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Bechstein, Ludwig: Der Dunkelgraf. Frankfurt (Main), 1854.

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schließen für das ganze uns noch vergönnte Leben. Mein Herz ist ganz voll von unbegrenztem Vertrauen zu Euch!

Ludwig dachte in diesem Augenblick der geistigen Mitgabe durch die Großmutter. Sie hatte gesagt: Achte treue Freundschaft und hüte dich vor falschen Freunden. -- Ein falscher Freund konnte Leonardus nicht sein, nicht werden; sein offenes blühendes Gesicht drückte Biederkeit aus, seine Augen, blau wie die eigenen des jungen Grafen, strahlten Treue. Ludwig bot daher unbedenklich und mit voller jugendlicher Hingebung gerne beide Hände dar und antwortete: Ich habe von Freundschaft einen hohen Begriff; mein Lehrer in der griechischen Sprache ließ mich die Sprüche des großen Weltweisen Solon lesen und lernen, und da lernte ich: "Gerechte Freundschaft ist der sicherste Besitz! -- Kein schöneres Gut auf Erden, als ein Freund! -- Den Göttern gleich verehre willig Freunde! -- Für Brüder achten sollst wahrhafte Freunde du!"

Ja Bruder! Bruder! rief Leonardus enthusiastisch, und warf sich küssend in Ludwig's Arme.

Bruder im Leben, im Tode Bruder! sprach Ludwig sehr ernst, und erwiderte den Bundeskuß mit dem heiligen Gefühle eines Jünglingsherzens, das sich bisher in holder Unbefangenheit und in schönen Idealen hatte nähren und aufrichten dürfen.

Ich habe nicht Griechisch gelernt, mein Bruder Ludwig, versetzte Leonardus bewegt, aber ich will dir die hohen und weisen Worte deines Solon mit einem Ausspruch des größten Dichters unserer britischen Nachbarn erwiedern. Shakspeare sagt:

Den treuen Freunden will ich weit die Arme öffnen,
Und wie sein Kind der Lebensopf'rer Pelican
Mit meinem Blut sie tränken.

Das Erscheinen des Kapitäns, der vom Koch gefolgt, mit alle dem würdigen Werkzeug eintrat, das gehobene Seelenstimmung hervorzurufen und zu beleben im Stande ist, unterbrach die Ergüsse jugendlicher Erinnerungen an tiefeingeprägte unsterbliche Dichtergedanken, und es begann die heitere Morgenfeier des Geburtstages des treuen und wohlgesinnten Kapitäns.

Schon näherte sich das Schiff der Küste der Insel Ameland, an deren nördlicher Spitze es nahe vorbeisegeln und zwischen den Riffen

schließen für das ganze uns noch vergönnte Leben. Mein Herz ist ganz voll von unbegrenztem Vertrauen zu Euch!

Ludwig dachte in diesem Augenblick der geistigen Mitgabe durch die Großmutter. Sie hatte gesagt: Achte treue Freundschaft und hüte dich vor falschen Freunden. — Ein falscher Freund konnte Leonardus nicht sein, nicht werden; sein offenes blühendes Gesicht drückte Biederkeit aus, seine Augen, blau wie die eigenen des jungen Grafen, strahlten Treue. Ludwig bot daher unbedenklich und mit voller jugendlicher Hingebung gerne beide Hände dar und antwortete: Ich habe von Freundschaft einen hohen Begriff; mein Lehrer in der griechischen Sprache ließ mich die Sprüche des großen Weltweisen Solon lesen und lernen, und da lernte ich: „Gerechte Freundschaft ist der sicherste Besitz! — Kein schöneres Gut auf Erden, als ein Freund! — Den Göttern gleich verehre willig Freunde! — Für Brüder achten sollst wahrhafte Freunde du!“

Ja Bruder! Bruder! rief Leonardus enthusiastisch, und warf sich küssend in Ludwig’s Arme.

Bruder im Leben, im Tode Bruder! sprach Ludwig sehr ernst, und erwiderte den Bundeskuß mit dem heiligen Gefühle eines Jünglingsherzens, das sich bisher in holder Unbefangenheit und in schönen Idealen hatte nähren und aufrichten dürfen.

Ich habe nicht Griechisch gelernt, mein Bruder Ludwig, versetzte Leonardus bewegt, aber ich will dir die hohen und weisen Worte deines Solon mit einem Ausspruch des größten Dichters unserer britischen Nachbarn erwiedern. Shakspeare sagt:

Den treuen Freunden will ich weit die Arme öffnen,
Und wie sein Kind der Lebensopf’rer Pelican
Mit meinem Blut sie tränken.

Das Erscheinen des Kapitäns, der vom Koch gefolgt, mit alle dem würdigen Werkzeug eintrat, das gehobene Seelenstimmung hervorzurufen und zu beleben im Stande ist, unterbrach die Ergüsse jugendlicher Erinnerungen an tiefeingeprägte unsterbliche Dichtergedanken, und es begann die heitere Morgenfeier des Geburtstages des treuen und wohlgesinnten Kapitäns.

Schon näherte sich das Schiff der Küste der Insel Ameland, an deren nördlicher Spitze es nahe vorbeisegeln und zwischen den Riffen

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[90/0094] schließen für das ganze uns noch vergönnte Leben. Mein Herz ist ganz voll von unbegrenztem Vertrauen zu Euch! Ludwig dachte in diesem Augenblick der geistigen Mitgabe durch die Großmutter. Sie hatte gesagt: Achte treue Freundschaft und hüte dich vor falschen Freunden. — Ein falscher Freund konnte Leonardus nicht sein, nicht werden; sein offenes blühendes Gesicht drückte Biederkeit aus, seine Augen, blau wie die eigenen des jungen Grafen, strahlten Treue. Ludwig bot daher unbedenklich und mit voller jugendlicher Hingebung gerne beide Hände dar und antwortete: Ich habe von Freundschaft einen hohen Begriff; mein Lehrer in der griechischen Sprache ließ mich die Sprüche des großen Weltweisen Solon lesen und lernen, und da lernte ich: „Gerechte Freundschaft ist der sicherste Besitz! — Kein schöneres Gut auf Erden, als ein Freund! — Den Göttern gleich verehre willig Freunde! — Für Brüder achten sollst wahrhafte Freunde du!“ Ja Bruder! Bruder! rief Leonardus enthusiastisch, und warf sich küssend in Ludwig’s Arme. Bruder im Leben, im Tode Bruder! sprach Ludwig sehr ernst, und erwiderte den Bundeskuß mit dem heiligen Gefühle eines Jünglingsherzens, das sich bisher in holder Unbefangenheit und in schönen Idealen hatte nähren und aufrichten dürfen. Ich habe nicht Griechisch gelernt, mein Bruder Ludwig, versetzte Leonardus bewegt, aber ich will dir die hohen und weisen Worte deines Solon mit einem Ausspruch des größten Dichters unserer britischen Nachbarn erwiedern. Shakspeare sagt: Den treuen Freunden will ich weit die Arme öffnen, Und wie sein Kind der Lebensopf’rer Pelican Mit meinem Blut sie tränken. Das Erscheinen des Kapitäns, der vom Koch gefolgt, mit alle dem würdigen Werkzeug eintrat, das gehobene Seelenstimmung hervorzurufen und zu beleben im Stande ist, unterbrach die Ergüsse jugendlicher Erinnerungen an tiefeingeprägte unsterbliche Dichtergedanken, und es begann die heitere Morgenfeier des Geburtstages des treuen und wohlgesinnten Kapitäns. Schon näherte sich das Schiff der Küste der Insel Ameland, an deren nördlicher Spitze es nahe vorbeisegeln und zwischen den Riffen

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Zitationshilfe: Bechstein, Ludwig: Der Dunkelgraf. Frankfurt (Main), 1854, S. 90. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bechstein_dunkelgraf_1854/94>, abgerufen am 24.11.2024.