das Meer einerseits und der Pyrenäenzug anderseits eine Schranke zogen; in der Schweiz eröffnete das Rhonethal die Strasse nach dem Süden an das Meer, der Ticino zu den grossen Seeen Italiens; und zu dem Lande führten die Stromgebiete der Elbe, Oder, Weichsel und Donau. Immer begleitet von den auf den Norden zurückweisenden Stoffen (Zinnerz und Bernstein) und auf dem Wege mündlicher Beleh- rung über die Darstellung und Verarbeitung der Bronze unterrichtet, mussten die südwärts wandernden Völker, sei es, dass sie zu einem Stamme, sei es, dass sie zu verschiedenen gehörten, mehr und mehr eine künstlerisch fortgeschrittene und selbständige Haltung gewinnen. Wenn auch der Norden, mit welchem sie ja in lebhaftem Handels- verkehre blieben, ebenfalls nicht stille stand, so mussten doch mit der Zeit, beeinflusst durch die Berührung mit neuen Völkerschaften und durch die natürlichen Ortsverhältnisse, divergierende Geschmacks- richtungen in den Artefakten hervortreten.
So hat sich die Bronzekultur von ihrer natürlichen Quelle, Britan- nien, über ganz Europa bis an die Nordküste Spaniens, an die Nord- ufer des Mittelländischen Meeres und bis in die apenninische Halbinsel, Italien, ausgebreitet. Die Beweise hierfür geben die Funde, die man an allen diesen Stätten gemacht und deren Ähnlichkeit mit den nordi- schen so grosses Erstaunen und so mannigfaltig abweichende Deutung erfahren hat. Besonders betone ich die in neuester Zeit enthüllten Pfahlbauten Oberitaliens mit ihrem ergiebigen Inhalt, deren nördlicher Ursprung ebenso wahrscheinlich ist, als es zweifelhaft bleibt, ob wir sie den Etruskern zuschreiben dürfen. Ihr durchaus vorgeschichtlicher Charakter lässt jeden Versuch einer Namengebung als erfolglos be- zeichnen."
Herr Dr. Wibel stellt also die bekannte Thatsache direkt auf den Kopf und macht das barbarische Britannien zum Ausgangspunkt der Weltkultur. Es genügt wohl, hiergegen anzuführen, dass Cäsar in seiner Schilderung von Britannien ausdrücklich erwähnt, dass das Kupfer zu seiner Zeit von auswärts eingeführt wurde 1). Eine bereits zu Cäsars Zeit seit Jahrhunderten verschwundene und untergegangene höhere Kultur anzunehmen ist allzu gewagt, um so mehr, da auch die archäologischen Funde nicht den geringsten Anhalt für eine solche Annahme bieten. Die chemischen und metallurgischen Gründe, welche aber Herr Wibel für seine Behauptung anführt, sind gänzlich unhalt- bar. Er behauptet, dass seine Urbriten Bronze erhalten hätten durch
1) Cäs. de bell. Gal., lib. V, 12.
Einleitung zum Mittelalter.
das Meer einerseits und der Pyrenäenzug anderseits eine Schranke zogen; in der Schweiz eröffnete das Rhonethal die Straſse nach dem Süden an das Meer, der Ticino zu den groſsen Seeen Italiens; und zu dem Lande führten die Stromgebiete der Elbe, Oder, Weichsel und Donau. Immer begleitet von den auf den Norden zurückweisenden Stoffen (Zinnerz und Bernstein) und auf dem Wege mündlicher Beleh- rung über die Darstellung und Verarbeitung der Bronze unterrichtet, muſsten die südwärts wandernden Völker, sei es, daſs sie zu einem Stamme, sei es, daſs sie zu verschiedenen gehörten, mehr und mehr eine künstlerisch fortgeschrittene und selbständige Haltung gewinnen. Wenn auch der Norden, mit welchem sie ja in lebhaftem Handels- verkehre blieben, ebenfalls nicht stille stand, so muſsten doch mit der Zeit, beeinfluſst durch die Berührung mit neuen Völkerschaften und durch die natürlichen Ortsverhältnisse, divergierende Geschmacks- richtungen in den Artefakten hervortreten.
So hat sich die Bronzekultur von ihrer natürlichen Quelle, Britan- nien, über ganz Europa bis an die Nordküste Spaniens, an die Nord- ufer des Mittelländischen Meeres und bis in die apenninische Halbinsel, Italien, ausgebreitet. Die Beweise hierfür geben die Funde, die man an allen diesen Stätten gemacht und deren Ähnlichkeit mit den nordi- schen so groſses Erstaunen und so mannigfaltig abweichende Deutung erfahren hat. Besonders betone ich die in neuester Zeit enthüllten Pfahlbauten Oberitaliens mit ihrem ergiebigen Inhalt, deren nördlicher Ursprung ebenso wahrscheinlich ist, als es zweifelhaft bleibt, ob wir sie den Etruskern zuschreiben dürfen. Ihr durchaus vorgeschichtlicher Charakter läſst jeden Versuch einer Namengebung als erfolglos be- zeichnen.“
Herr Dr. Wibel stellt also die bekannte Thatsache direkt auf den Kopf und macht das barbarische Britannien zum Ausgangspunkt der Weltkultur. Es genügt wohl, hiergegen anzuführen, daſs Cäsar in seiner Schilderung von Britannien ausdrücklich erwähnt, daſs das Kupfer zu seiner Zeit von auswärts eingeführt wurde 1). Eine bereits zu Cäsars Zeit seit Jahrhunderten verschwundene und untergegangene höhere Kultur anzunehmen ist allzu gewagt, um so mehr, da auch die archäologischen Funde nicht den geringsten Anhalt für eine solche Annahme bieten. Die chemischen und metallurgischen Gründe, welche aber Herr Wibel für seine Behauptung anführt, sind gänzlich unhalt- bar. Er behauptet, daſs seine Urbriten Bronze erhalten hätten durch
1) Cäs. de bell. Gal., lib. V, 12.
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Einleitung zum Mittelalter.
das Meer einerseits und der Pyrenäenzug anderseits eine Schranke
zogen; in der Schweiz eröffnete das Rhonethal die Straſse nach dem
Süden an das Meer, der Ticino zu den groſsen Seeen Italiens; und zu
dem Lande führten die Stromgebiete der Elbe, Oder, Weichsel und
Donau. Immer begleitet von den auf den Norden zurückweisenden
Stoffen (Zinnerz und Bernstein) und auf dem Wege mündlicher Beleh-
rung über die Darstellung und Verarbeitung der Bronze unterrichtet,
muſsten die südwärts wandernden Völker, sei es, daſs sie zu einem
Stamme, sei es, daſs sie zu verschiedenen gehörten, mehr und mehr
eine künstlerisch fortgeschrittene und selbständige Haltung gewinnen.
Wenn auch der Norden, mit welchem sie ja in lebhaftem Handels-
verkehre blieben, ebenfalls nicht stille stand, so muſsten doch mit
der Zeit, beeinfluſst durch die Berührung mit neuen Völkerschaften
und durch die natürlichen Ortsverhältnisse, divergierende Geschmacks-
richtungen in den Artefakten hervortreten.
So hat sich die Bronzekultur von ihrer natürlichen Quelle, Britan-
nien, über ganz Europa bis an die Nordküste Spaniens, an die Nord-
ufer des Mittelländischen Meeres und bis in die apenninische Halbinsel,
Italien, ausgebreitet. Die Beweise hierfür geben die Funde, die man
an allen diesen Stätten gemacht und deren Ähnlichkeit mit den nordi-
schen so groſses Erstaunen und so mannigfaltig abweichende Deutung
erfahren hat. Besonders betone ich die in neuester Zeit enthüllten
Pfahlbauten Oberitaliens mit ihrem ergiebigen Inhalt, deren nördlicher
Ursprung ebenso wahrscheinlich ist, als es zweifelhaft bleibt, ob wir
sie den Etruskern zuschreiben dürfen. Ihr durchaus vorgeschichtlicher
Charakter läſst jeden Versuch einer Namengebung als erfolglos be-
zeichnen.“
Herr Dr. Wibel stellt also die bekannte Thatsache direkt auf den
Kopf und macht das barbarische Britannien zum Ausgangspunkt der
Weltkultur. Es genügt wohl, hiergegen anzuführen, daſs Cäsar in
seiner Schilderung von Britannien ausdrücklich erwähnt, daſs das
Kupfer zu seiner Zeit von auswärts eingeführt wurde 1). Eine bereits
zu Cäsars Zeit seit Jahrhunderten verschwundene und untergegangene
höhere Kultur anzunehmen ist allzu gewagt, um so mehr, da auch die
archäologischen Funde nicht den geringsten Anhalt für eine solche
Annahme bieten. Die chemischen und metallurgischen Gründe, welche
aber Herr Wibel für seine Behauptung anführt, sind gänzlich unhalt-
bar. Er behauptet, daſs seine Urbriten Bronze erhalten hätten durch
1) Cäs. de bell. Gal., lib. V, 12.
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Beck, Ludwig: Die Geschichte des Eisens. Bd. 1: Von der ältesten Zeit bis um das Jahr 1500 n. Chr. Braunschweig, 1884, S. 589. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/beck_eisen01_1884/611>, abgerufen am 26.11.2024.
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