
und revolutionär und führte nach und nach die vollständige Auflösung
des erblichen Abhängigkeits- und Kastenverhältnisses herbei.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Beck, Ludwig: Die Geschichte des Eisens. Bd. 1: Von der ältesten Zeit bis um das Jahr 1500 n. Chr. Braunschweig, 1884, S. 742. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/beck_eisen01_1884/764>, abgerufen am 25.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.