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Beck, Ludwig: Die Geschichte des Eisens. Bd. 1: Von der ältesten Zeit bis um das Jahr 1500 n. Chr. Braunschweig, 1884.

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Das frühe Mittelalter.
Person gehörig und schützte ihn gegen jeden Fremden. Es herrschte
bei den Germanen jenes natürliche Verhältnis der Leibeigenschaft, wie
es sich bei allen ackerbautreibenden Völkern entwickelt hat und wie
es in der ältesten Zeit auch bei Griechen und Römern bestand. Erst
dadurch, dass die Phönizier den Menschen zu einer Ware erniedrigten,
mit der sie Handel trieben, gewöhnten sich auch die Mittelmeervölker
daran, die Sklaven als Sachen anzusehen, denselben nicht einmal in
den menschlichsten Dingen eine Gleichberechtigung zuzuerkennen
und in ihnen die eigene Menschenwürde verachten zu lernen. Dies
geschah um so rascher da, wo das ursprüngliche Abhängigkeitsverhält-
nis von der Scholle, die Zugehörigkeit zu einem gewissen Grundbesitz,
kurz die Sesshaftigkeit der Leibeigenen aufhörte, wie das namentlich
mit der Bildung der Städte und der Lostrennung selbständiger Ge-
werbe eintreten musste. Dadurch erst verlor die alte Leibeigenschaft
ihren ursprünglichen Charakter und wurde zur unwürdigen Sklaverei.

In Deutschland hat aber die Sklaverei in dieser Form nie existiert.
Weder konnte ein System der Arbeitssklaven in der Form, wie wir es
bei den Bergwerkssklaven der Alten kennen gelernt haben, jemals
Wurzel fassen, noch gab es Haussklaven, denen solche schamlose Ver-
richtungen zugemutet wurden, wie dies bei den frivolen Römern der
Kaiserzeit der Fall war.

Die Bergwerksarbeiter in Deutschland haben überhaupt niemals
in dem Verhältnis der strengen Leibeigenschaft gestanden, sondern
höchstens in dem der Hörigkeit. In dem Umstande, dass sich schon
frühe bei den Germanen die Verhältnisse der Leibeigenschaft und der
Hörigkeit als zwei verschiedene Grade der Unfreiheit entwickelten,
liegt mit eine wesentliche Ursache, dass die Sklaverei in ihrer
schroffen Form sich nie hat entwickeln können. In dem Verhältnis
der Hörigkeit standen ursprünglich Alle, die auf dem Grundbesitz eines
Anderen ansässig waren, vornehmlich alle bei der Eroberung eines
Landes Unterworfene. So lange der Grundbesitz die einzige Form
des Vermögens und die Bearbeitung des Bodens die einzige Erwerbs-
quelle war, blieb dieses Verhältnis bestehen; als sich aber ein grösserer
Handel entwickelte, als Städte entstanden und ein selbständiger
Handels- und Gewerbsbetrieb in Aufnahme kamen, da hörte, wenn
auch erst nach blutigen Kämpfen, diese Art der Hörigkeit auf und ge-
rade aus diesen selbständig gewordenen Hörigen entwickelte sich der
Kern des deutschen Bürgerstandes. Dieser Übergang wird bei dem
deutschen Gewerbewesen noch ausführlicher dargestellt werden. Hier
ist er nur insofern von Wichtigkeit, als er auch die Stellung der Berg-

Das frühe Mittelalter.
Person gehörig und schützte ihn gegen jeden Fremden. Es herrschte
bei den Germanen jenes natürliche Verhältnis der Leibeigenschaft, wie
es sich bei allen ackerbautreibenden Völkern entwickelt hat und wie
es in der ältesten Zeit auch bei Griechen und Römern bestand. Erst
dadurch, daſs die Phönizier den Menschen zu einer Ware erniedrigten,
mit der sie Handel trieben, gewöhnten sich auch die Mittelmeervölker
daran, die Sklaven als Sachen anzusehen, denselben nicht einmal in
den menschlichsten Dingen eine Gleichberechtigung zuzuerkennen
und in ihnen die eigene Menschenwürde verachten zu lernen. Dies
geschah um so rascher da, wo das ursprüngliche Abhängigkeitsverhält-
nis von der Scholle, die Zugehörigkeit zu einem gewissen Grundbesitz,
kurz die Seſshaftigkeit der Leibeigenen aufhörte, wie das namentlich
mit der Bildung der Städte und der Lostrennung selbständiger Ge-
werbe eintreten muſste. Dadurch erst verlor die alte Leibeigenschaft
ihren ursprünglichen Charakter und wurde zur unwürdigen Sklaverei.

In Deutschland hat aber die Sklaverei in dieser Form nie existiert.
Weder konnte ein System der Arbeitssklaven in der Form, wie wir es
bei den Bergwerkssklaven der Alten kennen gelernt haben, jemals
Wurzel fassen, noch gab es Haussklaven, denen solche schamlose Ver-
richtungen zugemutet wurden, wie dies bei den frivolen Römern der
Kaiserzeit der Fall war.

Die Bergwerksarbeiter in Deutschland haben überhaupt niemals
in dem Verhältnis der strengen Leibeigenschaft gestanden, sondern
höchstens in dem der Hörigkeit. In dem Umstande, daſs sich schon
frühe bei den Germanen die Verhältnisse der Leibeigenschaft und der
Hörigkeit als zwei verschiedene Grade der Unfreiheit entwickelten,
liegt mit eine wesentliche Ursache, daſs die Sklaverei in ihrer
schroffen Form sich nie hat entwickeln können. In dem Verhältnis
der Hörigkeit standen ursprünglich Alle, die auf dem Grundbesitz eines
Anderen ansäſsig waren, vornehmlich alle bei der Eroberung eines
Landes Unterworfene. So lange der Grundbesitz die einzige Form
des Vermögens und die Bearbeitung des Bodens die einzige Erwerbs-
quelle war, blieb dieses Verhältnis bestehen; als sich aber ein gröſserer
Handel entwickelte, als Städte entstanden und ein selbständiger
Handels- und Gewerbsbetrieb in Aufnahme kamen, da hörte, wenn
auch erst nach blutigen Kämpfen, diese Art der Hörigkeit auf und ge-
rade aus diesen selbständig gewordenen Hörigen entwickelte sich der
Kern des deutschen Bürgerstandes. Dieser Übergang wird bei dem
deutschen Gewerbewesen noch ausführlicher dargestellt werden. Hier
ist er nur insofern von Wichtigkeit, als er auch die Stellung der Berg-

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[738/0760] Das frühe Mittelalter. Person gehörig und schützte ihn gegen jeden Fremden. Es herrschte bei den Germanen jenes natürliche Verhältnis der Leibeigenschaft, wie es sich bei allen ackerbautreibenden Völkern entwickelt hat und wie es in der ältesten Zeit auch bei Griechen und Römern bestand. Erst dadurch, daſs die Phönizier den Menschen zu einer Ware erniedrigten, mit der sie Handel trieben, gewöhnten sich auch die Mittelmeervölker daran, die Sklaven als Sachen anzusehen, denselben nicht einmal in den menschlichsten Dingen eine Gleichberechtigung zuzuerkennen und in ihnen die eigene Menschenwürde verachten zu lernen. Dies geschah um so rascher da, wo das ursprüngliche Abhängigkeitsverhält- nis von der Scholle, die Zugehörigkeit zu einem gewissen Grundbesitz, kurz die Seſshaftigkeit der Leibeigenen aufhörte, wie das namentlich mit der Bildung der Städte und der Lostrennung selbständiger Ge- werbe eintreten muſste. Dadurch erst verlor die alte Leibeigenschaft ihren ursprünglichen Charakter und wurde zur unwürdigen Sklaverei. In Deutschland hat aber die Sklaverei in dieser Form nie existiert. Weder konnte ein System der Arbeitssklaven in der Form, wie wir es bei den Bergwerkssklaven der Alten kennen gelernt haben, jemals Wurzel fassen, noch gab es Haussklaven, denen solche schamlose Ver- richtungen zugemutet wurden, wie dies bei den frivolen Römern der Kaiserzeit der Fall war. Die Bergwerksarbeiter in Deutschland haben überhaupt niemals in dem Verhältnis der strengen Leibeigenschaft gestanden, sondern höchstens in dem der Hörigkeit. In dem Umstande, daſs sich schon frühe bei den Germanen die Verhältnisse der Leibeigenschaft und der Hörigkeit als zwei verschiedene Grade der Unfreiheit entwickelten, liegt mit eine wesentliche Ursache, daſs die Sklaverei in ihrer schroffen Form sich nie hat entwickeln können. In dem Verhältnis der Hörigkeit standen ursprünglich Alle, die auf dem Grundbesitz eines Anderen ansäſsig waren, vornehmlich alle bei der Eroberung eines Landes Unterworfene. So lange der Grundbesitz die einzige Form des Vermögens und die Bearbeitung des Bodens die einzige Erwerbs- quelle war, blieb dieses Verhältnis bestehen; als sich aber ein gröſserer Handel entwickelte, als Städte entstanden und ein selbständiger Handels- und Gewerbsbetrieb in Aufnahme kamen, da hörte, wenn auch erst nach blutigen Kämpfen, diese Art der Hörigkeit auf und ge- rade aus diesen selbständig gewordenen Hörigen entwickelte sich der Kern des deutschen Bürgerstandes. Dieser Übergang wird bei dem deutschen Gewerbewesen noch ausführlicher dargestellt werden. Hier ist er nur insofern von Wichtigkeit, als er auch die Stellung der Berg-

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Zitationshilfe: Beck, Ludwig: Die Geschichte des Eisens. Bd. 1: Von der ältesten Zeit bis um das Jahr 1500 n. Chr. Braunschweig, 1884, S. 738. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/beck_eisen01_1884/760>, abgerufen am 22.07.2024.