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Beck, Ludwig: Die Geschichte des Eisens. Bd. 1: Von der ältesten Zeit bis um das Jahr 1500 n. Chr. Braunschweig, 1884.

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unsere Beachtung. Dazu kommt noch, dass Hesiod der erste ist, der
die verhängnisvolle Idee eines Bronzezeitalters ausgesprochen hat, und
ist er als erster Prophet dieser falschen Lehre anzusehen. Ehe wir
speziell auf diesen Punkt eingehen, wollen wir kurz einiges über das
Leben Hesiods sowie den Inhalt seiner Werke mitteilen und dann ein-
gehender seinen metallurgischen Standpunkt schildern.

Hesiod wurde in Böotien geboren und zwar in Askra, wohin sein
Vater Dios von Kumae in Kleinasien übergesiedelt war. Die Familie
trieb Viehzucht. Nach des Vaters Tode geriet er mit seinem hab-
süchtigen Bruder Perses in einen unangenehmen Erbschaftsstreit, den
er verlor, infolgedessen er Askra verliess und nach Orchommos aus-
wanderte. Hier wurde nachmals sein Grab gezeigt. Das Weitere, was
über den Dichter mitgeteilt wird, ist Sage. Ebenso fehlen genaue
Zeitangaben über seine Erlebnisse. Dass er nach Homer dichtete, ist
unzweifelhaft. Nach den meisten Angaben soll er mindestens 100 Jahre
jünger als Homer gewesen sein und pflegt man seine Lebenszeit um
das Jahr 800 v. Chr. zu setzen, was freilich mit unserer Annahme, dass
Homer bereits vor der dorischen Einwanderung in Argos gelebt habe,
also um 1100 v. Chr., nicht stimmt. Hiernach würde auch das Alter
Hesiods höher hinaufgerückt werden müssen. Im Vergleich mit der
vielseitigen, vornehmeren Bildung Homers ist der Gesichtskreis Hesiods
ein beschränkter, er blieb der schlichte, biedere Landmann und auch
seine Dichtungen wenden sich an diesen Stand. Er begeistert nicht
durch schwungvolle Schilderungen von Helden und Heldenwerken,
sondern er bietet uns praktische Lebensregeln in metrischer Form,
Ethisches, Theologisches und Materielles, Regeln der Sittlichkeit und
der Klugheit bunt durcheinander, wobei ihm immer das Bild eines
tüchtigen, fleissigen, ehrlichen und frommen Bauern vorschwebt. Dem
entsprechend sind auch die technischen Kenntnisse Hesiods geringer
und die Ausbeute für unseren Zweck verhältnismässig dürftigere. Das
originellste Werk Hesiods sind seine "Werke und Tage" (Erga kai
emerai),
eine nur lose zusammengefügte Spruchsammlung in dichteri-
schem Gewand; praktische Lebensregeln für den Landmann und Haus-
vater, über die Wahl der Gattin, die Erziehung der Kinder, den Acker-
bau und die Schiffahrt, die Bedeutung einzelner Tage u. s. w., wobei
neben viel Treffendem auch viel bäuerischer Aberglaube mit unterläuft.
Dazwischen sind ziemlich unmotiviert die Sagen von Prometheus, von
Pandora und vor allem von den Weltzeitaltern eingefügt.

Das zweite Hauptwerk Hesiods ist seine Theogonie, ein Ge-
schlechtsregister der Götter, das mehr als Quelle für die Mythologie

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unsere Beachtung. Dazu kommt noch, daſs Hesiod der erste ist, der
die verhängnisvolle Idee eines Bronzezeitalters ausgesprochen hat, und
ist er als erster Prophet dieser falschen Lehre anzusehen. Ehe wir
speziell auf diesen Punkt eingehen, wollen wir kurz einiges über das
Leben Hesiods sowie den Inhalt seiner Werke mitteilen und dann ein-
gehender seinen metallurgischen Standpunkt schildern.

Hesiod wurde in Böotien geboren und zwar in Askra, wohin sein
Vater Dios von Kumae in Kleinasien übergesiedelt war. Die Familie
trieb Viehzucht. Nach des Vaters Tode geriet er mit seinem hab-
süchtigen Bruder Perses in einen unangenehmen Erbschaftsstreit, den
er verlor, infolgedessen er Askra verlieſs und nach Orchommos aus-
wanderte. Hier wurde nachmals sein Grab gezeigt. Das Weitere, was
über den Dichter mitgeteilt wird, ist Sage. Ebenso fehlen genaue
Zeitangaben über seine Erlebnisse. Daſs er nach Homer dichtete, ist
unzweifelhaft. Nach den meisten Angaben soll er mindestens 100 Jahre
jünger als Homer gewesen sein und pflegt man seine Lebenszeit um
das Jahr 800 v. Chr. zu setzen, was freilich mit unserer Annahme, daſs
Homer bereits vor der dorischen Einwanderung in Argos gelebt habe,
also um 1100 v. Chr., nicht stimmt. Hiernach würde auch das Alter
Hesiods höher hinaufgerückt werden müssen. Im Vergleich mit der
vielseitigen, vornehmeren Bildung Homers ist der Gesichtskreis Hesiods
ein beschränkter, er blieb der schlichte, biedere Landmann und auch
seine Dichtungen wenden sich an diesen Stand. Er begeistert nicht
durch schwungvolle Schilderungen von Helden und Heldenwerken,
sondern er bietet uns praktische Lebensregeln in metrischer Form,
Ethisches, Theologisches und Materielles, Regeln der Sittlichkeit und
der Klugheit bunt durcheinander, wobei ihm immer das Bild eines
tüchtigen, fleiſsigen, ehrlichen und frommen Bauern vorschwebt. Dem
entsprechend sind auch die technischen Kenntnisse Hesiods geringer
und die Ausbeute für unseren Zweck verhältnismäſsig dürftigere. Das
originellste Werk Hesiods sind seine „Werke und Tage“ (Ἔργα καὶ
ἡμέραι),
eine nur lose zusammengefügte Spruchsammlung in dichteri-
schem Gewand; praktische Lebensregeln für den Landmann und Haus-
vater, über die Wahl der Gattin, die Erziehung der Kinder, den Acker-
bau und die Schiffahrt, die Bedeutung einzelner Tage u. s. w., wobei
neben viel Treffendem auch viel bäuerischer Aberglaube mit unterläuft.
Dazwischen sind ziemlich unmotiviert die Sagen von Prometheus, von
Pandora und vor allem von den Weltzeitaltern eingefügt.

Das zweite Hauptwerk Hesiods ist seine Theogonie, ein Ge-
schlechtsregister der Götter, das mehr als Quelle für die Mythologie

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[413/0435] Griechenland. unsere Beachtung. Dazu kommt noch, daſs Hesiod der erste ist, der die verhängnisvolle Idee eines Bronzezeitalters ausgesprochen hat, und ist er als erster Prophet dieser falschen Lehre anzusehen. Ehe wir speziell auf diesen Punkt eingehen, wollen wir kurz einiges über das Leben Hesiods sowie den Inhalt seiner Werke mitteilen und dann ein- gehender seinen metallurgischen Standpunkt schildern. Hesiod wurde in Böotien geboren und zwar in Askra, wohin sein Vater Dios von Kumae in Kleinasien übergesiedelt war. Die Familie trieb Viehzucht. Nach des Vaters Tode geriet er mit seinem hab- süchtigen Bruder Perses in einen unangenehmen Erbschaftsstreit, den er verlor, infolgedessen er Askra verlieſs und nach Orchommos aus- wanderte. Hier wurde nachmals sein Grab gezeigt. Das Weitere, was über den Dichter mitgeteilt wird, ist Sage. Ebenso fehlen genaue Zeitangaben über seine Erlebnisse. Daſs er nach Homer dichtete, ist unzweifelhaft. Nach den meisten Angaben soll er mindestens 100 Jahre jünger als Homer gewesen sein und pflegt man seine Lebenszeit um das Jahr 800 v. Chr. zu setzen, was freilich mit unserer Annahme, daſs Homer bereits vor der dorischen Einwanderung in Argos gelebt habe, also um 1100 v. Chr., nicht stimmt. Hiernach würde auch das Alter Hesiods höher hinaufgerückt werden müssen. Im Vergleich mit der vielseitigen, vornehmeren Bildung Homers ist der Gesichtskreis Hesiods ein beschränkter, er blieb der schlichte, biedere Landmann und auch seine Dichtungen wenden sich an diesen Stand. Er begeistert nicht durch schwungvolle Schilderungen von Helden und Heldenwerken, sondern er bietet uns praktische Lebensregeln in metrischer Form, Ethisches, Theologisches und Materielles, Regeln der Sittlichkeit und der Klugheit bunt durcheinander, wobei ihm immer das Bild eines tüchtigen, fleiſsigen, ehrlichen und frommen Bauern vorschwebt. Dem entsprechend sind auch die technischen Kenntnisse Hesiods geringer und die Ausbeute für unseren Zweck verhältnismäſsig dürftigere. Das originellste Werk Hesiods sind seine „Werke und Tage“ (Ἔργα καὶ ἡμέραι), eine nur lose zusammengefügte Spruchsammlung in dichteri- schem Gewand; praktische Lebensregeln für den Landmann und Haus- vater, über die Wahl der Gattin, die Erziehung der Kinder, den Acker- bau und die Schiffahrt, die Bedeutung einzelner Tage u. s. w., wobei neben viel Treffendem auch viel bäuerischer Aberglaube mit unterläuft. Dazwischen sind ziemlich unmotiviert die Sagen von Prometheus, von Pandora und vor allem von den Weltzeitaltern eingefügt. Das zweite Hauptwerk Hesiods ist seine Theogonie, ein Ge- schlechtsregister der Götter, das mehr als Quelle für die Mythologie

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Zitationshilfe: Beck, Ludwig: Die Geschichte des Eisens. Bd. 1: Von der ältesten Zeit bis um das Jahr 1500 n. Chr. Braunschweig, 1884, S. 413. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/beck_eisen01_1884/435>, abgerufen am 22.11.2024.